Hochfeld. Marion Brozek arbeitet seit 25 Jahren im evangelischen Jugendzentrum an der Pauluskirche in Hochfeld. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Arbeit.
„Marion ist die Beste“, hat einer der jungen Besucher an die Tafel geschrieben. „Das ist hier mein Büro. Aber zum Arbeiten komm’ ich nicht, weil dann immer jemand etwas wissen oder haben will.“ Marion Brozek arbeitet seit 25 Jahren in dem evangelischen Jugendzentrum an der Pauluskirche. Kennen gelernt hat sie das Haus in den 1990er Jahren, als sie selbst junge Mutter war und eine Spiel-Gruppe mit ihrer Tochter besuchte. Ein Gespräch darüber, wie sich die Arbeit mit den Kindern und der Stadtteil im Allgemeinen in den vergangenen Jahren verändert hat. Eine Bitte hat Marion Brozek aber vorab: „Ich habe mir vorgenommen, möglichst viel positiv zu formulieren. In Hochfeld ist nicht alles gut, aber man muss es nicht noch zusätzlich schlecht machen.“ Also gut.
Gibt es heute noch Krabbel- und Kindergruppen im Jugendzentrum?
Nein. Das Interesse hat nachgelassen, als andere Träger Pekip-Kurse angeboten haben. Und wir haben keine Eltern und Kinder mehr, die diese besuchen. Erst haben wir nur Jungen und Mädchen ab drei Jahren genommen. Später wurde das Alter heruntergesetzt. Wir haben uns zwei Mal in der Woche getroffen, aber wahrscheinlich brauchen die Mütter eine regelmäßigere Betreuung.
Wer ist zu Ihnen gekommen?
Hochfeld war früher deutlich bürgerlicher. Wir hatten rund 40 Kinder, darunter nur zwei Hauptschüler. Viele haben das Gymnasium besucht. Heute kommen die Kinder nur sehr unregelmäßig. Am liebsten gehen sie mit zum Schwimmen oder wenn wir toben. Bei einem Ausflug in den Zoo oder zur Mitmach-Ausstellung Dasa waren es nur vier.
Liegt’s vielleicht auch am Geld?
Sicher, einen Ausflug für zehn Euro können sich nicht alle leisten. Aber ich habe zum Glück ein paar Senioren, die ab und zu etwas spenden, so dass ich den Kindern etwas Gutes tun kann. Dann müssen sie vielleicht nur den Bus bezahlen. Wir würden gerne mal ins Irrland fahren, da könnte ich alle Kinder von überzeugen. Aber wir können keinen Bus anmieten und man kommt dort sonst so schlecht hin. Ich bin aber auch der Meinung, dass man nicht immer alles umsonst anbieten muss, denn unsere Angebote sind auch etwas wert.
Sie arbeiten in einer evangelischen Einrichtung. Inwiefern vermitteln Sie den Kindern auch Werte?
Das ist mir wichtig. Pünktlichkeit Wenn zum Beispiel die Schüler mittags zur Hausaufgabenbetreuung kommen, essen wir erst einmal alle gemeinsam. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind wichtig - und dass sie auch Rücksicht aufeinander nehmen. Ich gehe gerne mit ihnen schwimmen, am liebsten ins Memelbad. Dort gibt es nämlich nichts außer einen Sprungturm und man muss etwas miteinander machen.
Hochfeld ist kein einfaches Pflaster für eine behütete Kindheit.
Die Kinder bekommen hier viel mehr mit als früher. Neulich haben sich Mütter vor der Pauluskirche geprügelt und die Kleinen hingen am Rockzipfel und wollten die Frauen auseinanderbringen. Früher hat man sich auch mal gestritten, aber nicht so. Wenn die Jungen und Mädchen dann zu uns kommen, merkt man, dass sie eigentlich nicht miteinander, sondern nebeneinander her spielen. Türkische, bulgarische und rumänische Kinder wollen nichts miteinander zu tun haben. Das kommt natürlich auch von den Eltern. Kinder sind Kinder, die können doch nichts dafür.
Wie ist die soziale Situation?
Einmal habe ich Tränen in den Augen gehabt. Da hat die Stadt zwei Häuser auf der Paulusstraße räumen lassen. Das war natürlich richtig, die waren in einem schlimmen Zustand. Die Kinder sind morgens zur Schule gegangen, hatten nur das an, was sie gerade trugen und ihren Tornister dabei. Nachmittags durften sie nicht mehr in die Wohnung zurück und sollten mit ihren Familien in eine Notunterkunft. Die meisten sind dann bei Verwandten untergekommen und haben mit manchmal 20 Personen in einer Wohnung gelebt. Sie hätten sich zwar ans Ordnungsamt wenden können, um später an ihre Sachen zu kommen, aber die meisten haben nicht das Zutrauen in die Behörden. Die Erwachsenen können sich selbst kümmern, aber es geht um die Kinder.
Sind Sie noch nie enttäuscht worden und wollten das Handtuch werfen?
Doch, manchmal gehe ich nach Hause und bin richtig wütend. Die Kinder wissen, an welche Schränke sie dürfen und an welche nicht. Eine Freundin hatte mir mal eine Tafel Schokolade mit einer persönlichen Botschaft geschenkt. Abends will ich die mit nach Hause nehmen und sehe, dass die einfach aufgegessen wurde und das Papier in der Gegend herumflog. Das geht natürlich nicht. In all den Jahren bin ich klarer geworden mit meinen Botschaften. Nein heißt Nein.
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Erzählen Sie auch den Gemeindemitgliedern von Ihrer Arbeit hier?
Ja, ich habe Glück, dass meine Gemeinde sehr hinter mir steht. Wenn ich mal bei den Konfirmanden zu Besuch bin, erzähle ich von den Kindern. Die haben manchmal eigene Erfahrungen gemacht, sind vielleicht mal abgezockt worden. So kann man mehr Empathie füreinander entwickeln.
Früher haben Sie in der Nähe der Kirche gewohnt, jetzt sind Sie ein paar Straßen weiter gezogen. Warum?
Ich hatte hier früher viele Bekannte und Freunde in Hochfeld, wir haben zusammen viel auf die Beine gestellt. Die sind aber alle umgezogen. Das macht was mit einem. Alleine resigniert man vielleicht eher. Und es ist auch ein Unterschied, ob man hier nur wohnt und morgens mit dem Auto zum Job fährt. Oder ob man wirklich in Hochfeld lebt und zum Einkaufen über die Wanheimer Straße läuft. Die meisten finden es nur so lange bunt und schön, wie sie nicht selbst von irgendwas betroffen sind. Ich kenne aber auch viele türkische Familien, die weggezogen sind.
Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre für Ihre Arbeit?
Ich habe mich nie als Vorlese-Oma gesehen, die am Rollator im Disco-Keller steht. So weit ist es zum Glück noch nicht. Ich würde mir wünschen, dass man unsere Kirche noch lange in diesem Stadtteil lässt und wir hier weiterexistieren können.