Duisburg. Über 100 Regalkilometer mit Hunderttausenden Dokumenten, Urkunden und Bildern werden das neue Landesarchiv im Duisburger Innenhafen füllen. Das mächtige Gebäude ist praktisch fertig, nun läuft der Innenausbau . Im bisherigen Archiv in Düsseldorf laufen die Vorbereitungen für den Umzug.
Das Landesarchiv, Duisburgs neue wuchtige Landmarke und mächtiger Betonkoloss in sattem Braun am Innenhafenbecken, ist fast fertig gestellt. In den Innenausbau fließen jetzt die letzten der knapp 200 Millionen Euro Baukosten.
Derzeit laufen die letzten Fassadenarbeiten an dem denkmalgeschützten ehemaligen RWSG-Speicher. Die zunächst nur zugemauerten Fenster (ins Archiv darf kein Tageslicht!) erhalten ihre einheitliche Klinkerverkleidung. Längst ohne Gerüst ragt der 77 Meter hohe, im „alten Reichsformat“ verklinkerte Betonturm mit dem spitzen Giebeldach an der A 40 weithin sichtbar in den Duisburger Himmel.
9000 qm zunächst zur Vermietung
Die fünfstöckige, 160 Meter lange Welle wird voraussichtlich Ende April fertiggestellt sein. An der Hafenseite des Archiv-Anbaus ist das Gerüst komplett demontiert, die Fassade ist gestrichen. Zurzeit sind die Maler im Inneren zu Gange. Vor dem geschwungenen Gebäude werden schon die Pflanzbeete und die Treppenanlage zum Foyer gestaltet. Im Eingangsbereich sind die gläsernen Trennwände eingesetzt und wird am Übergang zwischen Speichergebäude und Welle gearbeitet. Große runde Bullaugen wurden dazu in den Beton gesägt, die dem Foyer gestalterischen Pfiff geben sollen.
Daten und Fakten zum Bau des Landesarchivs
Der markante Ziegelbau, der auch gut von der A 40 aus zu sehen ist, umfasst 165 000 Kubikmeter Rauminhalt, das sind 165 Mio Liter.
Der Betonturm hat eine Höhe von 77 Metern. Mit besonderer Schalungstechnik wuchs er 2011 pro Tag um drei Meter in die Höhe.
Spatenstich für das Landesarchiv war im April 2010 noch mit dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers. Ein „wunderbarer Entwurf“ lobte der Staatssekretär Grosse-Brockhoff die Arbeit der preisgekrönten Architekten Ortner & Ortner. Und Rüttgers meinte: „Das wird das schönste Archivgebäude Deutschlands.“
Für den Archivbau wurde eine zweieinhalb Meter dicke Betonplatte gegossen. 504 Betonpfeiler reichen 14 Meter tief ins Erdreich. Über fünf Stockwerke verstärken 18 Pfeiler die alten Speicherstützen. 19 000 Tonnen Beton und Archivgut lasten auf dem Fundament.
Das Giebeldach besteht aus Hohlziegeln, die auf Alurohren aufgefädelt sind. Nicht sichtbar sind die Luftschlitze, die die Klimatechnik unterm Dach mit Frischluft versorgen.
In dem Anbau werden Büros für die Mitarbeiter untergebracht, ebenso die Werkstätten sowie die öffentlich zugänglichen Lese- und Veranstaltungsräume. Weitere Flächen werden als Magazin genutzt, rund 9000 qm sollen zunächst befristet vermietet werden, bis das Archiv mehr Platz braucht.
Umzug voraussichtlich zum Jahresende
In den künftigen Archivflächen läuft derzeit der weitere Einbau der Haustechnik. Zugleich arbeitet schon die Lüftungstechnik, die das geforderte trockene Archivklima und stabile Temperaturen schaffen soll. Luftschleusen sollen die Werte konstant halten. Stockwerk für Stockwerk werden auf den 21 Etagen die Betonböden beschichtet und zudem die Regalsysteme in den Magazinräumen eingebaut, die Ende Mai vom Landesarchiv abgenommen werden.
Vollständig an den Mieter übergeben wird das Landesarchiv voraussichtlich zur Jahreswende. Erst dann wird auch der Umzug beginnen. Der mögliche offizielle Eröffnungstermin für das Landesarchiv mit allen ministeriellen Ehren steht noch nicht fest. Die Sanierung der historischen, denkmalgeschützten Hafenkräne wird erst nach Abschluss der Bauarbeiten vorgenommen.
