Duisburg. . Die Ruhrtriennale ist beendet – und der scheidende Intendant Heiner Goebbels wagt einen Blick zurück auf die wichtigsten Stücke und Veranstaltungen der vergangenen drei Jahre am Spielort Duisburg. Er erkannte das Riesen-Potenzial der Kraftzentrale.

Woran wird sich das Duisburger Publikum erinnern, wenn man an die Ruhrtriennale unter Heiner Goebbels zurückdenkt? Wie war Duisburg als Spielstätte des Festivals aufgestellt? Die WAZ wagt einen subjektiven Rückblick.

Goebbels selbst nennt als stärkste Duisburger Produktionen Romeo Castelluccis Arbeiten „Folk“ und „Sacre du Printemps“ sowie Ryoji Ikedas „Test pattern“. Die gigantische Licht-Klang-Installation in der ebenso gigantischen Kraftzentrale machte das Publikum 2013 zum Teil des Kunstwerkes. Viele der 23 000 Besucher tanzten sogar durch den Raum. Die Stahlplattenkonstruktion „Melt“ auf der Hochofenstraße im diesem Jahr forderte die Besucher auch zur Interaktion heraus, wirkte aber wesentlich nüchterner.

Mit zwei sehr unterschiedlichen Produktionen war der italienische Theatermacher Romeo Castellucci in der Gebläsehalle zu Gast. Sein Taufritual „Folk“ hinterließ 2012 weitgehend Ratlosigkeit, während „Sacre“ im aktuellen Festival aufrüttelte und positiv verstörte: Die Bilder aus fallender und wirbelnder Knochenasche waren perfekt auf Igor Strawinskys Musik abgestimmt. Die Schönheit der Optik wurde von Texten konterkariert, in denen die Herstellung der Asche aus Rindern erklärt wurde.

Massive Attack und „Metropolis“

Lediglich 2013 und nur in Duisburg gab es die Sparte „Cine Concert“, in der bewegte Bilder mit Musik in Beziehung gesetzt wurde. Als mitreißend-verstörendes Erlebnis bleibt das Konzert von Massive Attack in Erinnerung, bei dem die Band hinter durchsichtigen Vorhängen agierte. Die Zuschauer waren von einer Bilderflut umgeben, die einen wie ein gewaltiger Strudel mitriss. Wie bei vielen Produktionen der Goebbels-Ära waren das Überwältigt-werden und der Erlebnis-Charakter maßgeblich.

Dies traf auch auf die Neuvertonung von Fritz Langs Filmklassiker „Metropolis“ in der Gießhalle durch die DJs Xavier Garcia und Guy Villerd zu. Wenn man im Vorjahr während der Vorführung den Blick nach links und rechts in den beleuchteten nasskalten Landschaftspark schweifen ließ, erschien Fritz Langs Zukunftsvision mit seinen ungewöhnlichen architektonischen Fantasien wie für das stillgelegte Hüttenwerk gemacht.

Besonders die Kraftzentrale wurde von Goebbels als Herausforderung betrachtet: „Ich glaube, dass meine Vorgänger das Potenzial dieser Halle nicht richtig genutzt haben. Wenn man diese Halle annimmt, fordert es aber auch eine wahnsinnige Energie, gegen diesen Raum anzuspielen.“ Gerade die Kraftzentrale ermöglichte es aber, „dass hier etwas entstehen kann, was woanders nicht möglich wäre“.

Ungewöhnliche zeitgenössische Opern

Die Kraftzentrale ist nicht nur ein ungewöhnlicher Spielort, sondern hier zeigte Goebbels auch ungewöhnliche zeitgenössische Opern, die von den Spielplänen der Opernhäuser verschwunden sind. Carl Orffs „Prometheus“ wurde 2012 in der ritualhaften Inszenierung des Samonaners Lemi Panifasio gespielt. Der Produktion gelang es aber nicht, dem Zuschauer die Geschichte des antiken Titanen emotional nahe zu bringen. Zudem gab es keine Übertitel, und das bei einer Aufführung, die in Altgriechisch über die Bühne ging.

Eine Oper mit starken Bildern und Übertitels war Louis Andriessens „De Materie“, mit der die Ruhrtriennale 2014 eröffnet wurde. Zum ersten Mal in 13 Jahren Ruhrtriennale fand die Eröffnung in Duisburg statt und wer wollte, konnte „De Materie“, „Sacre“ und „Melt“ an einem Tag erleben. Goebbels Inszenierung von „De Materie“ war durch die starken Bühnenbilder von Klaus Grünberg geprägt. Der tiefere Sinn dieser Oper, in der historische und wissenschaftliche Texte kombiniert werden, die keinerlei inhaltlichen Bezug besitzen, erschloss sich aber nicht. Goebbels merkt aber an: „In der bildenden Kunst fordert niemand, dass man alles verstehen müsse, beim Theater gibt es aber diesen Anspruch. Wir haben gezeigt, dass Theater auch anders funktionieren kann.“

Goebbels lobt Ruhrtriennale-Publikum für seine Neugier 

Gleich zwei große Werke aus seiner eigenen Feder stellte der komponierende Intendant Heiner Goebbels in Duisburg vor. 2013 gab es mit der musikalischen Bühnenbildinstallation „Stifters Dinge“ ein Musiktheater ohne Menschen. In gut einer Stunde Aufführungsdauer erschuf die Bühnenmaschine faszinierende Bilder. Begleitend gab es dazu die „Unguided Tour“, in der weiteres Treiben und Tönen der Maschine zu erleben war. An elf Tagen standen „Stifters Dinge“ jedem Besucher kostenlos für vier Stunden offen.

Dass Heiner Goebbels diese Produktion ausgerechnet in Duisburg gezeigt hat, ist kein Zufall: „Mich hat die Präsenz der Industrie im Landschaftspark gereizt. Das gibt es um die Bochumer Jahrhunderthalle herum nicht.“

Die integrative Kraft der Triennale wurde dann noch einmal in Heiner Goebbels „Surrogate Cities Ruhr“ deutlich. In der Choreographie von Mathilde Monnier vereinten sich Grundschüler der Tonstraße mit Hip-Hoppern, Kampfsportlern und Gesellschaftstänzern zum getanzten Bild einer Großstadt. Das Publikum dankte dem scheidenenden Intendanten mit viel Jubel und getrampelten Ovationen.

Auslastung lag bei über 90 Prozent

Dem Publikum in Duisburg und dem Ruhrgebiet macht Goebbels ein Riesenkompliment: „Bei den meisten Produktionen konnten die Zuschauer beim Kartenkauf nicht wissen, was sie erwartet. Wir hatten trotzdem eine Auslastung von über 90 Prozent mit vielen ausverkauften Vorstellungen. Unser Publikum ist bereit für Neues und Unbekanntes.“

Goebbels weiter: „Die Leute hier sind geerdet, offen und kein bisschen snobistisch. Ich war erstaunt, wie viele positive Rückmeldungen ich bekommen habe. Das Publikum hat das Programm der letzten drei Jahre angenommen.“