Duisburg. Die WAZ unternahm einen Spaziergang über den kleinsten und gleichzeitigen ältesten städtischen Friedhof der Stadt: Das ist die Ruhestätte an der Eisenbahnstraße in Ruhrort.

Es war der 25. November im Jahre 1845, als auf dem Friedhof an der Eisenbahnstraße in Ruhrort die erste Beerdigung stattfand. Keine der 17 städtischen Ruhestätten kann eine ähnlich weit zurückreichende Historie vorweisen. Aber sogar hier, an diesem geschichtsträchtigen Ort, haben die modernen Zeiten längst Einzug gehalten. Zu Allerheiligen werden heute auch Elektrograbkerzen den ältesten Duisburger Friedhof in ein rot leuchtendes Lichtermeer verwandeln. Die künstlich flackernden Flammen wärmen zwar keine Hände, dafür aber immerhin die Herzen.

Wer den Ruhrorter Friedhof durch das Tor am Verteilerkreis betritt, der steht auf einer Art Hochplateau. Von hier aus breitet sich das gesamte Areal vor den Augen des Besuchers aus. Dieses umfasst 1,7 Hektar. Diese Ruhestätte ist somit nicht nur die älteste der Stadt, sondern auch die kleinste.

Die milde Spätoktober-Sonne lässt die Bäume hier im Eingangsbereich lange Schatten werfen. Sie fallen auch auf die Trauerhalle – einen roten Backsteinbau, der gleich am Tor liegt. Von außen sieht er ein wenig verwittert aus. Dennoch lohnt sich genaueres Hinsehen: An der Außenwand ist scheinbar eine Steintafel angebracht. „Das ist aber ein Grabstein – und zwar der mit Abstand älteste“, erklärt Klaus Keulen, der an diesem Vormittag fachkundiger Begleiter unseres Spaziergangs ist.

Keulen arbeitet bei den Wirtschaftsbetrieben, übt dort die Funktion des „Leiters Kundenservice Friedhöfe“ aus und ist als solcher ein echter Kenner der Materie. Er weiß, dass dieser alte Grabstein aus dem Jahr 1860 stammt, früher auf dem alten Ruhrorter Friedhof am Weidetor stand und dann hierhin zur Eisenbahnstraße verlegt wurde. Im Jahr 1995 – anlässlich des 150. Friedhof-Geburtstages – wurde er dann an der Trauerhalle angebracht. Ein steinerner Zeitzeuge.

Fast alle bringen Grablichter mit

Erstaunlich viele Menschen tummeln sich zu dieser Stunde auf den befestigten Wegen. Viele mit grünen Plastik-Gießkannen in der Hand, um Pflanzen und Blümchen auf dem Grab eines verstorbenen Angehörigen ordentlich zu wässern. Fast alle bringen Grablichter mit. Das ist zu Allerheiligen nun mal der am schönsten schimmernde Brauch.

Doch dies hier ist nicht nur ein Ort der Stille, wie es auf den städtischen Erklärtafeln am Eingang zu lesen ist, sondern es ist auch ein Ort der Erholung. „Das stimmt“, bestätigt Keulen. „Viele ältere Menschen spazieren gern hier, auch wenn keiner ihrer Verwandten hier bestattet ist.“

Einen Großteil seiner Faszination bezieht dieser Friedhof aus seinen alten Grabstätten und -steinen. Die prächtigsten gehören zu bedeutenden Unternehmer- und Handelsfamilien, die nicht nur in Ruhrort lebten, sondern von hier aus auch ihre Geschäfte betrieben. Da wäre natürlich direkt Familie Haniel zu nennen.

Deren Grabstätte liegt zwar hinter dichten Hecken fast ein wenig verborgen, doch die Statue eines steinernen Riesen-Sarges türmt sich deutlich sichtbar über den natürlich Blickfang empor. Zu dessen Füßen stehen gut zwei Dutzend grauer Grabsteine. In altertümlicher Schrift sind darauf die Namen der Verstorbenen zu lesen. Viele dieser steinernen Tafeln stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts.

Steinmetz übernahm Patenschaft

Früher waren die Grabsteine einfach schöner und aufwendiger hergestellt.“ Und um das zu belegen, läuft Klaus Keulen schnurstracks auf eine Statue zu. „Kinderengel“ heißt sie im Volksmund. Es ist der Grabstein einer gewissen Olga Löthgen, die 1874 geboren wurde und im Alter von nur vier Jahren verstarb. Von der ursprünglichen Grabstelle wurde die Statue inzwischen versetzt – quasi ins Zentrum des Friedhofes. Hier fällt sie fast jedem Besucher ins Auge.

Ein Duisburger Steinmetz hat die Patenschaft übernommen, um den Erhalt zu gewährleisten. „Die Oberfläche wird aber bewusst in verwittertem Zustand belassen“, erklärt Keulen. Dies soll ein Symbol für die Vergänglichkeit des Menschen sein.

Nicht vergänglich sind hingegen die meist aus Plastik gefertigten Einweg-Grablichter, die heute auf allen Friedhöfen im Stadtgebiet aufgestellt und entzündet werden. „Fast alle Angehörigen räumen sie später aber selbst weg.“ Die Friedhofteams haben Arbeit genug.

Vergänglich könnte aber leider auch dieser Friedhof selbst sein. Denn er zählt neben dem in Ehingen und dem Friedhof Ostacker (neuer Teil) zu jenem Trio, dass laut Ratsbeschluss wegen rückläufiger Einwohnerzahlen irgendwann geschlossen werden soll.

„Einige der Wahlgräber wurden gerade erst um 50 Jahre verlängert“, nimmt Keulen gleich die Sorge vor einem Schnellschluss. Aber er sieht Ruhrort als boomenden Stadtteil. Wenn künftig mehr Menschen kämen, könnte vielleicht auch der älteste Friedhof bleiben. Oder wie Keulen es sagt: „Auch Ratsbeschlüsse sind vergänglich.“