Duisburg. Die Duisburger Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen nach der Loveparade-Katastrophe abgeschlossen. Mittwochvormittag stellt die Behörde ihre Untersuchungsergebnisse in der Rheinhausen-Halle vor. Erwartet werden dann auch Antworten, gegen wieviele Beschuldigte Anklage erhoben wird.

Gut dreieinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg mit 21 Toten hat die Staatsanwaltschaft Duisburg Anklage gegen mutmaßliche Verantwortliche erhoben. Das teilten die Ermittler am Dienstag in Duisburg mit. Mittwoch, um 10 Uhr, hat die Staatsanwaltschaft zu einer Pressekonferenz in die Rheinhausen-Halle eingeladen.

Der Leiter der Behörde, Horst Bien, und Oberstaatsanwalt Michael Schwarz wollen dann über den Abschluss des Ermittlungsverfahrens informieren. Erwartet werden Antworten etwa auf die Fragen, wer zu den Beschuldigten zählt und wie der Tatvorwurf lautet. Im Vorfeld hieß es, angeklagt werde fahrlässige Tötung. Auch ist noch unklar, wo das Mammut-Verfahren, das vermutlich nicht vor 2015 beginnt, dann verhandelt wird. Im Duisburger Landgericht gibt es nämlich keinen Raum, der groß genug für den Prozess wäre.

Auch interessant

Duisburgs Rechtsdezernent Rabe wohl nicht angeklagt

Zuletzt hieß es, der Kreis der zunächst 16 Beschuldigten habe sich auf zehn oder elf Beschuldigte reduziert. Zu ihnen sollen vor allem Mitarbeiter des Duisburger Bauamtes zählen, die die Veranstaltung genehmigten sowie Angestellte des Veranstalters Lopavent. Laut Spiegel soll auch der Crowd-Manager der Loveparde Carsten W. (43) nicht angeklagt werden. Der städtische Koordinator der Loveparade, Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe, gehört nach Informationen der Redaktion ebenfalls nicht zu den Angeklagten, ebenso der damals verantwortliche Polizeiführer Kuno Simon.

Das Loveparade-Verfahren - eine Materialschlacht

In den dreieinhalb Jahre dauernden Ermittlungen zur Loveparade-Katastrophe haben Polizei und Staatsanwaltschaft eine riesige Menge an Daten und Beweismitteln ausgewertet. Allein 35.000 Blatt Hauptakten füllen Aktenordner, die aufeinandergelegt eine Höhe von sechs Metern ergeben würden, berichtet die Staatsanwaltschaft.

Für die Ermittlungen haben rund 90 Polizeibeamte und sechs Staatsanwälte mehr als 3500 Zeugen vernommen und Hunderte Terabyte Daten ausgewertet. Sie sichteten 900 Stunden Videomaterial von Überwachungskameras und Besucherhandys. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft wurden zudem mehrere umfangreiche Gutachten erstellt, die Aufschluss über das Geschehen geben sollen. (dpa)

Duisburgs abgewählter Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) und der Chef des Loveparade-Veranstalters Lopavent, Rainer Schaller, gehörten allerdings schon recht bald nicht mehr zu den Beschuldigten. "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen", kritisierte Rechtsanwalt Julius Reiter, der mit dem früheren Innenminister Gerhart Baum rund 100 Betroffene vertritt, vor kurzem.

"Die Opfer erwarten nun, dass das Hauptverfahren zügig eröffnet wird“, heißt es in einer Stellungnahme der Rechtsanwaltskanzlei „Baum, Reiter & Collegen zur Anklageherhebung. Unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortung einzelner seien für die Opfer und Hinterbliebenen, die immer noch täglich mit den Folgen der Katastrophe zu kämpfen haben, die Aufarbeitung des Sachverhalts und die Feststellung der Verantwortlichkeiten der Institutionen, also Veranstalter, Stadt und Polizei von zentraler Bedeutung.

Organisationsverschulden etwa bei der Polizei wird ausgeklammert

Die Düsseldorfer Kanzlei schreibt weiter: „Wir haben aber Zweifel, dass das Strafverfahren dieses leisten kann, da strafrechtlich nur Einzelpersonen belangt werden. Ein Organisationsverschulden, z.B. bei der Polizei, das hier eine große Rolle spielt, bleibt aber im Strafverfahren nach der jetzigen Anklageerhebung ausgeklammert. Dies ist den Betroffenen schwer zu vermitteln.“ Und für Jürgen Hagemann vom Loveparade-Selbsthilfeverein ist zudem unsicher, ob Beschuldigte überhaupt verurteilt würden. (mawo/we/dpa)

Wie die Loveparade-Katastrophe bei Hinterbliebenden und Traumatisierten nachwirkt 
Kurz vor dem dritten Jahrestag der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg am nächsten Mittwoch wird am Freitag eine neue Gedenkstätte vorgestellt. Sie erinnert am Ort der Massenpanik an die 21 Menschen, die im Gedränge ums Leben kamen.
Kurz vor dem dritten Jahrestag der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg am nächsten Mittwoch wird am Freitag eine neue Gedenkstätte vorgestellt. Sie erinnert am Ort der Massenpanik an die 21 Menschen, die im Gedränge ums Leben kamen. © Martin Gerten dpa/lnw

Die Duisburger Loveparade-Katastrophe vor dreieinhalb Jahren mit 21 Toten und Hunderten Verletzten hat viele Wunden hinterlassen, die bis heute nicht verheilt sind. Hinterbliebene und Traumatisierte kämpfen weiter für Gerechtigkeit.

