Kurz vor der Anklageerhebung zur Loveparade-Katastrophe schwindet die Hoffnung der Betroffenen auf eine vollständige Aufklärung des Unglücks. „Am Ende des Prozesses wird es möglicherweise eine große Enttäuschung geben“, sagt Opferanwalt Julius Reiter, der mit dem früheren Innenminister Gerhart Baum rund 100 Betroffene vertritt. Weil Medienberichten zufolge von den einst 16 Beschuldigten nur noch 10 angeklagt werden sollen, hält Reiter die komplette Aufarbeitung der Katastrophe innerhalb des Prozesses für gefährdet.
Und dennoch: Opferanwalt Reiter erwartet trotz der drohenden Widrigkeiten einen Fortschritt für Opfer und Angehörige. „Die Erhebung der Anklage ist aber auch eine Erleichterung, weil die Hängepartie nach vier Jahren endlich beendet wird. Allerdings ist die Reduzierung der Anzahl der Angeklagten keine Ermutigung für die Opfer.“
Staatsanwaltschaft schweigt weiter zur Anklage
Wie zuletzt berichtet, soll die Polizei aus dem Kreis der Beschuldigten ausgeschieden sein. Auch der Veranstalter Rainer Schaller von Lopavent und der Duisburger Bauordnungsdezernent sind offenbar nicht mehr dabei. „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, kritisierte Rechtsanwalt Reiter. Und für Jürgen Hagemann vom Loveparade-Selbsthilfeverein ist zudem unsicher, ob Beschuldigte überhaupt verurteilt würden. Die Staatsanwaltschaft schweigt derweil weiter zur Anklage und zum Kreis der Beschuldigten.
Opferanwalt Reiter sieht den Veranstalter Schaller von Lopavent keineswegs entlastet. Es stellten sich Fragen, in welchem Zusammenhang zum Beispiel Schallers Spardiktat vor der Veranstaltung mit dem Sicherheitskonzept gestanden habe. Ein Experten-Gutachten, das von der Staatsanwaltschaft nach dem Unglück in Auftrag gegeben wurde, habe gezeigt, dass die Verantwortlichen auch am Veranstaltungstag die Überfüllung der Rampe erkennen und die Katastrophe hätten vermeiden können. „Hier stellt sich also die Frage, wieso Schaller und sein Personal dies nicht erkannt haben.“ Es sei von Glück zu sprechen, dass es nicht noch deutlich mehr Tote gegeben habe, betonte Reiter.
"Bewusstes Versagen" und "Organisierte Verantwortungslosigkeit"
Am 24. Juli 2010 starben 21 Menschen, Hunderte wurden verletzt, Tausende Besucher und Angehörige erlitten psychische Schäden. Reiter wirft den Planern des Techofests daher „bewusstes Versagen“ und „organisierte Verantwortungslosigkeit“ vor. „Das hat mir Fahrlässigkeit nichts mehr zu tun“, sagte Reiter. Jürgen Hagemann vom Loveparade-Selbsthilfeverein sieht die juristische Aufarbeitung und vor allem das bisherige Verhalten der Stadt Duisburg kritisch. „Ich hoffe, dass es wenigstens zu einem Prozess kommt“, sagte Hagemann der Nachrichtenagentur dpa. Die juristische Aufarbeitung sei wichtig. Aber wenn es im Einzelfall nicht für einen Schuldspruch reiche, müsse man das akzeptieren.
Er sei gespannt, wie die Stadt mit der Sache umgehe, sagte Hagemann, dessen Tochter bei der Techno-Party verletzt wurde. Die Frage sei, ob es ohne Verurteilungen zu disziplinarischen Konsequenzen komme. Die Stadt habe gesagt: „Wir warten die Urteile ab.“ Doch bislang seien keinerlei Konsequenzen gezogen worden. „Wir wissen, dass Mails verloren gegangen sind. Da haben offenbar Leute Mails verschwinden lassen. Und im Bauordnungsamt wurde wissentlich weggesehen.“ (dpa)
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