Duisburg. . Die Karriere des Zehnkämpfers Jürgen Hingsen war von den Duellen mit Daley Thompson geprägt. Der Duisburger zog dabei stets den Kürzeren. Heute wirken beide gemeinsam als Talkgäste bei Olympia.
Wo ist Jürgen Hingsen in diesen Tagen? Natürlich, bei Olympia. „Logisch. Wo sonst“, sagt er gut gelaunt auf dem Weg ins Olympiastadion. „Ich halte hier die deutschen Fahnen hoch“. Eine Woche ist er in London, als Gast bei Sponsoren oder in Talkrunden der deutschen Fernsehsender, beim ZDF, bei ntv oder bei N24, wo er gleich zu Beginn dieser Woche der deutschen Sportförderung vors Schienbein trat. Andere Länder würden viel mehr Geld investieren, in den Schulen gebe es keine leichtathletischen Wettkämpfe mehr, kritisierte Hingsen. Wenn sich das nicht „gewaltig“ ändere, dann gebe es künftig immer weniger deutsche Medaillensieger, prophezeit der einstige Modellathlet.
Hingsen?, wird manch einer fragen, war das nicht der mit den drei Fehlstarts? Exakt. Obwohl der Zwei-Meter-Mann drei Weltrekorde aufstellte, 1984 in Los Angeles die Silbermedaille holte und seit fast 30 Jahren deutscher Rekordhalter im Zehnkampf ist, bleibt doch immer sein demütigender Fauxpas bei den Sommerspielen in Seoul im Gedächtnis. Der 28. September 1988, er will einfach nicht verschwinden aus den Erinnerungen. Gleich bei der ersten von zehn Disziplinen passiert Hingsen das, was ihn zur Kultfigur mit dem besonderen Makel macht. Drei Fehlstarts beim 100-Meter-Lauf, Disqualifikation. Ende des Traums, Beginn des Traumas. Der Publikumsliebling war auf einmal der Depp der Nation, Hohn und Spott prasselte auf ihn herab.
Verständlich, dass Hingsen die Episode auch heute am liebsten ausblendet. Er winkt direkt ab. „Hier ist der ewige Zweikampf zwischen Daley Thompson und mir das große Thema. Die Engländer respektieren diese Leistungen“, sagt Hingsen. Mit Thompson sei er inzwischen sogar befreundet, sie haben auch in diesen Tagen in London zahlreiche gemeinsame Auftritte.
Hingsen und Thompson, das waren in den Achtzigern die beiden großen Kontrahenten im Zehnkampf, die Rivalen auf der Tartanbahn. Hingsen, reich an Spitznamen, nannte man hierzulande den „deutschen Herkules“, Thompson neckte seinen fast einen halben Kopf größeren Widersacher einmal als „Hollywood-Hingsen“. Der Brite war dem Deutschen immer eine Nasenlänge voraus, Hingsen konnte seinen Konkurrenten bei keinem Wettkampf bezwingen.
Jedes Jahr stellte er einen neuen Rekord auf
Von 1982 bis 1984 stellte der Duisburger jedes Jahr einen neuen Weltrekord auf, Thompson holte ihn jedoch immer wieder ein und schnappte ihm die großen Titel vor der Nase weg. Erst die EM in Athen, dann die WM in Helsinki, dann Olympia in Los Angeles. Spätestens 1984 war Hingsens Ruf als „Ewiger Zweiter“ zementiert. Er holte zwar Silber, Thompson aber holte Gold. Es sind die großen Duelle, die den Sport spannend machen und von denen man sich selbst Jahrzehnte später noch erzählt, wie jetzt wieder in London.
Der gebürtige Duisburger erinnert sich aber, dass der Empfang in seiner Heimatstadt dennoch herzlich war. Gemeinsam mit Goldmedaillen-Gewinner Rolf Milser fuhr er nach den Spielen 1984 mit einem Sonderzug in den Duisburger Hauptbahnhof ein. Es sollen mehrere tausend Menschen gewesen sein, die ihre Athleten willkommen hießen. „Das war ein Spektakel, eine tolle Sache“, schwärmt Hingsen.
