Gemeinschaftsgefühl in Duisburg sinkt mit der Einwohnerzahl
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Duisburg. Beim Stadtteil-Check kam heraus: Das Gemeinschaftsgefühl ist in Duisburg-Mündelheim hoch, in Hochfeld dagegen kaum vorhanden. Warum das so ist.
Gemeinschaftsgefühl bezeichnet die innere Verbundenheit mit den Mitmenschen. Ein Zustand, der eine Wohnadresse erst zum Zuhause macht. Beim Stadtteil-Check fragten wir nach diesem Gemeinschaftsgefühl in den 46 Duisburger Stadtteilen. Wir wollten wissen, wie gut sich die Duisburger in ihr eigenes Wohnumfeld eingebettet fühlen.
Klarer Sieger dieser Abfrage war Mündelheim mit den dazu gehörenden Ortschaften Serm und Ehingen. Auf dem letzten Platz fand sich Hochfeld wieder. In beiden Stadtteilen mangelt es nicht an Duisburgern, die für ihr Wohnumfeld brennen und sich stark ehrenamtlich engagieren. Ein Gespräch mit Dr. Michael Willhardt, der in Hochfeld lebt und mit dem Verein Zukunftsstadtteil anpackt, sowie mit Frank Salamon, der in Mündelheim Vorsitzender des Bürgervereins ist.
„Vereine sind die Drehscheibe des Handelns“
Wir treffen uns im Rheinpark in Hochfeld auf Vorschlag von Frank Salamon, „das ist der schönste Ort in Duisburg“, findet der in Hochfeld geborene 56-Jährige. Zurückziehen würde er aber nicht, sein Herzensort ist Mündelheim, wo er mit Frau und Tochter lebt. Salamon sagt: „Bei uns auf dem Dorf sind die Vereine die Drehscheibe des Handelns.“
Jeder sei irgendwo Mitglied, ob beim Sport, beim Karneval oder bei den Schützen. Und wenn eine Familie neu hinzuzieht, sei sie schnell integriert. Er hat leicht reden, im ersten Quartal 2020 sind 41 Zuzüge und 29 Fortzüge verzeichnet, man könnte sie fast persönlich begrüßen. In Hochfeld kamen in der gleichen Zeit zehn mal so viele: 412 Bewohner zogen zu, 413 verließen den Stadtteil.
„Gemeinschaftsgefühl entsteht durch gemeinsame Aktivität“
Ein Bild auf einem der letzten Bürgerkalender von Mündelheim macht die dörfliche Verbundenheit deutlich: Da wischt die Oma das Straßenschild sauber, ein Mann mäht davor den öffentlichen Rasen, jemand pflanzt Blumen. Postkartenidylle. Salamon schwärmt von vielen gemeinsamen Aktionen, darunter der längste Frühstückstisch der Welt, der damals 8000 Menschen aus 50 Nationen zusammengebracht habe.
„Gemeinschaftsgefühl entsteht durch gemeinsame Aktivität“, sagt auch Willhardt. Aber Hochfeld sei eben ein urbaner Stadtteil, die Interessen und Einkommensstrukturen seien extrem unterschiedlich, hinzu kämen die Sprachbarrieren. Mit seiner Initiative „Hallo Nachbarn!“ gehe er auf die Neu-Hochfelder zu. Aber selbst seine Kenntnisse in Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Niederländisch würden nicht helfen. „Die sprachliche Distanz ist groß, die kulturellen Unterschiede hoch“, berichtet der 64-Jährige.
Strukturen wie auf dem Dorf „die nächsten 300 Jahre nicht“
Ein weiteres Hindernis für Gemeinschaft sei, dass durch die Gepflogenheiten in anderen Ländern Termine nicht so verbindlich seien wie in Deutschland. Eine gewachsene Struktur mit Vereinen, wie es sie in Mündelheim oder in ländlichen Gebieten gibt, „die werden wir hier die nächsten 300 Jahre nicht erleben“. Wegen der immensen Globalisierung brauche es womöglich ganz andere Strukturen, um so etwas wie ein Heimatgefühl zu entwickeln, glaubt Willhardt. Schützen- oder Karnevalsvereine gibt es in Hochfeld jedenfalls nicht.
Salamon lässt Widerspruch nicht gelten. Er glaubt an das Prinzip „Kommunikation durch Aktion. Es muss nur einer machen“. Der Mündelheimer bekennt allerdings auch, dass es für Veränderungen einen langen Atem braucht. Verkehrsplanung sei so ein Thema, an dem man über Jahrzehnte dran bleiben müsse.
