Duisburg. .

Es ist der Geruch von geschmolzenem Stahl, verkohltem Holz und verbranntem Plastik, der sich am Abend wie ein unsichtbares Tuch über die Stadt legt. Es ist der Geruch zweier zerbombter Wolkenkratzer, die sich einst majestätisch in den Himmel über der Südspitze Manhattans bohrten, die nun aber in Schutt und Asche liegen und Tausende Tote unter sich begraben. Es ist der Geruch des 11. September 2001. Und der Duisburger Bernd Hendricks, der damals in New York lebte, hat ihn auch zehn Jahre nach den Attentaten noch in der Nase.

Hendricks stammt aus Wanheimerort. Seine Eltern wohnen heute noch dort. Auch viele Freunde ließ er in Duisburg zurück, als er 1996 in die große Traumstadt umzog – nach New York. Von dort aus arbeitete Hendricks als Freier Journalist für zahlreiche deutsche Computer- und Wirtschaftszeitungen. Sein Zuhause lag in der Upper West Side, etliche Kilometer nördlich vom World Trade Center gelegen.

Alles wie in Zeitlupe

Am Morgen des 11. September ist Hendricks unterwegs. Er läuft zu einem Kiosk, nur ein paar Blöcke von daheim entfernt, um sich mit Tageszeitungen einzudecken. Als er heimkommt, schaltet er sein Radio ein. „Und da hieß es plötzlich, ein Sportflugzeug sei in den Nordturm gestürzt“, erinnert sich der 53-Jährige. Er erschreckt. Kurz darauf folgt der Schock. Ein Passagier-Flugzeug rammt frontal den Südturm und zerschellt darin in einem Feuerball. Kein Unfall also. Ein Attentat! Etwas mehr als eine Stunde später kollabieren die Türme.

Hendricks hat seine Wohnung da längst verlassen. Er will sehen, was er im Radio geschildert bekommen hat. Zuhause kann er das nicht. „Ich hatte kein Fernsehgerät.“ Also geht er los. Er läuft den Broadway hinunter in Richtung Süden. Vom Einsturz der Türme erfährt er, als er in einer Gruppe am Stand eines Würstchenverkäufers steht. „In diesem Moment lief alles wie in Zeitlupe ab. Der Verstand musste verarbeiten, was da gerade geschehen war. Das war ja etwas Unvorstellbares.“

Ein Menschenstrom kommt ihm auf seinem Fußweg entgegen. Sie alle flüchten aus der Einsturzzone. Mit Staub, Blut und Entsetzen auf ihren Gesichtern. Die Polizei evakuiert, treibt die Massen Richtung Norden, lässt gleichzeitig niemanden mehr zum Katastrophen-Schauplatz durch. Hendricks erreicht ein Restaurant, das spontan Getränke und Speisen gratis an die Menschen verteilt. Auf den Fernsehschirmen sieht er erstmals Bilder des Flugzeugeinschlags. „Ich kann sie bis heute nicht gut sehen, drehe mich meistens weg, wenn sie irgendwo gezeigt werden.“

"Die Stadt liegt bewusstlos da"

Am Nachmittag erreicht der Duisburger dann den Pier in Höhe der 72. Straße. Er blickt den Hudson River hinunter auf diese gigantische Rauchwolke, die in weiter Ferne aus den Trümmern aufsteigt. „Wir spürten, dass die Stadt erstmals in ihrer Geschichte Energie verliert“, schildert Hendricks in seinem Roman „Menschen mit Flagge“, den er kürzlich veröffentlicht hat.

Auch die erste Nacht nach den Anschlägen beschreibt er darin genau: „Die Stadt liegt bewusstlos da, die Augen weit geöffnet.“ Es sei die stillste Nacht gewesen, die er jemals in Manhattan erlebt hat.

Die Zeit, die folgte, war für alle New Yorker eine schwierige – auch für Hendricks: „Wir konnten von diesem Tag an erahnen, was es heißt, im Krieg zu sein. Denn das fühlte sich an wie Krieg.“ Er freute sich aber auch über kleine, positive Dinge – etwa, wie großzügig die Menschen plötzlich mit ihrem Umfeld umgingen und wie sehr dieser Schicksalsschlag die Bevölkerung zusammengeschweißt hat.

"Sie haben uns ins Herz gebombt"

2010 brach Hendricks seine Zelte im „Big Apple“ ab. Heute lebt er in Berlin und unterrichtet dort das Fach Deutsch als Fremdsprache. Fragt man ihn nach seiner Heimat, antwortet er nach wie vor spontan mit: „New York!“ Natürlich sei ein Stück weit auch der Duisburger noch in ihm, doch über kurz oder lang will er wieder zurück in seine Traumstadt. Das ist und bleibt New York. Trotz aller Erinnerungen an diesen 11. September.

Diese kommen nun, anlässlich des zehnten Jahrestages, besonders stark in ihm hoch. Vor allem, wenn Bilder von Ground Zero gezeigt werden. Was er fühlte, als er jene Stelle erblickte, wo statt des World Trade Centers plötzlich nur noch ein großes, weites Nichts war, hat Hendricks in seinem Roman beschrieben: „Am Ende der Avenue ist ein Loch in der Luft, ein Betrug, ein Alptraum mit Brandgeruch. Wir atmen schwer. Denn sie haben uns ins Herz gebombt.“