Duisburg. .

„Der einzige, der in unserer Familie zeichnen kann, ist dein großer Bruder.“ So ein Mutter-Satz kann mögliche Talente verschütten. Jedenfalls das einer kleinen Schwester, die ihren Bruder anbetet und selbstverständlich niemals so zeichnen können wird wie er. Und deswegen schon den Versuch scheut. Später wird die Kunstlehrerin die Aufgabe „Zeichnung“ (von präparierten Schmetterlingen) mit „ausreichend“ bewerten.

Da mutet es einigermaßen verrückt an, es doch noch einmal zu probieren – ausgerechnet bei einem Zeichen-Workshop im Lehmbruck-Museum, den der renommierte Duisburger Künstler Jochen Duckwitz leitet. Da sind sonst bestimmt nur Teilnehmer dabei, die schon zeichnen können. Da kann man sich doch nur blamieren. Ach, was soll’s!

Es ist ein wunderschöner Sommerabend. Überraschenderweise sind etwa 20 Frauen und Männer gekommen. Wie immer an der donnerstäglichen „Plastikbar“ gibt es ein Getränk. Jochen Duckwitz geht es ganz locker an. Er beginnt nicht mit Lockerungs- oder Atemübungen, er gibt keine Anleitungen, keine Aufgabe, er vermittelt Gelassenheit. „Den Bleistift nehmen Sie einfach in die Hand.“ Er spricht die Angst vor dem weißen Papier an, gibt nur zwei Hinweise: „Irgendetwas fokussieren“ und: „Den Fokus nehmen und in der Mitte anfangen“. Vor allem aber: „Es muss kein Kunstwerk werden.“

Mit Stift und Blatt auf dem Skulpturenhof

Weil es so warm und sonnig ist, geht es mit Blatt, Brett, Bleistift und Stühlchen auf den Skulpturenhof. Blauer Himmel, das Grün des Kantparks, ein erstaunlich ruhiger Platz, wunderbare Kunst, Autolärm ist kaum zu hören, die Geräusche vom Spielplatz stören nicht.

Links von mir sitzt eine Gruppe von Frauen, die sich offenbar kennen, die meisten aber halten Distanz, schweigen, zeichnen. Das versuche ich jetzt auch, nehme die zweiteilige Henry-Moore-Bronze in den Fokus, beginne mit dem rechten Skulpturenteil. Dünn kratzt der Bleistift übers Papier, aber immerhin: Die Form stimmt, zumindest die äußere. Aber wie die Tiefe herstellen? Gut, dass Duckwitz vorbeikommt. Die Dreidimensionalität einer Skulptur zu erfassen, sei nicht leicht, sagt er. Und rät, es mit hellen und dunklen Flächen zu versuchen. Außerdem bilde doch der Baum nebenan noch ein schönes Motiv.

Mehr Schwung

Aber erstmal wird schraffiert. Nach und nach verschwindet der Arbeitstag. Wenn ich nicht auf die Skulptur, auf den Baum oder das Blatt schaue, gucke ich in den Himmel. Die Blätter des Baums machen mir zu schaffen, die findet Duckwitz bei seinem zweiten Hinschauen aber gar nicht schlecht, mahnt allerdings mehr Schwung an, die Linie soll „auslaufen“. Er erinnert an die zeichnerische Freiheit. Zwischen den nervigen Blättern habe ich den linken Teil der Skulptur gezeichnet. Jetzt versuche ich, die Striche runder und schwungvoller zu machen. Schwierig, zwischen den hell-grünlich und fast schwarz schimmernden Partien der Oberfläche weiche Übergänge zu schaffen.

Allmählich merke ich meinen Rücken, auch die anderen werden unruhig. Über eine Stunde habe ich mich aufs Motiv konzentriert. „Intensiver als Kino“, findet Duckwitz dieses Hinschauen. Ob ich zufrieden bin, fragt er. Erstaunlicherweise sage ich: „Eigentlich ja.“