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Die Erleichterungen beim Zuzug ausländischer Fachkräfte zeigen erste Wirkung. Immer mehr Ingenieure und Ärzte von außerhalb Europas kommen zum Arbeiten nach Deutschland, seit es für sie 2011 leichter geworden ist, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. 2010 erhielten lediglich 349 Ingenieure aus einem Nicht-EU-Staat eine Arbeitserlaubnis. 2011 waren es bereits 1385, ergab eine Erhebung der Bundesagentur für Arbeit. Doch das reicht bei weitem nicht aus. Das Deutsche Institut für Wirtschaft in Köln zählt derzeit rund 110.000 offene Stellen für Ingenieure.
Für ausländische Fachkräfte außerhalb Europas war in einigen Mangelberufen die sogenannte Vorrangprüfung entfallen. Bislang musste zunächst der Arbeitsmarkt nach geeigneten Bewerbern aus Deutschland und der EU abgesucht werden. Seit August ist es auch für Hochschulabsolventen aus Nicht-EU-Ländern leichter, eine Arbeit in Deutschland zu finden. Sie haben statt einem Jahr nun 18 Monate Zeit, eine feste Stelle zu finden. Nach zwei Jahren „hochqualifizierter Beschäftigung“ können sie eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis erhalten. Studienberater und Studentenvertreter begrüßen diese Reformen.
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Sarah-Amelie Stücken kennt die Sorgen der chinesischen, russischen, indischen und türkischen Studierenden. Alleingelassen und nicht selten geschockt vom ungewohnten Unibetrieb kommen sie vor allem in den ersten Wochen zu ihr ins „International Office“ der Ruhr-Uni Bochum. Dann hört sie einige Jahre nichts mehr von ihnen. „Bis sich die Ausländerbehörde meldet“, sagt Stücken. Also meist in der Endphase des Studiums. Klar, die Reformen seien für die ausländischen Studenten eine große Erleichterung. Vor allem, dass sie nun während des Studiums statt 90 Tage im Jahr 120 volle Tage arbeiten dürften. Doch die Frist von 18 Monaten, um eine Arbeitsstelle zu finden, sei immer noch zu knapp.
Untergrenze: 659 Euro Einkommen
Seit August 2012 kann die Aufenthaltserlaubnis für Nicht-EU-Bürger mit deutschem Hochschulabschluss um 18 Monate verlängert werden, um in dieser Zeit eine Stelle zu finden. Nebenbei dürfen sie unbeschränkt Geld verdienen. Ist ein Arbeitsplatz gefunden, „der dem Abschluss angemessen ist“, entfällt die bisher übliche Vorrangprüfung. Wurden zwei Jahre lang Rentenbeiträge gezahlt, winkt eine „Niederlassungserlaubnis“.
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„Die Ausländerbehörde schaut genau hin, ob genug Geld da ist“, sagt Stücken. Einkünfte von mindestens 659 Euro im Monat muss ein ausländischer Absolvent nachweisen. Will er sein Visum um ein Jahr verlängert bekommen, muss er also für den Lebensunterhalt 8000 Euro auf dem Konto haben, da keine Sozialleistungen in Anspruch genommen werden dürfen. Ein Visum wird nur so lange verlängert, wie Geld vorhanden ist. Ohne Kohle droht die Ausreise. „Gerade in der Phase der Jobsuche ist es für viele schwer, genügend Geld aufzutreiben“, sagt Stücken. „Man muss schnell eine Stelle finden, sonst ist das Geld aufgebraucht.“
Manche Ausländerbehörden verlangen zusätzlich finanzielle Garantien für eine mögliche „Rückführung“, weiß die Beraterin. Also für ein Flugticket in die Heimat und andere anfallende Kosten, falls das Visum nicht verlängert werden kann. „Für Chinesen sind das locker 3000 Euro im Jahr extra“, so Stücken. Dies muss man zu den 8000 Euro hinzu addieren. Da geben viele Talente bereits vorher auf und reisen entmutigt ab.
Chinesen haben mehr Erfolg
Wie schwer es für ausländische Studenten offenbar ist, den Sprung von einer Hochschule in eine feste Stelle zu schaffen, zeigen nüchterne Zahlen: 2011 haben 7392 ausländische Absolventen einen Job und eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis erhalten, die Chinesen liegen dabei mit weitem Vorsprung vorn, gefolgt von Russen und Indern – 2010 waren es insgesamt 5676 Fälle. Zugleich verließen indes 38.300 ausländische Absolventen deutsche Hochschulen. Was fehlt sind individuelle Hilfen und Programme für Ausländer vom erste Studientag an bis zum Berufseinstieg. Zwar wird der Fachkräftemangel immer dringlicher beklagt, doch selbst die guten Absolventen müssen kämpfen um zu bleiben.
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Es geht um angehende Lehrer, Mediziner, Ingenieure und andere Fachkräfte, in deren Ausbildung der deutsche Staat Millionen Euro an Steuergeldern investiert hat. „Wir verschwenden ein enormes Potenzial an Fachkräften“, meint Kamuran Sezer, der vor allem die Situation türkischstämmiger Akademiker in Deutschland erforscht. 35 bis 40 Prozent von ihnen wollen nach dem Studium Deutschland den Rücken kehren, ergab eine Studie des „Futureorg-Instituts“ in Dortmund, das der Soziologe Sezer leitet. „Die neuen Regelungen sind ein Signal, doch das Problem lösen sie nicht.“
Immerhin muss heute kein ausländischer Absolvent mehr fürchten, dass er mit dem Examenszeugnis zugleich Post von der Behörde bekommt mit der Aufforderung, besser schon mal die Koffer zu packen, betont Johannes Glembek vom Bundesverband ausländischer Studierender. „Es hat sich einiges verbessert“, sagt er. Doch manche Regelungen gingen an der Lebenswirklichkeit der Nachwuchsfachkräfte vorbei.
Regeln gehen an der Realität vorbei
So gibt es Aufenthaltserlaubnis nur gegen den Nachweis, eine der Qualifizierung „angemessene Tätigkeit“ gefunden zu haben, die den Lebensunterhalt abdeckt. „Heute aber läuft der Berufseinstieg in vielen Branchen zunächst über gering bezahlte Praktika, Volontariate, Trainee-Programme oder befristete Projekte – übrigens auch bei deutschen Absolventen“, sagt Ira Terwyen vom Akademischen Auslandsamt der Uni Duisburg-Essen. Im Sinne des Gesetzes sind diese Jobs aber nicht „angemessen“. Dann könne es passieren, dass ein Visum nicht verlängert wird, weiß Glembek. Zudem erhalten Berufsanfänger in der Regel nur befristete Verträge und erhalten somit auch nur für diese Zeit eine Aufenthaltserlaubnis. Eine große Unsicherheit nicht nur für den Einsteiger, sondern auch für die Arbeitgeber.
Ob die Erleichterungen in Zukunft dazu führen, dass mehr ausländische Absolventen schneller einen Arbeitsplatz finden, daran zweifeln die Experten. Ira Terwyen: „Zwischen Theorie und Praxis gibt es oft große Lücken.“