Duisburg. .
„Angst hatte man immer“, blickt Albert Stockebrand auf die Kriegszeit zurück: „Ich war damals ein Kind, aber die Erinnerungen haben mich nie verlassen. Danach mussten wir noch viel ärgere Erlebnisse durchleben. Das Entsetzen steigerte sich. Doch die erste Prägung war entscheidend hart.“
Stockebrand, zwischen 1975 und 1994 SPD-Ratsherr, davon neun Jahre stellvertretender Fraktionsvorsitzender, gelernter Telefonmechaniker und späterer Leiter des Bertolt-Brecht-Berufskollegs in Huckingen, wuchs auf in einem katholischen Arbeiterhaushalt in Hochfeld, nahe der damals neuen Rheinbrücke.
„Man lebte miteinander"
„Wir wohnten direkt an der Brücken-Auffahrt, die über Nacht plötzlich vom Militär stark bewacht wurde, das uns Kinder jedoch unbehelligt spielen ließ“, erinnert sich der 84-Jährige: „Noch stärker beeindruckte uns der Aufbau eines großen Scheinwerfers direkt hinter unserem Hausgarten, dessen Bedienungs-Mannschaft in einer kleinen Hütte daneben Quartier machte. Da das bisher unbegrenzt unser Spielplatz war, steckte die Kindergruppe aus dem allein stehenden Haus zur Freude der Soldaten ihre Nase überall hinein. Man lebte miteinander und aß mit den Soldaten statt daheim.“
Tatsächlich sei es schon bald darauf zu ersten Angriffen durch englische Flieger gekommen, heftig beschossen von den im weiten Rund aufgebauten Flak-Kanonen: „Wir Kinder waren von dem Spektakel begeistert und sammelten ohne Nachdenken die herab geregneten Granaten-Splitter. Das Knallen ertrugen wir wie Karneval-Patrönekes.“
Ein Schlachtfeld war entstanden
Sogar spät abends oder auch in der Nacht hätten die Kinder bei Angriffen Geschoss-Reste gesammelt, „während die Eltern im Luftschutzkeller glaubten, wir schliefen im Nachbarraum“.
„Eines abends brummte es besonders stark und zu unserer Freude erfasste unser Flak-Scheinwerfer einen der englischen Flieger, auf den sich sofort auch andere benachbarte Scheinwerfer und vor allem die Geschütze ausrichteten“, berichtet Stockebrand: „Doch plötzlich schoss der Engländer in seiner Notlage direkt in den Scheinwerferkegel unter sich hinein.
Das rettete ihn wahrscheinlich, aber der Scheinwerfer selbst explodierte mit großer Wirkung. Alle Soldaten der Bedienungsmannschaft und viele Besucher waren tot. Es war ein Schlachtfeld entstanden. Es fielen noch viele Bomben, bis schließlich alle verstanden hatten, dass es kein Spiel, sondern bitterer Ernst war. Die Menschen wurden stiller.“
Im Strudel der Vernichtung
Auf der in der Nähe liegenden Eigenstraße hatte eine Bombe ein Haus getroffen. Stockebrand: „Es war von oben bis zum ersten Stock herunter verschwunden. Ein Menschenstrom zog in eigenartiger Stille vorbei, als wenn eine Ahnung aufgekommen wäre, was künftig zu erwarten war.“
Zumindest die Kinder konnten danach zumindest zeitweise dem Grauen des Krieges ein Stück weit entkommen. „Wer immer wollte, konnte den Rest des Sommers und seine Ferien in Mecklenburg verbringen“, erinnert sich der Ex-Pädagoge und Ex-Politiker: „Dort wurden wir in Strelitz an den wunder-schönen Seen bei richtigen Sommerwetter von Menschen wie Helden versorgt, die nicht so richtig unsere Angst verstanden.
Sie ahnten nicht, was auf sie zukam und dass auch ihre Heimat in den Strudel der Vernichtung hinein gezogen würde. Und wir selbst waren Kinder, die über den Tod erschrocken waren, der unsere Nachbarn getroffen hatte. Wir wollten wieder spielen – ohne Angst. Und so passierte, was ist. Wir haben eine Erinnerung an das, was wir vergessen haben, um leben zu können und vielleicht zu warnen: Lass nicht vom Glück abhängen, was alle wollen: Frieden in allen Lagen und für jeden, der lebt.“