Duisburg. „Spotted-Seiten“ sind bundesweit im Trend. Auch an der Universität Duisburg-Essen suchen Studenten per Facebook nach flüchtigen Bekanntschaften, die sie einmal gesehen, aber nicht angesprochen haben. Inzwischen zählt die Gruppe fast 4000 Mitglieder.

Es ist so tragisch wie im Film: Eine Frau auf dem Bahnsteig erhascht den Blick eines Mannes, und bevor sie reagieren kann, rauscht die Bahn mitsamt der potentiellen Liebe davon. Und jetzt? Früher war das halt so - Pech gehabt und abgehakt. Inzwischen leisten Soziale Netzwerke im Internet intensiv Erste Hilfe, wenn jemandem eine Liebelei durch die Lappen geht. Über so genannte „Spotted-Gruppen“ (aus dem Englischen, to spot; entdecken) suchen Menschen nach flüchtigen Bekanntschaften, die sie gerne wiedersehen würden. Die Netzgemeinde hilft dabei – auch an der Universität Duisburg-Essen.

200 Mitglieder pro Tag

Die Entwicklung ist wirklich beachtlich: Am 8. Januar startete die Facebook-Gruppe für die UDE mit 250 Mitgliedern. Bis gestern waren fast 4000 Nutzer beigetreten: ein durchschnittliches Plus von mehr als 200 Nutzern pro Tag. „Das ist Wahnsinn, was wir hier für Gesuche kriegen. Damit hätte ich nie gerechnet“, sagt Timo, der Seitengründer.

Zu unpersönlich

Für die „Internet-Generation“ ist es selbstverständlich: Das Netz mischt in jedem Lebensbereich mit. Manch einen Nutzer verleitet die Gier nach Reaktionen sogar dazu, per Bild mitzuteilen, ob ein Mitagessen eher sämig oder breiig war. Kein Wunder also, dass die Nutzer Sozialer Netzwerke jetzt auch im „Flirt-Geschäft“ dabei sind.

Ungewollt im „Flirt-Strudel“

Eins ist klar: Es ist klasse, wenn sich durch die „Spotted-Gruppen“ eine Liebe findet, die es sonst nicht gegeben hätte. Manchmal verliert man sich ja wirklich unglücklich aus den Augen. Und vielleicht traut sich jetzt sogar der Schüchternste, seinen Traumpartner zumindest im zweiten Anlauf anzusprechen. Aber die Anmache per Internet versaut einfach das, was ein erstes Treffen ausmacht: den persönlichen Kontakt. Wenn es doch die Traumfrau ist, warum nicht gleich ansprechen? Die Chancen werden mit dem Umweg übers Internet kaum größer. Fehlt der Mumm? Und außerdem: Wegen der anonymen Gesuche geraten oft Unbeteiligte – und die vor allem: ungewollt – in den Flirt-Strudel. Denn die übrigen Nutzer schlagen eifrig Kandidaten vor, die auf die jeweilige Beschreibung passen. Die Genannten stehen dann namentlich als netter Vorschlag für die gesamte Netzgemeinde da. Wer fragt sie? Abgesehen davon weiß niemand, welche Gesuche echt sind – oder wer sich damit nur einen Flirt erhaschen will.

Offensichtlich spielen viele Nutzer gerne Flirt-Helfer; die Gruppen sind äußerst beliebt. Für einige wird dieses Angebot wahrlich die letzte Rettung sein. Aber trotz aller vermeintlichen Anonymität bleibt es abstrus, ein erstes Treffen in Gegenwart von 4000 anderen zu erbitten. Wer jemanden kennenlernen will, sollte das seinem Gegenüber sagen. Am besten persönlich und unter vier Augen.

Das Prinzip seiner Gruppe unterscheidet sich nicht wesentlich von dem einer Kontaktanzeige und ist momentan in ganz Deutschland im Trend: Wer eine Person sucht, schickt der Seite eine Nachricht. Darin beschreibt der Nutzer zum Beispiel das Aussehen des Gesuchten oder den Ort, an dem er ihn erblickt hat. Die Seitenbetreiber veröffentlichen das Ganze ohne Namen. Im Idealfall meldet sich der oder die Gesuchte und die Betreiber vermitteln den Kontakt.

Fast stündlich neue Gesuche

Inzwischen muss Timo das so oft machen, dass er sich Unterstützung geholt hat. Ohne die Studentinnen Ebru und Helen könnte er den Aufwand nicht mehr stemmen. Fast stündlich veröffentlichen sie Gesuche. Manch ein Nutzer wartet bis zu vier Tage darauf, dass seine Nachricht Online geht. „Wir können ja nicht alle gleichzeitig veröffentlichen, da würden die Nachrichten untergehen“, so Timo. Im Moment lägen noch 23 unbeantwortete Anfragen im Postfach. Für das Dreigestirn bedeutet das mehrere Stunden Arbeit pro Tag – denn einfach nur weiterleiten wollen sie die Nachrichten nicht.

„Wir versuchen, die Leute zu überprüfen und schauen, ob sie sich nur zum Schein angemeldet haben. Das ist viel Recherche und Hin- und Her-Geschreibe“, sagt der Lehramtsstudent. Und wenn sich ein vermeintlich Gesuchter meldet, müsse derjenige auch beweisen, dass wirklich er gemeint ist. „Soweit es geht, versuchen wir Missbrauch zu vermeiden.“ Einen negativen Beigeschmack sieht Timo aber trotzdem: Die Netz-Gemeinde schlägt in den Kommentaren unter einem Gesuch häufig Kandidaten vor – ob die das wollen, ist meist unklar. Datenschützer kritisieren zudem, dass eine Anzeige fatale Folgen für den Gesuchten haben könnte. Beispiel: Ein Arbeitgeber kriegt mit, dass ein Angestellter, der sich krankgemeldet hatte, in Wirklichkeit in der Mensa hockte.

Ein kleiner Kai Pflaume

Viele schreckt das offenbar nicht ab. Und auch Gruppen-Gründer Timo will weitermachen, selbst, wenn er die 10 000er Marke knackt. „Dann vergrößern wir das Team. Es macht einfach Spaß“, sagt der Gründer, der schon um die zehn Kontakte vermittelt haben will. Auch Uni-Pressesprecherin Beate Kostka zeigt sich überrascht, zu sehen, „wie viele dort mitmachen“. Die Universität hat damit aber nichts zutun. Timo macht das - wie wohl die meisten „Spotted-Seiten“-Betreiber - alles privat. „Ich bin wahrscheinlich einfach nur ein kleiner Kai Pflaume.“