Duisburg. . Seit der Massenschlägerei zwischen verfeindeten Rockern der Motorradclubs Satudarah und Hells Angels auf der Friedrich-Ebert-Straße vor zwei Wochen patroulliert die Polizei täglich im Duisburger Stadtteil Rheinhausen. Dutzende Polizisten fahren vor, um weitere Eskalationen zu verhindern. Vielen Anwohnern jagt die ständige Polizeipräsenz aber Angst ein.
"Lukas, komm jetzt bitte wieder rein. Es wird Zeit“, ruft eine besorgte Mutter aus dem Fenster ihrer Wohnung in der zweiten Etage an der Friedrich-Ebert-Straße. Um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, zeigt sie mit dem Finger auf die Polizeikolonne, die sich gerade mit Blaulicht nähert. Lukas senkt den Kopf und murmelt: "Nicht schon wieder". Seine Mutter beobachtet ihn wachsam, bis er im Hausflur verschwindet. Dann schließt sie das Fenster und lässt die Jalousien runter. Die Rocker kommen.
Seit sich Mitte Februar Rocker der verfeindeten Motorradgangs Satudarah MC und Hells Angels in Rheinhausen eine Massenschlägerei lieferten und Schüsse auf das Vereinsheim des Satudarah-Chapters "Brotherhood Clown-Town" abgefeuert wurden, gehört die Polizei gewissermaßen zur Nachbarschaft.
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"Das ist hier jetzt jeden Abend so", erklärt ein alter Mann mit Krückstock. "Die Polizei kommt jetzt jeden Tag. Manchmal stehen die hier bis drei Uhr morgens. Ich beobachte das aus meiner Wohnung“, sagt der Rentner. Er wohnt in dem Hochhaus hinter der Rockerkneipe, ist erst vor drei Monaten von der Mosel nach Rheinhausen gezogen. Sein Sohn hatte ihm die Wohnung organisiert, damit der Witwer näher bei seiner Familie ist. "Hätte ich das vorher gewusst", sagt er und zeigt mit seinem Gehstock auf die Tür des Rockerclubs, "dann wäre ich wohl in der Heimat geblieben."
Dabei seien es gar nicht die "Holländer" – wie der Rentner die Rocker wegen ihrer Herkunft nennt –, die ihm Unbehagen bereiten. "Es ist die Polizei. Klar, die wollen uns nur schützen, aber wenn die hier jeden Abend aufmarschieren, dann macht man sich erstmal Sorgen, dass wieder was passiert ist."
Clubabend bei den Rockern des Satudarah MC
Passiert ist an diesem Mittwoch bislang noch nichts. Es ist halt nur wieder Clubabend. Vier Mal in der Woche öffnen die Rocker die Tür ihres Clubheimes. Montags, mittwochs, freitags und samstags. Geöffnet ab 16.30 Uhr steht auf der Internetseite des Satudarah MC. Etwas verspätet, um 16.40 Uhr schlendert ein kleiner Mann mit schwarzer Lederjacke und untergeklemmter Zeitung zur Kneipe und schließt die Tür auf. Bevor er hineingeht, dreht er sich noch mal um, als vermisse er etwas oder jemanden.
Im gleichen Augenblick fährt einer der acht Polizeibusse auf der Friedrich-Ebert-Straße vor und hält genau auf Höhe des Kneipeneingangs. Der stoppelbärtige Rocker nickt den Polizisten zu als seien es entfernte Bekannte die er grüßt. Dann verschwindet er in dem Gebäude mit dem schwarzen Schriftzug auf gelber Fläche: "Satudarah MC - Clown-Town". Die Manege ist geöffnet, das Publikum hat seinen Platz eingenommen.
Eine Anwohnerin mit kurzgeschnittenen blonden Haaren klopft sichtlich erregt ans Fenster des Polizeibusses. Sie will wissen, ob das heute wieder nur der "mittlerweile normale Wahnsinn" ist, oder ob sie heute Nacht besser bei ihrer Mutter in Hochfeld übernachten sollte. Der Polizist beruhigt sie: "Wir sind hier, um sie zu beschützen." Der 27-Jährigen geht es trotzdem "beschissen". "Ich weiß ja, dass die uns nur beschützen wollen und dass die Gefahr nicht von der Polizei ausgeht, aber Angst kriege ich erst immer, wenn die hier in voller Kriegsbesatzung oder sogar mit dem Panzerwagen anrücken."