Potenzial für Hochfeld durch die Gründung von „Rheinort“
Willhardt sieht Potenzial in seinem Stadtteil. Schließlich könne man seit dem Abriss der Hallen des alten Drahtwalzwerks erstmals seit der Industrialisierung wieder die Skyline von Duisburg vom Rhein aus sehen. „Hochfeld kann jetzt das Rheintor von Duisburg werden“.
Durch die IGA 2027 und die Entwicklung von Rheinort habe Hochfeld eine „unglaubliche Chance, sich strukturell zu entwickeln“, wichtig sei dafür höherwertige Bebauung und ein steigender Mietspiegel.
„Die Solidargemeinschaft wird in Duisburg aufgelöst“
Einig sind sich die beiden darin, dass man überall gestalten kann, nur die Voraussetzungen sind eben höchst unterschiedlich. „In Hochfeld sind wir als Bürgertum die restlichen 20 Prozent, wir müssen integriert werden“, sagt Willhardt mit Blick auf „die europäische Politik, die auf dem Rücken der Hochfelder ausgetragen wird“. In Hochfeld gebe es eigens die teuerste Reinigungsklasse K, dadurch müsse er für 10 Meter Haus 580 Euro Straßenreinigungsgebühr zahlen, „so wird die Solidargemeinschaft in Duisburg aufgelöst“, findet er, ablehnende Gefühle für Müllverursacher inklusive.
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Hohe Erwartungen haben beide an das Land. So fordert Salamon, dass Mündelheim – durch die B288 in zwei Teile zerschnitten – nicht mehr vom Lkw-Verkehr dominiert wird. Und Willhardt glaubt, dass mehr saniert werden muss, damit die Impulse durch Rheinort als neuer Stadtteil fruchten können. Eine neue Sicht auf Hochfeld würde manchem aber auch gut tun: „Im Urlaub sind alle begeistert von der Basar-Atmosphäre in südlichen Ländern. Hochfeld ist Urlaub im Dauerzustand!“
Ehrenamt braucht mehr Unterstützung von Stadt und Land
Auch das Ehrenamt verdiene mehr Unterstützung, sind sich beide einig. „Das sind die Säulen, sie bekommen aber immer mehr Verpflichtungen aufgedrückt bis zur Haftungsgefahr“, sagt Salamon mit Blick auf Datenschutzregelungen und andere Verordnungen. „Und die Auflagen des Finanzamtes sind der Tod jedes Engagements“, pflichtet Willhardt bei. Sie fordern eine Kollektiv-Haftpflicht, die die Stadt abschließt als Unterstützung für die ehrenamtlichen Engagements. Gema-Gebühren oder die Pflicht zur Nutzungsänderung, wenn man „mal für einen Abend in einer Scheune Nikolauslieder singen will“ – all das schränke über Gebühr ein.
Das Interesse am eigenen Wohnort ist auch in den sozialen Netzwerken ungleich verteilt. Während die Hochfelder Facebook-Gruppe 867 Mitglieder hat, sind es im viel kleineren Mündelheim 1099. „Die Gruppe ist genial“, freut sich Salamon über Informationen oder Hilfsangebote „in Echtzeit“. Dazu sieht Willhardt in seinem Stadtteil keine Chance, weil die gemeinsame Sprache fehle. Viele Sprachgemeinden seien so groß, dass sie ihre eigene Infrastruktur haben.
Duisburgs Süden von oben
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Würden Sie Ihren Wohnort tauschen? Nein, sagen beide. „Wenn man sich engagiert, werden Nachteile von den Vorteilen aufgewogen“, findet Willhardt, „der Gestaltungsspielraum ist hier auch viel größer als auf dem Dorf.“ Salamon fühlt sich „seit 20 Jahren sauwohl in Mündelheim“, da will er nicht mehr weg. Wohl aber könnte er sich vorstellen, seine Energie auch in Hochfeld zu investieren. Die beiden Männer haben ihre Visitenkarten ausgetauscht, sind jetzt per Du. Bleibt abzuwarten, was diese Bekanntschaft mit dem Gemeinschaftsgefühl der Stadtteile machen wird.
>>MÜNDELHEIM UND HOCHFELD IN ZAHLEN
In Mündelheim wohnen 6067 Menschen, davon rund ein Drittel in Serm und Ehingen. 394 haben einen ausländischen Pass.
In Hochfeld leben 18.478 Menschen, 11.005 von ihnen sind Ausländer.
Sozialhilfe beziehen in Mündelheim 209 Menschen, in Hochfeld 6056.
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