Duisburg. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir im NRZ-Interview: Warum der Datenschutz für den jüngsten Abgeordneten Priorität hat und wieso er darüber mit Konzernen und Sicherheitsbehörden in den USA reden wird. Von einer Befragung des Whistleblowers Edward Snowden hingengen, hält Özdemir nichts.
Mahmut Özdemir ist der jüngste Abgeordnete im Bundestag. Der 27-Jährige ist seit einem Jahr für die SPD im Parlament. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Im NRZ-Interview verrät Özdemir wie er über die Große Koalition und den Geheimdienstskandal denkt.
Herr Özdemir, Sie sind bald ein Jahr im Bundestag. Wie wird man denn dort behandelt als jüngster Abgeordneter?
Mahmut Özdemir: Man wird da weder zum Positiven noch zum Negativen anders behandelt. Vielleicht liegt es auch an dem Anspruch, mit dem man da rein geht. Wir haben in unserer Fraktion 193 Abgeordnete, ich gehöre zu den 58, die direkt gewählt wurden. Dennoch: Ich habe denselben Job zu leisten, wenn nicht sogar als einer der Jungen es besser zu tun.
Wer länger dabei ist, fühlt sich ja oft zu Höherem berufen. Ihnen werden keine Aufgaben angedient, die wenig begehrt sind?
Mahmut Özdemir: Es ist doch die Frage, mit welchem Selbstbewusstsein man dort auftritt. Es ist ja nicht so, dass ich erst seit gestern im Geschäft bin. Ich bin politisch aktiv seitdem ich 13 Jahre alt bin. Und ich bin mit dem Selbstbewusstsein nach Berlin gegangen, das umzusetzen, was ich den Wählern hier versprochen habe.
Dazu gehört?
Mahmut Özdemir: Erstens im Arbeitsrecht aufzuräumen, zweitens in der Innenpolitik, um für die Kommunen etwas zu tun, und drittens im Finanzmarkt, um diese dubiosen Finanzgeschäfte zu maßregeln. In einem dieser Schwerpunktgebiete bin ich jetzt auch aktiv, nämlich im Innenausschuss und Unterausschuss Kommunales. Ich wollte exakt in den Ausschuss, in dem ich etwas bewegen kann, was ich hier vor Ort verspreche.
Im Innenausschuss liegt der Fokus aber nicht auf den Kommunen, sondern auf der Spionage-Affäre.
Mahmut Özdemir: Zurzeit ja. Und es ist auch so, dass ich meine erste Dienstreise nach meiner Wahl passend zum Einjährigen Mitte September in die USA antrete. Ich gehöre zu einer Delegation des Innenausschusses, die dort mit den amerikanischen Sicherheitsbehörden aber auch mit großen US-Konzernen wie Google oder Amazon im Hinblick auf den Datenschutz sprechen wird. Der Schutz im digitalen Zeitalter genießt auch für mich absolute Priorität. Was das Digitale angeht, zähle ich mich zu einer Sandwich-Generation.
Was verstehen Sie unter einer Sandwich-Generation?
Mahmut Özdemir: Ich schreibe sehr viel von Hand, mache die handschriftlichen Notizen dann zu digitalen Vermerken für den weiteren Arbeitsverlauf. Ich sehe mich da als Teil einer gekniffenen Generation. Was unsere Väter und Mütter damals im Grundgesetz als wichtig erachtet haben, muss meine Generation in Bezug auf den Zeitgeist und die gesellschaftliche Realität entsprechend in verfassungsrechtliche und gesetzliche Garantien ummünzen. Das heißt, wenn jemand eine Email schreibt, muss das nach meinem Verständnis genauso sicher sein als wenn man einen verschlossen Brief auf den Weg schickt, der nach dem Briefgeheimnis grundgesetzlich geschützt ist. In die Richtung müssen wir so langsam gehen im 21. Jahrhundert als frisch gewählte Politiker und auch als junge Abgeordnete.
Warum tut sich die Koalition so schwer mit der Snowden-Befragung?