„Gedächtnis“ von NRW zieht gut verpackt ins neue Landesarchiv
Nein, mit einem normalen Umzug wird das nichts zu tun haben. Da genügen keine burschikosen, kräftigen Träger, auch keine farbigen Punkte auf den Kartons für Wohnzimmer, Keller oder Küche und das Know-how des Spediteurs um die Ecke: Wenn das „Gedächtnis“ Nordrhein-Westfalens, das Landesarchiv, 2014 in den Speicherkoloss am Innenhafen umzieht, gelten andere Maßstäbe, andere Regeln. Andere Dimensionen. Kein Wunder, allein 230.000 Bücher, 700.000 Bilder und knapp 100 Regal-Kilometer Akten und Amtsbücher, die lassen sich nicht mal eben in Umzugskartons packen und im Lkw verstauen.
Seit Jahren schon bereiten sich die Abteilung Rheinland des Landesarchivs und ihr Abteilungsleiter Dr. Frank Michael Bischoff auf das in Deutschland einmalige Szenario vor, dass das größte Archiv der Republik umzieht. „Das ist schon eine Herausforderung“, meint Bischoff in einer Mischung aus Stolz und Stress.
Baustelle Landesarchiv
Dabei ist das anvisierte Zielergebnis eigentlich einfach: „Ich will hinterher in Duisburg nichts suchen müssen“, sagt Bischoff unmissverständlich. Ganz der Archivar. Jede Stecknadel im Heuhaufen wäre auch leichter wiederzufinden als eine falsch abgelegte Akte in einem der 21 Stockwerke des neuen Archivs in dem wuchtigen Betonturm.
Landesarchiv hütet Verfassungsurkunde
Also ist Vorbereitung alles. Im EDV-System ist der Umzug praktisch schon virtuell vollzogen, das neue Archiv bereits im Computerprogramm einsortiert. Sei es das Kirchenbuch aus Kurköln, die landesherrlichen Verordnungen von 1782 oder eine der 106 473 Zweitschriften der Zivilstandsregister: Bischoff weiß jetzt schon (nicht im Kopf, aber am PC abrufbar) wo, in welchem Stockwerk, in welchem Regal, ja in welchem der 150.000 Regalbretter jede einzelne Akte oder Urkunde liegen wird. Die Logistik eines Großdiscounters ist da geradezu Küchenkammerlatein gegen die Magazinverwaltung des Landesarchivs.
Auf gerade mal fünf Etagen verteilt sich das Landesarchiv mit seinen Beständen derzeit noch in Düsseldorf. Weitere Standorte im Land werden in Duisburg gebündelt. Dazu ist das Archiv „Aufbewahrungsort“ für alles, was wichtig und erhaltenswert aus den Landesministerien und Behörden ist. Auch die Verfassungsurkunde NRW wird hier gehütet. In Duisburg wird der Platz wohl für die nächsten Dekaden reichen, auch wenn jedes Jahr ein weiterer Kilometer Archivmaterial hinzukommt.
Stabile Luftfeuchtigkeit und Temperatur
Von „unten nach oben“ wird sich der 77 Meter hohe Archiv-Koloss füllen, wenn der Umzugstross ab Beginn 2014 nach Duisburg rollen wird. Wochen wird das dauern. Nicht in braune Umzugskartons wird das Archivgut verpackt, sondern in Container-Wagen, die mit Stretch-Folie gegen Regen und Schmutz umwickelt werden. Klimatisierte Lkw werden die kostbare Fracht nach Duisburg schaffen – die „Klimakette“ darf nicht unterbrochen werden. Das historische Filmmaterial kommt sogar in Kühlwagen. Glasnegative werden buchstäblich in Watte gepackt. Und besonders wertvolle Urkunden wie ein Diplom des Kaisers Ludwig des Frommen von 821 als ältestes Bestandsstück oder mittelalterliche, kiloschwere Folianten gelangen mit Sonderfahrten nach Duisburg.
