Duisburg. Viele hatten Angst vorm Radfahren. Andere durften nicht aufs Zweirad steigen. Frauen mit Migrationshintergrund lernen bei einem Kurs in Duisburg-Hüttenheim Radfahren. Erfolgsquote: 80 bis 90 Prozent.
Barbara lehnt sich in die Kurve. Die Hände zittern etwas, der Lenker auch. Die 60-Jährige tritt kräftig in die Pedale. Die anderen Kursteilnehmer schauen staunend hinterher. Barbara, die mit Nachnamen Redczuk heißt, dreht die erste Kurve um den Fotografen. Die anderen Fahranfänger spenden Applaus. Barbara ist nach zwei Tagen Fahrradkurs auf dem besten Weg, ein Lebenstrauma endgültig zu besiegen.
Auf dem Hof der Caritas an der Mündelheimer Straße in Duisburg-Hüttenheim stehen Lebensgeschichten: „Als ich klein war, konnten wir uns kein Fahrrad leisten“, sagt die gebürtige Polin Barbara. Später in Deutschland habe sie sich dann ein Fahrrad gekauft. „Ich habe mich nicht getraut, damit loszufahren. Das war mir zu peinlich. 80-Jährige Frauen sind ja an mir vorbeigefahren.“
Trainer Eric Donato vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub ADFC kennt diese Probleme. Er hat schon fünf solche Kurse in Düsseldorf angeboten. „Alle waren ausgebucht.“ Der Bedarf ist riesig.“ Es sei ein kulturelles Problem sagen die Teilnehmerinnen später einmütig. „Das ist kein Problem von Religion!“
Lieber ohne Männer-Begleitung
Bis auf Barbara tragen fast alle anderen Frauen Kopftuch. Viele kommen aus der Türkei. Andere aus Balkanländern. Außer Barbara traut sich keine aufs Foto. So groß ist die Scham dann doch. Nurcan Ayaz strahlt aber über das ganze Gesicht. Die 29-Jährige ist glücklich, dass sie sich endlich auf den Sattel gesetzt hat. Ehemann Tuncay ist dabei. „Zur Unterstützung“, betont der 40-Jährige. „Nicht zum Aufpassen.“ Letzteres mag Trainer Eric Donato gar nicht gerne. „Das ist ein großes Problem. Wir versuchen grundsätzlich nur die Teilnehmer dabei zu haben.“
Gut 30 Stunden vorher nehmen die Frauen zum ersten Mal einen Lenker in die Hand. Eric Donato, selbst gebürtiger US-Amerikaner, hat extra kleine Fahrräder mitgebracht. Es geht mit Schieben los. Die Frauen haben das Rad zwischen den Beinen, setzen rechts und links die Füße nacheinander auf den Boden. Wer mutig ist, darf schon zur Bremse greifen.
Was für Grundschüler im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht ist, ist für 40-Jährige eine Riesenherausforderung. „Erwachsene haben Angst“, sagt Eric Donato. Er erklärt seine Aufgabe: „Und ich bin dazu da, diese Angst zu nehmen.“
Fuß für Fuß nach vorne
Die Frauen machen weiter wie mit Laufrädern, balancieren die Gestelle hin und her. Irgendwann setzt die erste Dame einen Fuß auf das Pedal. Donato fordert sie zum Durchtreten auf. Das zweite Bein steht noch stützend auf der Erde. Dann kommt auch der zweite Fuß auf die Pedale. Es geht geradeaus, später auch in die erste Kurve. So funktioniert Radfahren.
Am zweiten Tag steht dann die erste Rundfahrt auf dem Programm. Diesmal geht es nicht mehr nur im Kreis über den Hof, sondern gleich raus auf die Straße. Barbara gibt Gas. Die anderen Teilnehmerinnen mühen sich noch etwas mehr ab. Normal sind bei dem zweitägigen Kurs 80 bis 90 Prozent Erfolgsquote. Die Hüttenheimer Gruppe hat noch etwas Nachholbedarf. Das sei aber nicht schlimm, betont Eric Donato. Die Teilnehmerinnen loben sich gegenseitig für den Mut, überhaupt mitzumachen. Ist ja auch was wert.
Caritas-Frau Anna-Maria Gutte verspricht dann noch, mit den Frauen weiter zu üben. Mittwoch vielleicht? Da geht’s nicht. Da ist Zuckerfest. Aber eine Woche später ganz sicher. Üben sei wichtig, sagt auch Donato: „Es heißt nicht, dass jetzt jeder verkehrssicher ist.“
Bei den Frauen, die sich jetzt alle untereinander duzen, fällt immer wieder ein Begriff: Freiheit.