Mahmut Özdemir: Ich glaube nicht, dass wir uns einen Gefallen damit tun, wenn wir Snowden befragen. Ich halte die Aktionen des Grünen-Abgeordneten Ströbele eher nur noch für ein lächerliches Symbol. Ich glaube, es ist wichtiger, die grundlegende Frage zu beantworten: Wann setzen wir den Schutz der Vertraulichkeit von 80 Millionen Menschen im Land auf den Prüfstand? Kann dieser Grundrechtsschutz aufgrund von unabdingbaren Sicherheitsfragen außer Kraft gesetzt werden, wenn wir, die USA, oder eine internationale Staatengemeinschaft es verlangen? Das ist die Frage, die wir beantworten müssen. Und nicht, ob uns Snowden sagen kann, ob die uns ausspioniert haben. Das wissen wir mittlerweile. Auch dass es ein BND-Mitarbeiter ein Spitzel gewesen sein soll. Das wissen wir alles.
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Sie und alle Mitglieder des Innenausschusses sind deshalb für eine Sondersitzung aus der Sommerpause zurückgeholt worden.
Mahmut Özdemir: Ja, das war der Tag der Weltmeisterparty in Berlin, ich war auf dem Weg zum Sitzungssaal, als über mir die Lufthansa-Maschine hinweg flog.
War man nach der Sitzung schlauer?
Mahmut Özdemir: Selbstverständlich. Es war ein sehr hochrangig besetztes Gremium, mit Vertretern aus den Ministerien und den Geheimdiensten, die uns Rede und Antwort gestanden haben. Es war eine vertraulich eingestufte Sitzung, ich darf daraus nichts berichten. Aber wir können ja nicht international klagen und in Deutschland nichts tun. Wir können dafür sorgen, dass der Grundrechtsschutz der Bürger sichergestellt wird, da müssen wir unsere eigenen Geheimdienste an die Kandare legen. Die Geheimdienste kommunizieren ja auch untereinander.
Wird das Thema auch einer der Kernpunkte Ihrer USA-Reise sein?
Mahmut Özdemir: Ja, für mich sicherlich. Es ist übrigens auch eines der Themen, auf die ich im Wahlkreis sofort angesprochen werde. Wir müssen mit der Datengrundschutzverordnung auf europäischer Ebene sicherstellen, dass unsere Daten nicht zu den Amerikanern kommen, dass sie nicht über europäische Subunternehmen oder Töchter weitergeleitet werden, sondern hier bei den Unternehmen bleiben. Das ist ein wichtiger Punkt, den man den Amerikanern selbstbewusst entgegen setzen kann.
Das Auftreten der Regierung erschien in diesem Konflikt aber häufig alles andere selbstbewusst.
Mahmut Özdemir: Ich fand es richtig, dass sowohl die Kanzlerin als auch Außenminister Steinmeier es deutlich formuliert haben: Es ist ein Akt unter Freunden, der geht gar nicht. Und wenn man dem Sicherheitschef der Botschaft in Berlin sagt, dass er seine sieben Sachen packen soll, dann ist das ein deutliches Zeichen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen.
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Zurück nach Duisburg: Es gibt quasi wieder eine Haushaltssperre, der Kämmerer stöhnt wegen steigender Soziallasten und ruft nach mehr Hilfe aus Berlin. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Mahmut Özdemir: Die Menschen auf der Straße interessiert es überhaupt nicht, ob Bund, Land oder Kommune zahlt. Deshalb hilft der Schrei des Kämmerers nach Berlin oder nach Düsseldorf nicht. Wir kommen nur zu einer Lösung, wenn sich alle Ebenen an einen Tisch setzen. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir das Teilhaberecht neu aufstellen wollen, das bedeutet nach meiner Lesart fünf Milliarden Euro netto für die Kommunen, wobei übergangsweise ab dem Haushaltsjahr 2015 jeweils eine Milliarde bereits verabschiedet ist. Was der Kämmerer mitteilt, ist ja bundesweit bekannt. Alle wissen, dass wir mit weiteren steigenden Sozialkosten zu rechnen haben. Aber wir haben auch geliefert.
"GroKo-Start war etwas holprig"
Sie hatten sich vor der Wahl für eine linke Mehrheit in Berlin ausgesprochen. Wie sehen sie bisher die Große Koalition?
