Berlin. Vorurteile und Gemeinheit schlummern in jedem Menschen: Der Spartensender ZDFneo zeigt in der Sendung “Der Rassist in uns“ einen Versuch, bei dem die Teilnehmer mit blauen Augen wenig zu lachen haben. Das Ergebnis der “Social-Factual“-Sendung ist eine Lehrstunde in Sachen Alltagsdiskriminierung.
Es ist ein makaberes Versprechen. "Sie werden erleben, wie schnell ein Mensch zum Opfer, aber auch zum Täter werden kann." Das kündigt Moderator Amiaz Habtu den Zuschauern von ZDFneo am Anfang der Sendung "Der Rassist in uns" an. Das Schlimme ist: Er hält Wort. Am Donnerstag um 22.15 Uhr erteilt der Spartensender eine bittere Lehrstunde in Sachen Alltagsdiskriminierung.
39 Männer und Frauen haben sich zu einem "Workshop" bereiterklärt. Sie alle sind ahnungslos, was passieren wird. Anti-Rassismus-Trainer Jürgen Schlicher trennt sie in zwei Gruppen. Die Braunäugigen werden am Einlass herzlichst empfangen und mit bequemen Stühlen und Kaffee versorgt. Die Blauäugigen aus der Warteschlange erleben Schlicher dagegen direkt von seiner miesesten Seite.
Der große Mann mit Bürstenschnitt und dunklem Anzug ist zu den Blauäugigen herablassend. Er mobbt und schnauzt sie an. "Hast Du irgendeinen Tick, der Dich zwingt, immer so blöd zu grinsen?" Danach werden die Blauäugigen von stummen schwarzgekleideten Security-Leuten wie Schlachtvieh abgeführt. Als Zeichen der Absonderung bekommen sie einen grünen Kragen um den Hals.
Zuweilen blitzt Anstand oder Mitleid auf
Einschreiten tut in der Schlange niemand. Vorurteilsforscherin Prof. Juliane Degner verfolgt derweil alles auf dem Videomonitor. Sie kennt diesen Mechanismus: "Man kann sehr oft fehlendes Hilfeverhalten damit erklären, dass Leute tatsächlich erschließen: "Es ist schon okay so. Ich glaube, hier passiert gar nichts Schlimmes. Ach, das sind nur Teenager, die miteinander streiten. Da passiert nichts. Weil wen da was Schlimmes passieren würde, würde doch jemand was machen.""
Immer mehr bekommen die gehätschelten Braunäugigen Vorurteile eingeimpft. Plakate wie "Blauäugige neigen verstärkt zur Kriminalität", "Blauäugige ruinieren unser Bildungssystem" oder "Wir können nicht zulassen, dass Blauäugige in Deutschland unsere Sozialsysteme ausnutzen" wirken im Hintergrund auf sie ein. Der Trainer hetzt und schmeichelt: "Ihr werdet in dem Text extrem gut abschneiden, weil Ihr intelligenter seid, weil Ihr schlauer seid, weil Ihr interessierter seid, weil Ihr viel über andere lernen wollt. Und weil ich Euch die Hälfte der Antworten geben werde."
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Die Anweisungen für das Zusammentreffen mit den Diskriminierten sind präzise: "Lacht nicht mit Ihnen, sondern über sie. Und wenn ich jemanden erwische, dass er zuzwinkert, dass das alles nicht so ernst gemeint ist, werde ich Eure Augenfarbe schneller ändern als Ihr blinzeln könnt." Profi Schlicher manipuliert geschickt. Er befördert zum Beispiel einen Blauäugigen zum Braunäugigen. Dessen Kollegen mit blauer Iris müssen derweil in einem kargen Raum schmoren. Ohne jeden Luxus. Keiner kommt und redet mit ihnen. Schließlich droht die Stimmung zu kippen. Doch dann bleiben die Diskriminierten doch.
Zuweilen blitzt Anstand oder Mitleid auf. Ein junger Mann will einer stehenden blauäugigen Dame seinen Sitzplatz geben. Er darf es nicht. "Wenn es den Blue Eyes hier nicht gefällt, sollen sie doch dahin gehen, wo sie hergekommen sind", muss einer der Underdogs vorlesen.
Idee wurde bereits in den 60ern entwickelt
In weniger als vier Stunden wirkt das Gift, dass der Trainer seinen "Workshop-Teilnehmern" - die doch nichts anderes sind als Versuchskaninchen - verabreicht hat. Als er eine blauäugige Frau auf ihr Wissen testet und in die Menge der Privilegierten fragt: "Wer möchte, dass sie dorthin zurückgeht, wo sie hergekommen ist?", recken viele Arme hoch. Einer sagt später: "Sie wollte von Anfang an eine Position zeigen, sie sei was Besseres. Muss ich ehrlich sagen." Die anfängliche Solidarität der Teilnehmer bröckelt immer mehr.
Nur die Wenigsten begehren auf. "Ich konnte es nicht ertragen, dass ich das Gefühl habe, dass die Blauäugigen schlecht behandelt werden", sagt die braunäugige Annette. "Sie hat verstanden, worum es geht", sagt die Forscherin am Monitor.
ZDFneo nennt die Sendung ein "Social-Factual-Format". Manchmal erinnert sie unangenehm an Schulunterricht. Manchmal wiederum ist die Gemeinheit gegenüber Probanden schwer zu ertragen. Was den Machern aber hervorragend gelungen ist: Die Sendung zeigt unbarmherzig die Mechanismen, wie Menschen Leute mit einem bestimmten Merkmal - seien es Zuwanderer oder andere Gruppen - ausgrenzen, herabwürdigen und unter Druck setzen, ohne dass sie sich dessen überhaupt bewusst sind.
Das Training basiert auf einer in den 60ern entwickelten Idee der US-Lehrerin Jane Elliott. Ihr Schüler Schlicher zieht in einer gemeinsamen Nachbesprechung ein simples Fazit: "Wenn Ihr anfangen würdet, in so einer Situation etwas zu sagen und dafür zu sorgen, dass das aufhört, wird die Situation sich sofort verändern." (dpa)