Eine gewisse Medienpräsenz hat sich Hingsen erhalten können, immer wieder tauchte er mal im Rampenlicht auf. 1990 spielte er in der RTL-Serie „Ein Schloss am Wörthersee“ mit, 1996 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Voll in Form für Management. Fit und gesund im Business“. 2004 sorgte seine Trennung von Ehefrau Jeanne Purcell für Schlagzeilen, mit der er 21 Jahre verheiratet war und zwei Kinder hat. Und 2006 tanzte er wieder einmal bei RTL über die Mattscheibe und landete bei „Let’s Dance“ auf Platz fünf.
Beruflich versuchte sich Hingsen nach dem Sport im Versicherungsgeschäft und zog nach München. Inzwischen wohnt der heute 54-Jährige in Köln und ist ab und an immer wieder in Duisburg. Zum Beispiel, wenn er seine Eltern besucht, die nach wie vor in Neudorf wohnen. Durch seine früheren Erfolge hat er gute Kontakte, die ihm Türen öffnen, er selbst bezeichnet es als „ein internationales Netzwerk, auf das ich zurückgreifen kann“.
Derzeit hilft es ihm im Energiegeschäft. Hingsen ist für Düsseldorfer Finanzberater tätig, bei der „Green Investors AG“ fungiert er als Aufsichtsrat. Die Gesellschaft sammelt Geld von institutionellen Anlegern, um es in ökologisch nachhaltige Energieprojekte zu investieren. „Wir versorgen 50 bis 60 Kommunen in Schweden mit modernen Holzkraftwerken. Das Land will sich bis 2020 von fossilen Brennstoffen zur Energiegewinnung verabschiedet haben“, skizziert der ehemalige Spitzensportler das Geschäftsmodell, an dem auch ein ehemaliger Vattenfall-Manager beteiligt ist. „Wir haben gerade noch einen größeren Deal abgeschlossen, Namen darf ich aber noch nicht verraten“, sagt Hingsen.
Es klingt als stecke der Ex-Zehnkämpfer mitten im Big Business. Aus dem weltweiten Netz musste sich Hingsen mit seinem persönlichen Internet-Auftritt allerdings kürzlich verabschieden. Mehr als das Wort „Wartung“ gibt er dort derzeit nicht preis. „Die haben mir die Seite gehackt. Sie wird aber bald wieder online sein.“
Wie Hingsen und Milser 1984 einen Ausflug ins Filmgeschäft wagten
Jürgen Hingsen und Rolf Milser, die beiden Duisburger Olympiamedaillen-Gewinner von 1984, sind bis heute eng befreundet, Milser ist Pate der beiden Kinder von Hingsen. Auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren wagten die beiden Spitzensportler gemeinsam einen Ausflug ins Filmgeschäft. „Drei Portionen und eine halbe“ heißt der Klamaukstreifen mit Karl Dall und Patrick Bach, den sich 1984 rund eine halbe Million Menschen im Kino angesehen haben. Von dem Titelsong gingen damals 18.000 Tonträger über die Ladentheke, Milser kennt den Text von „Keine Angst vorm Fliegen“ noch heute.
Der Film liegt wohlbehütet im Wohnzimmerschrank, landet aber nicht oft im Videorekorder: „Ich kann das gar nicht mehr sehen“. Im Internet existiert bei „Youtube“ noch ein Videoschnipsel, wie Hingsen und Milser damals mit dem Song bei „Wetten, dass...?“ aufgetreten sind. „Die haben damals wohl nach den Supernasen Gottschalk und Mike Krüger ein neues Duo gesucht und sind dabei auf uns gekommen“, erinnert sich Milser schmunzelnd an die Dreharbeiten auf Mallorca. „Ich hatte immer Schwierigkeiten mit dem Auswendiglernen, Jürgen hatte da weniger Probleme“.
Der hünenhafte Zehnkämpfer und der muskelbepackte Gewichtheber waren in ihrem Erfolgsjahr omnipräsent. Mehrfach waren sie im Sportstudio zu Gast, bei „Stars in der Manege“ knatterten sie mit dem Motorrad über die Steilwand. Den Kinostreifen mit seinem flachen Witz würde zwar heute wohl niemand mehr bis zum Ende durchhalten, für die Titelhelden aber war er damals finanziell durchaus lukrativ. „Ich habe in vier Wochen nie wieder so viel Geld verdient wie mit diesem Film“, sagt Milser.