Duisburg. Der Rheinhauser Pfarrer Dieter Herberth war 18 Jahre alt, als er aus Rumänien auswanderte. Er kam nach Bonn, sprach perfekt Deutsch und hatte Glück. Seine Cousine zeigte ihm den Weg zur Schule und die beste Disco. Nun will er mit einem Scout-Projekt Zuwanderern bessere Startbedingungen geben.
Dieter Herberth war 18 Jahre alt, als er mit seiner Familie aus Siebenbürgen in Rumänien auswanderte. Die Familie gehörte dort zur deutschen Minderheit. Sein Deutsch war perfekt, das Land kannte er, weil reger Kontakt zur Bundesrepublik bestanden hatte, und beim Einleben hier half ihm seine Cousine.
Sie erklärte ihm, wie Schule in Deutschland funktioniert, wo man günstig einkaufen kann und in welcher Disko es die besten Partys gibt. Er hatte 1985 also gute Startbedingungen – und wirbt deshalb in der aktuellen Debatte um Zuwanderung für mehr Verständnis. Der 46-Jährige arbeitet als Pfarrer in der Christuskirchengemeinde Rheinhausen. Dabei hatte ausgerechnet sein Bild von der evangelischen Kirche in Deutschland einen Knacks bekommen.
Nur wenige Berührungspunkte zwischen Bevölkerungsgruppen
„Die Deutschen hatten in Siebenbürgen viele Privilegien. In unserem Dorf Agnetheln gab es eine deutsche Schule und eine evangelische Kirche, wo sich alle getroffen haben.“ Herberths Ur-Ahnen und viele andere Deutsche hatten sich 12. Jahrhundert auf den Weg nach Rumänien gemacht, weil ihnen dort Land angeboten worden war. Sie sahen die Chance, frei als Bauern zu leben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie enteignet – und investierten in Bildung. So gelang vielen der Aufstieg. Es gab deutsche, rumänische und Roma-Dörfer. Viele Berührungspunkte zwischen den Gruppen gab es nicht.
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„In den 80er Jahren wollte die Regierung diese Privilegien beschneiden. Schulen sollten geschlossen und Deutsch durfte auf der Straße nicht mehr gesprochen werden“, erzählt er. Die Familie zog die Konsequenzen und ging. Das Haus mussten sie zu einem festgelegten Preis an den Tankwart verkaufen, „das war nach dem Bürgermeister der wichtigste Mann im Dorf“, und auch das Auto blieb in Rumänien.
Die Herberths packten selbst gewirkte Leinendecken, Erinnerungsstücke von Oma, Literatur und ein bisschen Kleidung in Koffer. Dann ging’s mit dem Zug nach Bonn. Herberth erinnert sich an große Werbetafeln, die ihm als erstes auffielen. „Es war irre, ich hab’ alles verstanden.“ Doch die Großstadt überforderte ihn. „Alles war so beliebig. Da, wo ich herkam, grüßten sich die Nachbarn.“ Auch in der Kirche ging es anonymer zu: Herberth, für den immer klar war, dass er Pfarrer werden will, haderte plötzlich – und nahm sich vor, später einmal seine Arbeit persönlicher zu gestalten.
Patenschaften für zugewanderte Familien
Genau so eine Gemeinschaft hat er mit der Christuskirchengemeinde gefunden. Das Gotteshaus ist eine alte Dorfkirche und die Verbundenheit der Menschen zur Gemeinde zu spüren. Alt und Jung engagieren sich. „Die Leute sind nicht so offen wie im Kölner Raum. Sie warten erstmal ab. Aber dann kann man sich auf sie verlassen.“
Mit ein paar engagierten Gemeindemitgliedern will er ein „Scout“-Projekt aufziehen. Die Deutschen sollen Patenschaften für zugewanderte Familien übernehmen – und ihnen etwa erklären, wo es einen guten Zahnarzt in der Stadt gibt, sie auf Freizeitangebote für die Kinder oder ihnen bei Behördengängen zur Seite stehen.
Derzeit verhandelt die Gemeinde, ob sie vielleicht Mittel für ein Büro bekommt. „Dann können wir eine Plattform für die Scouts schaffen, denn einige Fragen tauchen bestimmt öfter auf.“ Er weiß, wie wichtig gute Startbedingungen sind.
Wie Pfarrer Dieter die Situation in Rumänien einschätzt
Pfarrer Dieter Herberth hat auch im Rahmen einer Vortragsreihe der Volkshochschule über Roma informiert. Im Gespräch mit Fabienne Piepiora klärt er über die Situation in Rumänien auf.
Wie ist die Situation in Rumänien?
In Rumänien leben etwa zwei Millionen Roma. Davon stehen 90 Prozent in Lohn und Brot. Die restlichen zehn Prozent wandern. Anders als die Deutschen hatten und haben die Roma durchaus mit Rassismus in Rumänien zu kämpfen.
Als der Eiserne Vorhang fiel, der Sozialismus zusammenbrach und die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften geschlossen wurden, wurden viele Menschen arbeitslos. Der Staat machte marode Schulen dicht oder sanierte erst solche, die in den von Rumänen bevölkerten Dörfern standen. Es gibt Familien, da können die Großväter lesen und schreiben, die Enkel aber nicht. Die Armen machen sich auf den Weg.
Roma leben in vielen europäischen Ländern. Ist es die erste Zuwanderungswelle nach Deutschland?
Nein. Anfang der 90er Jahre hat es schon eine Einwanderungswelle gegeben, aber die ist von der Polizei und dem Grenzschutz rigoros gestoppt worden. Dann haben sich Menschen 2008 auf den Weg gemacht, kurz nachdem Rumänien in die EU aufgenommen wurde. Allerdings haben wir sie in Deutschland teilweise in die Halblegalität gedrängt, weil sie erst ab 2014 offiziell arbeiten dürfen und dann auch versichert sind.
Wie kommt es, dass sich viele Zuwanderer Duisburg aussuchen?
Es gibt auch Roma-Clans in der Türkei. Über die türkischen Roma haben sie vielleicht Kontakt nach Hochfeld bekommen. Roma sind geübt darin, sich zu integrieren und lernen die Sprache. Integration ist ein Prozess. In einigen Roma-Dörfern gab es keine Müllabfuhr. Also muss man ihnen erklären, dass das in Deutschland anders gemacht wird. Meine Erfahrung ist, dass die Familien Hilfe gerne annehmen.