Duisburg. .
Das Wesentliche eines Kunstwerks erschließt sich dem Betrachter nicht selten erst auf den zweiten Blick. „Es geht hier gar nicht um die Linien, die Sie sehen“, sagt der an der Kunstakademie zu Münster lehrende Prof. Dr. Erich Heinz, als er auf einige der gerahmten Siebdrucke an der Wand vor ihm deutet. „Es geht vielmehr um das Weiß dazwischen, das durch diese Linien immer völlig unterschiedlich wahrgenommen wird.“
Der sofortige Selbstversuch liefert Momente der Erkenntnis und des Erstaunens. Diese Arbeiten gehören zum Werk von Blinky Palermo. Und das Museum DKM widmet dem Beuys-Schüler eine Ausstellung, die ab heute und bis zum 28. Januar an der Güntherstraße zu sehen ist.
Flucht aus der DDR
Ihr Titel lautet „Die gesamte Grafik“. Hinter dieser allumfassenden Verheißung verbergen sich aber gerade einmal 56 Blätter. Mehr hat Palermo – der als Peter Stolle 1943 in Leipzig das Licht der Welt erblickte, kurz darauf mit Zwillingsbruder Michael bei Adoptivfamilien unterkam und nach der Flucht aus der DDR im Jahr 1962 das Studium der Malerei an der Kunstakademie in Düsseldorf aufnahm – nicht vollendet.
Seine Schaffenszeit war zu kurz. 1977, nicht einmal ganz 34-jährig, stirbt er unter bis heute nicht geklärten Umständen bei einem Urlaub auf der Malediven-Insel Kurumba.
56 Grafiken also. Und weil Palermo sie stets nur in Kleinstauflagen drucken ließ – darunter auch beim Duisburger Verlag Guido Hildebrandt (Hundertdrucke) – gibt es weltweit nur 30 (!) komplette Sammlungen. „Wir sind stolz, eine davon in unserem Bestand zu haben und sie jetzt erstmals in unserem Haus vorzustellen“, erklärte Sammler und DKM-Gründer Klaus Maas gestern beim Presse-Rundgang durch die Ausstellung.
Wunsch nach Vollständigkeit
Der Weg zu einer Komplett-Sammlung sei aber kein leichter gewesen, erinnert er sich. 1985 hätte er sie problemlos vom Kölner Galeristen Wilfried Reckermann erwerben können. Doch Maas zögerte, stieg erst drei Jahre später ein – aber da waren Palermos Popularität und die Nachfrage nach seinen Arbeiten schon gewaltig.
1994 schien Maas fast am Ziel: Nur eine einzige Grafik fehlte noch. Sie trägt den Namen „T“. Erst sechs Jahre später erhielt Maas bei einer Versteigerung den Zuschlag. Der Wunsch nach Vollständigkeit war erfüllt.
Nach dem Rundgang warf Palermo-Experte Prof. Heinz erneut einen Blick auf die Grafiken vom Beginn. Er fokussierte das vielfältige Weiß der Zwischenräume. Und tauchte völlig ein in diese erfüllte Leere zwischen den braunen Linien.