Duisburg. . Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Schülern soll nun auch in Duisburg zum Regelfall werden. Dafür sind allerdings erhebliche Umgestaltungen in der Schullandschaft nötig. Diese entsteht gerade in Planspielen - und soll bis 2015/16 Realität werden.

115 Kinder mit Förderbedarf werden zum kommenden Schuljahr eine weiterführende Regelschule besuchen. Das sind kaum mehr Schüler als im letzten Jahr. Der überwiegende Teil hat sich für den Besuch einer der 17 Förderschulen entschieden. Inklusiv ist das noch nicht. Soll es aber zum Schuljahresbeginn 2015/16 werden. Denn dann greift die Mindestgrößenverordnung für Förderschulen: Aktuell bringen es drei nicht auf die vorgeschriebene Schülerzahl. Ralph Kalveram, Leiter des Amtes für schulische Bildung, will aber keine Schließungs-Debatte. „Ich will die Förderschul-Kompetenzen retten“, betont er. Und deshalb tagen derzeit allerorten Planungsforen über alle Schulformen hinweg, um die Schullandschaft der Zukunft zu gestalten.

Bisher 19 Schulstandorte mit Aufzug

Gemeinsamer Unterricht wird in Duisburg schon einige Jahre gepflegt, anfangs nur an den Grundschulen, inzwischen an allen Schulformen. Zuletzt lag die Integrationsquote bei 19 % aller Kinder mit Förderbedarf.

Da es eine völlige Überforderung wäre, wenn künftig jede Schule alles machen würde, gehe man umgekehrt von den Möglichkeiten aus: Welche Schule ist barrierefrei oder kann entsprechend umgestaltet werden? Aktuell sind z.B. nur an 19 Schulstandorten Aufzüge vorhanden, davon fünf Gymnasien, eine Hauptschule, drei Grundschulen, neun Gesamtschulen und eine Förderschule. Welches System eignet sich für bestimmte Förderbedarfe?

Voraussichtlich nicht alle Schulen inklusiv

Aktuell laufen in den Organisationsgremien Planspiele, in denen Schwerpunkte gebildet werden, demnach würden voraussichtlich nicht alle Schulen inklusiv. „Die Kinder sollen ja auch nicht untergehen in großen Systemen“, betont Kalveram. Die Probleme liegen nicht bei den körperbehinderten Kindern mit gymnasialer Empfehlung, sondern bei der großen Zahl der schwer Verhaltensauffälligen, den sozial und emotional beeinträchtigten Kindern, die man bestmöglich integrieren wolle. Wie man das macht, wenn die einen unter Leistungsdruck stehen, die anderen gar keine Noten bekommen, „da lernen wir gerade erst laufen“, gesteht Kalveram.

Der Amtsleiter ist froh, dass die Schulen aktiv mitarbeiten, dass auch Personalrat und Elternvertreter perspektivisch mit ins Boot geholt werden sollen. „So eine Veränderung kann man nicht von oben herab diktieren, da müssen alle mitmachen.“

Im Herbst soll der Rahmenplan stehen, sollen alle Standorte festgelegt sein. Ist die Politik damit einverstanden, gelte es, die Ressourcen zu verteilen, Fortbildungen zu organisieren. „Wir werden auch die Demografiegewinne ebenfalls für die Inklusion nutzen“, sagt Kalveram mit Blick auf die insgesamt sinkenden Schülerzahlen.

Inklusion in Duisburg - Interview mi Ralph Kalveram zur Finanzierung 

Bei den Kosten für den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern haben sich das Land NRW und die Städte jetzt einigen können. Ralph Kalveram vom Amt für schulische Bildung bewertet die Entscheidung, zu den 175 Mio. Euro jährlich weitere 35 Mio. Euro für Mehrkosten der Kommunen bereit zu halten:

Ist die Finanzierung des Inklusionsprozesses in Duisburg jetzt gesichert?

Ralph Kalveram: Wir freuen uns über die Einigung, auch wenn Duisburg den Klageweg nicht beschritten hätte. Mal sehen, was übrig bleibt, wenn man die Summe auf alle Kommunen verteilt. Im Vorfeld haben wir keine Kostenermittlung gemacht, sondern eine andere Reihenfolge gewählt: Wir wollen erst die Schullandschaft neu ordnen und dann gucken, was dafür nötig ist. Das ist vor allem Personal.

Das heißt, Sie wissen nicht, wie viele Umbauten nötig sind oder wie hoch künftig etwa die Fahrtkosten sein werden?

Kalveram: Wir können nur den Ist-Zustand abbilden, den Elternwillen können wir nicht vorhersehen. Durch die Finanzzusage werden die Schulen jedoch ermutigt, mitzumachen beim Planungsprozess. Es wird keinen Neubau geben, aber manche Schulen werden eine andere Zügigkeit bekommen, kleinere Klassen, Betreuungs- und Differenzierungsräume. Indirekt bekommen wir durch die Inklusion ein besseres Raumprogramm.

Ein Gutachten für Essen hat ergeben, dass man für die Umbauten mit 18 Mio. Euro kalkulieren muss, für die laufenden Kosten wie Schulsozialarbeiter, Integrationshelfer etc. 12 Mio. Euro. Eine Reduzierung der Klassengröße auf 25 Schüler würde 40 Mio. Euro kosten.

Unsicherheitsfaktoren begleiten die Entwicklung der Schullandschaft - sei es der Elternwille bei der Wahl der Schule oder die Zahl weiterer Zuwanderer. Lässt sich da überhaupt mehr als mittelfristig planen?

Kalveram: Keine Stadt hat ein fertiges Inklusions-Konzept in der Tasche. Fünf Jahre wird es mindestens dauern, bis unser System steht. Wir wollen Schnellschüsse vermeiden, die Kinder dürfen nicht untergehen.

Lebenshilfe will Lehrern helfen 

Die Lehrerfortbildung in Sachen Inklusion läuft noch gar nicht, beobachtet Michael Reichelt, Geschäftsführer der Lebenshilfe. Er hat deshalb mit seinem Team ein Angebot entwickelt, über das Lehrern vermittelt werden könnte, wie man mit bestimmten Behinderungen umgeht, welches Know-How nötig ist.

Auch an Hospitationen in den Einrichtungen der Lebenshilfe denkt er dabei. Und sucht jetzt Verbündete bei der Stadt und den Studien-Instituten. „Wir erreichen ja nur jene, die ohnehin offen und sensibel für das Thema sind“, befürchtet Reichelt. Aber im Sinne einer Chancengerechtigkeit dürfe man es „keinem Kind zumuten, dass es nicht gewünscht ist wegen fehlender Kompetenz in der Lehrerschaft“.

Dass es daran bislang noch mangelt, beobachtet Reichelt regelmäßig beim Umgang mit den Integrations-Helfern in den Schulen. 150 sind über die Lebenshilfe in Duisburg im Einsatz, geben den Kindern bedarfsgerecht die nötige Unterstützung für den Schulalltag. Lehrer würden die Begleiter aber gern für Botendienste einsetzen, als zusätzliche Lehrkraft oder Aufsichtsperson.