Mahmut Özdemir: Der Start war etwas holprig. Aber der Koalitionsvertrag hat eine starke sozialdemokratische Handschrift, jetzt müssen wir die Schäfchen ins Trockene bringen. Erste Erfolge gibt es mit der Rente und dem Mindestlohn. Das sind übrigens zwei essenzielle Themen, bei denen wir innerhalb der SPD Vergangenheitsbewältigung durch die Hintertür betrieben haben. Es dreht sich um das, was wir unter Schröder gemacht haben, wo wir im Vertrauen auf Arbeitgeber Türen und Tore geöffnet haben, um den Arbeitsmarkt zukunftsfähig aufzustellen.
Sie halten die Agenda-Politik im Nachhinein für falsch?
Mahmut Özdemir: Nein. Es war richtig, diese Türen und Tore zu öffnen, sie wurden aber von der Wirtschaft missbraucht. Und deshalb schließen wir sie jetzt wieder. Wir hätten keinen Mindestlohn gebraucht, wenn Arbeitgeber nicht statt einem Festangestellten lieber vier 400-Euro-Kräfte einstellen, um Steuern zu sparen. Beim Teilzeit- und Befristungsgesetz haben wir uns im Koalitionsvertrag nicht durchgesetzt, das ist mir immer noch ein Dorn im Auge.
Warum genau?
Mahmut Özdemir: Meine Generation gründet keine Familie baut kein Haus, kauft kein Auto, wenn wir ein Jahres- oder Zweijahresvertrag haben und nicht wissen, ob wir den noch einmal verlängert kriegen. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Ich halte es nach wie vor für falsch, befristete Beschäftigung in diesem Maße, wie es das Gesetz derzeit zulässt, weiter zu verbreiten. Als direkt gewählter Abgeordneter kann man so eine Schnute auch mal riskieren.
Wo ist der Unterschied, ob Abgeordnete direkt gewählt sind oder über die Liste einziehen?
Mahmut Özdemir: Grundsätzlich sind alle gleich gestellt, die im Bundestag sitzen. Aber es gibt in der Wahlkreisbetreuung Unterschiede. Es kommt auf den Stil an. Ich kann meine Wähler aus Duisburg nicht vertreten, wenn ich nicht weiß, was sie denken. Das ist der Stil, den ich versprochen habe: Ich nehme die Meinung von hier auf und werde sie da drüben sagen. Dafür bin ich der Vertreter. Das ist vielleicht in den letzten Jahren oder allgemein im Vertrauen in die Politik zu kurz gekommen.
Was machen denn die anderen 192 SPD-Abgeordneten, die über die Liste eingezogen sind?
Mahmut Özdemir: Die sind natürlich genauso fleißig im Wahlkreis unterwegs wie ich.
"Ich präferiere Rot-Rot-Grün für Duisburg"
Sie waren Verfechter von einer linken Mehrheit auf Bundesebene, es ist bei Schwarz-Rot geendet. So könnte es auch in Duisburg laufen, trotz einer klaren Mehrheit für Rot-Rot-Grün. Warum tut sich die SPD hier so schwer?
Mahmut Özdemir: Wir tun uns nicht schwer. Wir sind in Duisburg die Partei, die bis auf einen Wahlkreis alle Ratswahlkreise geholt hat, das kommt nicht aus heiterem Himmel. Wir haben ja auch satte Mehrheiten in allen Bezirksvertretungen. Mit diesem Selbstverständnis gehen wir in die Verhandlungen. Und es ist doch üblich, mit allen demokratischen Parteien zu sprechen. Am Ende wird ein Bündnis herauskommen, das eine starke sozialdemokratische Politik in Duisburg unterstützt. Wer dazu beitragen wird, werden wir sehen.
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Wo liegt denn ihre persönliche Präferenz? Als Ortsvereinsvorsitzender in Homberg haben Sie Rot-Rot-Grün in der Bezirksvertretung doch selbst ausgehandelt.
Mahmut Özdemir: Ja, ich bin mit diesem Bündnis in Homberg sehr zufrieden. Ich glaube auch, dass dies ein gutes Bündnis auf Ratsebene wäre; deshalb ist auch Rot-Rot-Grün meine Präferenz. Aber Glauben und Präferenzen sind keine verhandelten Verträge, wo diese Präferenzen sonst in Duisburg liegen werden, müssen der SPD-Vorsitzende Ralf Jäger, sein Verhandlungsteam und letztlich der Parteitag der SPD Duisburg, also unsere Mitglieder, entscheiden.