Wie geht es den Angehörigen der Opfer?

Kerzen und Geschenke an der Gedenkstätte am Unglücksort zeigen, wie lebendig Erinnerung und Trauer sind. Der als Ombudsmann eingesetzte Seelsorger Jürgen Widera glaubt, die Aufarbeitung in den Familien sei auch durch das lange Warten auf einen Prozess gebremst. Dreieinhalb Jahre brauchte die Staatsanwaltschaft, um die Ermittlungen abzuschließen. Widera sagt, jetzt komme es entscheidend darauf an, wer sich letztlich vor Gericht verantworten müsse. "Wenn es so ausgeht, dass von den Verantwortlichen nur Sachbearbeiter übrig bleiben, wird das bei den Betroffenen und Hinterbliebenen für Aufregung sorgen." Dass mit der Anklage-Erhebung ein Prozess näher rückt, sei trotzdem eine gute Nachricht. In dem Verfahren könne geklärt werden, wie es zur Katastrophe kam. "Eine solche Antwort ist wesentlicher Teil der Trauerbewältigung", erklärt Widera.

Was ist mit den Menschen, die im Gedränge traumatisiert wurden?

Auch interessant

"Wer da drin gesteckt hat, ist nicht ohne psychischen Schaden herausgekommen", sagt Widera. Nur das Ausmaß der Verletzungen sei verschieden. Bis heute wenden sich regelmäßig Menschen an ihn, die aufgrund seelischer Verletzungen Schwierigkeiten haben, ins normale Leben zurückzukehren. Bei anderen breche das verarbeitet geglaubte Trauma immer wieder durch. Ähnliches berichtet auch Anwältin Bärbel Schönhof, die seit einigen Monaten 30 Loveparade-Opfer vertritt. "Manche von ihnen werden nie wieder ein normales Leben führen können." Sie könnten nicht mehr arbeiten, gerieten schon in der Supermarktschlange in Panik, fürchteten sich in engen Räumen.

Welche finanziellen Hilfen und Entschädigungen gibt es?

Nach der Katastrophe richtete Nordrhein-Westfalen einen Notfallfonds ein. Zwei Millionen Euro wurden an Hinterbliebene und Verletzte gezahlt. Auch der Haftpflichtversicherer des Veranstalters trat schon vor einem absehbar langwierigen Gerichtsverfahren in Vorleistung. Gut 500 Betroffene hätten sich gemeldet, teilte die Axa-Versicherung mit. Ihre Ansprüche reichen von kleinen Sach- bis zu schweren Personenschäden. Anwälte kritisieren die Versicherung: "Bislang bietet sie Minimalentschädigungen als Vergleich an, die bei weitem nicht reichen", sagt Schönhof. Statt angebotener Entschädigungen bis 10 000 Euro wolle sie für einige Mandanten 300 000 Euro erstreiten.

Was sagt der Haftpflichtversicherer dazu?

Auch interessant

Die Axa-Versicherung erklärt, drei Viertel aller Fälle seien einvernehmlich reguliert worden. "Dafür gelten dieselben objektiven Kriterien, die gelten würden, wenn einer oder mehrere Verantwortliche durch ein Gericht bereits verurteilt wären", teilte ein Sprecher mit. "Wenn in einigen Fällen noch keine Zahlungen erfolgen konnten, liegt der Grund häufig darin, dass Nachweise noch nicht oder noch nicht abschließend erfolgt sind." Hier leiste die Versicherung allerdings Teilzahlungen. Zur Höhe der gezahlten Entschädigungen äußerte sich der Versicherer nicht.

Wie weit ist die juristische Aufarbeitung?

In den rund dreieinhalb Jahren seit der Katastrophe haben Polizei und Staatsanwaltschaft einen Strafrechtsprozess vorbereitet. Jetzt sind die Ermittlungen abgeschlossen, die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Wer auf der Anklagebank sitzen soll und wie der Tatvorwurf lautet, blieb erst einmal weiter unbestätigt. Medien hatten zuvor berichtet, dass die Ermittler Anklage gegen zehn Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters Lopavent erhoben haben. Kritisch sehen Betroffene, dass Lopavent-Chef Rainer Schaller nicht zu den Beschuldigten gehört - und dass Polizei und leitende Stadtmitarbeiter angeblich nicht auf der Anklagebank sitzen sollen. Das Gericht muss jetzt prüfen, wann und ob es die Hauptverhandlung eröffnet. Das kann dauern, glauben manche: "Kein Strafprozess vor 2015", lautet Schönhofs Einschätzung.

Sind andere juristische Schritte möglich?

Neben dem Strafprozess hält Zivilrechtlerin Schönhof rechtzeitige Klagen auf Schmerzensgeld und Schadenersatz über den zivilrechtlichen Klageweg für notwendig. "Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, da die wirklich Verantwortlichen sonst nicht zur Rechenschaft gezogen werden und meine Mandanten nicht ausreichend entschädigt werden", meint die Anwältin. Im Mai will sie für 30 Mandanten Klage gegen Schaller, gegen seine Firma, gegen die Stadt und auch gegen das Land NRW als Dienstchef der Polizei einreichen, sofern die Versicherung bei ihrer derzeitigen Haltung bleibe. (Florentine Dame/dpa)