Duisburg. Finn Brockerhoff (14) besucht Gerhard Heuse (92) regelmäßig und ehrenamtlich im Seniorenzentrum Im Schlenk in Duisburg-Wanheimerort. Dann sprechen die beiden über Gott und die Welt. Diesmal durfte die WAZ dabei sein und sich ein Gesprächsthema aussuchen: Weihnachten heute und anno dazumal.
Gerhard Heuse (92) kommt mit Rollator und einem Strahlen im Gesicht durch die Tür. Der Bewohner des Seniorenzentrums Im Schlenk in Wanheimerort freut sich auf diese Donnerstagnachmittage, wenn Finn Brockerhoff (14) für eine Stunde vorbeischaut. Seit September plaudert der Steinbart-Gymnasiast ehrenamtlich mit dem Senior im Rahmen des Awo-Schülerprojekts „Lernen mit Herz und Verstand“ über Gott und die Welt. Diesmal darf die WAZ dabei sein und sich ein Gesprächsthema aussuchen: Weihnachten heute und früher.
Gerhard Heuse beginnt zu erzählen. Als er Mitte der 30er Jahre so alt war wie Finn heute, lebte er mit seinen Eltern und acht Geschwistern in einem einfachen Wohnhaus in Pollnow, einem kleinen Städtchen in Hinterpommern. „Zwei Zimmer, die Küche auf dem Flur und ich habe mit meinen vier Brüdern zusammen in einem Raum über der Tischlerei meines Vaters im Hof geschlafen.“
Den Weihnachtsbaum im Wald geschlagen
Wo nicht viel Platz ist, rücken die Menschen enger zusammen. Auch im übertragenen Sinne. Gerhard Heuse hat das jedenfalls so erlebt. Nicht nur innerhalb der Familie und nicht nur an Weihnachten. „Die Nachbarn kamen dann immer zu uns. Man hatte nicht viel, aber man hat sich gegenseitig geholfen“, erzählt der 92-Jährige. „Vorher wurden reihum Schweine geschlachtet. Das musste aber für ein ganzes Jahr halten.“ Deshalb gab es an Heiligabend traditionell immer „nur“ Würstchen mit Kartoffelsalat – nach dem Gottesdienst. „Mein Vater war Kirchendiener“, sagt Gerhard Heuse nur.
Vor dem Fest hat er damals mit einem Bruder immer den Weihnachtsbaum besorgt. „Wir sind in den Wald geschlichen und haben eine Tanne gefällt. Da durfte man sich nur nicht erwischen lassen.“ Der Baum wurde mit Kerzen, Lametta und Schokoringen „für uns Kinder“ geschmückt. Weil der Vater Tischler war, gab’s öfter Schaukelpferde und Holzspielzeug als weitere Geschenke. „Ansonsten konnten wir keinen großen Wünsche haben, aber wir waren glücklich zusammen.“
Lernen mit Herz und Verstand
Das Projekt „Lernen mit Herz und Verstand“ bietet das Awo-Mehrgenerationenhaus in Kooperation mit dem Seniorenzentrum Im Schlenk Schülern ab 14 Jahren an. Die ehrenamtliche Tätigkeit umfasst 50 Stunden. Ein Einstieg ist jederzeit möglich.
Wer wie Finn Brockerhoff neue Erfahrungen mit der älteren Generation machen möchte, wendet sich entweder an Lisa Müller-Arnold vom Mehrgenerationenhaus unter 0203/30 95 643 oder an Jutta Muntoni, Projektleiterin im Seniorenzentrum, unter 0203/30 95 700.
Jedes Jahr die Weihnachtsgeschichte vorgetragen
Finn hat die ganze Zeit gebannt zugehört und ist ein bisschen nachdenklich geworden: „Es ist schon toll, dass man damals nicht viel brauchte, um ein schönes Weihnachtsfest zu feiern.“
Und wie sieht’s mit seinen Wünschen in diesem Jahr aus? Smartphone? X-Box? „Nee, technisch bin ich zwar ganz gut ausgerüstet, aber mit Spielekonsolen oder Computerspielen kann ich wenig anfangen“, erzählt der Neuntklässler. Bei ihm ganz oben auf der Wunschliste: eine so genannte Cajon, eine Kistentrommel aus Holz.
Vor der Bescherung sei das Kaufen und Schmücken des Weihnachtsbaumes im Hause Brockerhoff reine Mutter-Sohn-Sache, erzählt Finn. „Früher sind wir alle zusammen an Heiligabend auch noch in die Kirche gegangen und ich wollte anschließend zu Hause immer unbedingt die Weihnachtsgeschichte vortragen.“ Das habe sich mittlerweile geändert. Dafür werde das Essen stärker zelebriert.
Lachs mit überbackenen Salzkartoffeln
Was das betrifft, werde alljährlich experimentiert. „Diesmal gibt es irgendwas mit Lachs und überbackenen Salzkartoffeln“, sagt Finn. „Meine Mutter ist Vegetarierin...“ Fleisch komme deshalb erst wieder bei seiner Oma im westfälischen Altenberge am ersten Weihnachtsfeiertag auf den Tisch.
Gerhard Heuse, der seit 1953 in Duisburg lebt und früher als Kranführer gearbeitet hat, wird diesmal Heiligabend zum ersten Mal im Seniorenzentrum feiern. Eine Tochter kommt dann mit ihrem Mann zur Weihnachtsfeier vorbei, zwei Tage später geht’s zu einer Enkelin samt Urenkel. Und dann dauert es auch nicht mehr lange, bis Finn da ist und mit dem 92-Jährigen wieder über Gott und die Welt plaudert.