Dort müht sich der Bauherr, der landeseigene Baubetrieb, darum, für den künftigen Mieter und seine etwa 120 Mitarbeiter die „Bleibe“ herzurichten. Das heißt vor allem derzeit für das richtige Klima zu sorgen. Die großen Lüftungsanlagen unter dem Spitzdach des Turmes arbeiten daran, das gänzlich fensterlose Archivgebäude auf den geforderten Standardwert von 18 bis 20 Grad Temperatur und eine stabile Luftfeuchtigkeit von 45 Prozent zu bringen. Da dürfen keine Türen offen stehen, sollen sich tunlichst wenig Menschen aufhalten, die das empfindliche Raumklima stören.
"Haus der offenen Geschichte"
Penibel sind auch andere Werte einzuhalten: Die Böden der Stockwerke dürfen maximal ein Gefälle von einem Millimeter auf zehn Meter aufweisen. Da ist Statik de luxe gefordert, wenn tonnenschwere Last auf den gegossenen Betonflächen ruhen soll. Doch die perfekte Ebene muss sein, wenn die maßgefertigten Roll-Regalwände leichtläufig auf Schienen über Drehkreuze mit leichter Hand hin und her geschoben werden sollen.
Und das müssen sie öfter. Zur Archivverwaltung und für die rund 5000 Besucher, die das Landesarchiv derzeit in Düsseldorf im Jahr zählt. Schüler, Studenten, Wissenschaftler, Privatpersonen auf Ahnensuche oder Behörden in offizieller Mission lassen sich über die Findbücher Akten und Urkunden aushändigen. „Wir verstehen uns als offenes Haus der Geschichte“, betont Pressesprecher Dr. Andreas Pilger. Eingerichtet wird der große Lesesaal in der „Schlange“, dem wellenförmigen Anbau des Speichergebäudes. Dort soll es auch Ausstellungs- und Veranstaltungsräume geben.
Zum „Tag des Archivs“ im März 2014 Jahres werden noch gewiss nicht alle 150 000 Regalbretter mit Büchern, Akten und Zehntausenden Kartons gefüllt sein, doch den Termin hat Bischoff für einen Publikumstag im Kalender vermerkt. „Das ist schon ein monumentaler Bau und ein schönes Gebäude. Und der Blick von oben über Duisburg ist wunderbar“, sagt er. Ein Jahr noch, dann ist Bischoff täglich vor Ort.
Landesarchiv hütet auch Schätze der Duisburger Stadtgeschichte
Für Duisburger Heimatforscher ist das Stadtarchiv, der „kleine Bruder“, in Sichtweite gleich gegenüber auf der anderen Seite des Hafenbeckens gelegen, sicher die erste Anlauf-Adresse beim Aufspüren von Urkunden und historischem Material. Doch auch die Rheinische Abteilung des Landesarchivs hütet Duisburger Dokumente. Am Gesamtbestand dürfte der Duisburger Anteil im Promillebereich liegen, ein paar „Schätzchen“ sind dennoch darunter.
So verfügt das Landesarchiv über die größte Luftbildsammlung der Republik, die zum stattlichen Teil auch schon digitalisiert zur Verfügung steht. Beispielhaft für die Duisburger Bestände hat Dr. Frank Michael Bischoff eine alte Aufnahme aus den 30er Jahren vom Standort des neuen Landesarchivs am Innenhafen herausgesucht.
Abschrift der Klosterurkunde
Aufbewahrt wird auch eine Urkunde des Duisburger Magistrats von 1584, die die Klosterrechte der Hamborner Abtei bestätigt. Dabei handelt es sich praktisch um eine „beglaubigte Abschrift“ des Schriftstücks aus dem 1200 Jahrhundert. Ein grünes Siegel ziert das brüchig-papierene Dokument.
Zugänglich sind auch die Schriftstücke der Spruchkammerakten zur Entnazifizierung nach dem II. Weltkrieg, etwa das zu dem ehemaligen NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Loch, dem beschieden wurde, dass er bis 1952 kein öffentliches Amt wahrnehmen darf. Nach 30-jähriger Sperrfrist sind auch Schriftverkehre zwischen Stadt und Landesregierung öffentlich. So liegt in der Aktenmappe „NW 270 - 133“ ein Brief des damaligen OB Josef Krings an Ministerpräsident Heinz Kühn, in dem sich Krings 1977 besorgt über die Stahlkrise äußert. Aus der Zeit nach Gerhard Mercator, um 1600, stammt eine Karte von Duisburg, die der große Kartograph möglicherweise etwas exakter gezeichnet hätte. Sie zeigt geschwungene Rheinarme und Ortschaften wie Roerort, Casler Velt und Meyderick.