Ihren Namen will die Frau lieber nicht in den Medien lesen. Genau wie alle anderen Nachbarn der Rocker. Sie fürchten, "irgendwie in die Sache verwickelt zu werden." Man wolle die Männer der Rockerbande lieber nicht verärgern. Eine Nachbarin der 27-Jährigen sei bereits weggezogen, weil sie sich hier nicht mehr sicher gefühlt habe. Und wenn sich die Lage nicht bald bessere, dann will auch die blonde Frau wegziehen. Andere wollen, auch anonym, lieber gar nichts zu den Rockern und dem täglichen Polizeiaufgebot sagen:
Heftige Kritik an Polizeieinsatz in Offenem Brief an OB Sören Link
Eine junge Mutter mit einem Kind auf dem Arm sucht hektisch ihren Haustürschlüssel als sie sieht, dass sich die Polizei in Beobachtungsstellung bringt. "Ich will jetzt nur nach Hause", ist ihr einziger Kommentar. Angestellte und Inhaber der benachbarten Geschäfte wollen sich gegenüber Journalisten auch nicht zum Thema äußern. Die Rockerfehde und ihre Folgen bedrücken anscheinend viele Menschen in Duisburg-Rheinhasuen.
In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Sören Link (SPD) beschwert sich ein Anwohner, dass seine Grundrechte im Zuge der Polizeikontrollen "massiv verletzt" worden seien. Der Verfasser des Briefes schreibt: "Als ich von der Arbeit kam, bin ich vor meiner Haustür von einem Panzerwagen und Polizisten mit kugelsicheren Westen und Maschinenpistolen an der Weiterfahrt gehindert worden. Mein Einwand, dass ich ein Recht darauf habe in meine Wohnung zu kommen, wurde einfach abgelehnt." Die Polizei habe ihm gesagt, er solle weiterfahren, sein Fahrzeug irgendwo am Rhein abstellen und es zu Fuß versuchen. Vielleicht ließe man ihn dann rein.
Erst nach "45 minütigem Herumirren im Kriegsgebiet Rheinhausen" habe der Mann eine Polizeisperre gefunden, die ihn passieren ließ. Auch seine Frau und andere Nachbarn würden immer wieder durch Polizeikontrollen behindert. Die Situation in Rheinhausen ist für den Mann nicht mehr ertragbar: "Wenn wir es uns finanziell leisten könnten, dann würden wir uns ein Haus, oder zumindest eine Eigentumswohnung, in einer Wohngegend kaufen, in der vorwiegend deutsche Politiker wohnen. Da passieren solche Missstände nicht. Da passt man auf, dass man unter sich bleibt."
Einige Anwohner finden Rheinhausen weiterhin "ganz idyllisch"
Polizeisprecher Stefan Hausch ist angesichts der Kritik an der Polizeipräsenz irritiert: "Wir haben Verständnis dafür, dass die allgemeine Situation den Anwohnern Unbehagen bereitet, aber ich verstehe nicht, warum die Leute wegen der Polizei verunsichert sind. Wir sorgen für die Sicherheit der Bürger in unserer Stadt." Hausch betont, dass hier erst vor zwei Wochen Schüsse gefallen sind und sich die Rocker eine Massenschlägerei geliefert haben: "Da können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Das ist ein klares Zeichen an die Rocker.“
Währenddessen nähert sich ein zweiter schwarzhaariger, junger Mann der Rockerkneipe. Er und der Lederjackenträger rauchen zusammen eine Zigarette vor der Clubtür, unterhalten sich und scherzen. Die beiden Männer haben Verständnis für das Unbehagen der Nachbarn. Aber dafür sei die Polizei verantwortlich, sagen sie.
Nach der Zigarette gehen sie wieder hinein. Draußen ist es ihnen zu kalt. Im Laufe des Abends kommen noch zwei Dutzend weitere Männer in die Rocker-Kneipe. Es bleibt trotzdem ruhig.
Nur eine Straße weiter, in der Bernhardstraße unterhalten sich zwei Anwohner über das "saukalte" Wetter. Zwischen ihren Wohnungen und der Satudrah-Kneipe liegt eine Häuserreihe. Kein Blickkontakt. Sie haben gar nicht mitbekommen, dass die Polizei wieder da ist. "Hier ist alles ganz idyllisch", sagen sie mit einem zufriedenem Lächeln im Gesicht.