Duisburg. . Jürgen Schlicher glaubt, dass man Rassismus am eigenen Leib spüren muss, um dafür sensibler zu werden. In der Fernseh-Dokumentation „Der Rassist in uns“ wird es auch für den Zuschauer ausgesprochen unbequem.
Schon am Eingang wird selektiert: Die Braunäugigen werden herzlich willkommen geheißen, freundlich umgarnt, die Blauäugigen geduzt, runtergeputzt, mit einem albernen grünen Kragen gebrandmarkt und dann abgeführt. Sie alle sind Teil eines „Workshops“, freiwillig dabei, von einem Kamerateam beobachtet, können nach ein paar Stunden wieder nach Hause gehen. Und doch ist die Dynamik so intensiv, dass manche abbrechen, noch bevor es richtig begonnen hat.
Training gegen Stammtischparolen
Der Film „Der Rassist in uns“ läuft am Donnerstag, 10. Juli, um 22.15 Uhr auf ZDF Neo. Weitere Infos: www.diversity-works.eu.
Um Vorurteilen im Alltag besser begegnen zu können, bietet Jürgen Schlicher das Training „Argumentieren gegen Stammtischparolen“ am Samstag, 30. August, von 10 bis 18 Uhr an, Anmeldung unter 0203 / 60 49 448 oder info@diversity-works.eu.
Seit sieben Jahren lebt der gebürtige Bochumer in Huckingen, hat hier dank seiner Tochter seinen Lebensmittelpunkt. Seine Arbeit bietet er aber bundesweit sowie in den Niederlanden an.
„Der Rassist in uns“ heißt der Dokumentarfilm, der heute im TV auf ZDF Neo gezeigt wird und in dessen Mittelpunkt der Duisburger Jürgen Schlicher steht. Er lässt seine Kursteilnehmer am eigenen Leib spüren, wie Rassismus funktionieren kann, wie es ist, diskriminiert, herabgewürdigt und verunsichert zu werden. Und wie schnell man umgekehrt davon überzeugt sein kann, man gehöre zur klügeren, besseren Gruppe. Schon das Setting ist einschüchternd, alle aus dem Team sind streng in Schwarz gekleidet, wie uniformiert. In der Mitte sitzen dicht an dicht auf kleinen Hockern die Blauäugigen, außen rum wie in einer Arena die Braunäugigen. Schlicher macht aus den einen Tätern, aus den anderen Opfer.
Er ist Diplom-Politologe, arbeitet als Trainer in der Antirassismus- und Demokratisierungsarbeit, auch Interkulturelle Kompetenzentwicklung ist sein Thema. Nach dem Film ist es fast unheimlich, mit dem Huckinger zu sprechen. Er kann erschreckend ätzend sein, manipulativ, ein richtiges A...loch, im nächsten Moment charmant und freundlich, je nach Adressat. „Meine Kompetenzen habe ich schon auf dem Schulhof gelernt, ich habe eine typische weiße, männliche Sozialisation. Man lernt in der deutschen Gesellschaft, Leute abzuwerten“, sagt Schlicher. „Und ich fürchte und vermute, dass ich das auch gemacht habe, dass ich mich auf Kosten anderer aufgewertet habe.“ Um den Rassisten in sich zu erkennen, hält Schlicher Selbsterfahrung über manche Schmerzgrenze hinweg für unumgänglich: „Rassismus hat immer auch mit Emotionen zu tun, und die kann man schlecht theoretisch begreifbar machen“, bedauert der 47-Jährige. Effektiv sei, erstmals in einer Gruppe Privilegien zu haben oder diskriminiert zu werden.
Konzept von Jane Elliott nicht unumstritten
Das Konzept wurde 1968 von der amerikanischen Grundschullehrerin Jane Elliott entwickelt, hat sich weltweit verbreitet, Jürgen Schlicher hat bei ihr gelernt. Unumstritten ist die Methode nicht, Kritiker beklagen etwa, dass bei dem Seminar zu häufig die Ebenen gewechselt werden, dass es wie ein Rollenspiel wirkt, ohne die dafür nötigen Spielregeln zu benennen. Auch sage es nichts darüber aus, ob Menschen, die im Rahmen dieses „Workshops“ passiv geschehen lassen, dass mit anderen schlechter umgegangen wird, nicht in einer ernsten, authentischen Situation doch eingreifen würden.
Die etwas platte Blaue-Augen/Braune-Augen-Differenzierung hebt Schlicher dadurch auf, dass einzelne in die jeweils andere Gruppe geholt werden. Im Film ist das etwa Rene, der trotz blauer Augen in die braune-Augen-Gruppe kommt. „Bei ihm war sofort klar, dass er Diskriminierungs-Erfahrungen hatte, weil er verstanden hat, dass es hilfreich ist, in bestimmten Situationen nicht zu doll aufzufallen“, erklärt Schlicher seine Entscheidung. Und tatsächlich: Rene wurde nach seinem Coming-Out von der eigenen Fußballmannschaft geschnitten, erlebte entwürdigende Situationen, stieg schließlich aus dem Sport aus.
Schlicher sagt, er habe noch keine wirksamere Methode gefunden, daher greift er in anderen Seminaren zumindest auf einen Dokumentarfilm zurück, der Jane Elliotts Versuch mit der Schulklasse zeigt.