Duisburg. .
Eine angespitzte Mammutrippe, eine Wand aus anderthalb Tonnen Duisburger Kohle oder ein Öllämpchen mit erotischem Motiv. Das sind nur einige der zehn kostbarsten Stücke der Sammlung im Stadthistorischen Museum Duisburg.
Kracks! Es war die erste archäologische Grabung, an der Werner Pöhling teilnahm, doch das ungute Geräusch, das sein Ausgrabungswerkzeug verursachte, ließ ihn ahnen, dass es auch seine letzte werden könnte.
Öllämpchen mit erotischer Darstellung
Schließlich konnte er da noch nicht wissen, was durch seinen forschen Vorstoß ins Erdreich des Hauptabwassergrabens im ehemaligen römischen Militärlager Asciburgium (heute Rheinhauser Gebiet, Stadtgrenze Moers) zu Bruch gegangen war. Die eiligst herbeigerufenen versierten Kollegen halfen ihm, das vermeintliche Kleinod mit der nötigen Umsicht zu bergen und förderten ein Öllämpchen zu Tage mit einer erotischen Darstellung auf der Oberseite.
Tönerne Massenware aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Zu Tausenden gefunden, wo immer die römischen Legionen auf ihren Eroberungsfeldzügen Rast gemacht oder eine Militärlager errichtet haben. Schon ehedem also keine Kostbarkeit, für den studierten Sozialwissenschafter Pöhling aber von besonderem persönlichen Stellenwert. War doch seine hobbyarchäologische Karriere durch die von ihm verursachten Bruckstücke nicht beendet, sondern fing im Gegenteil erst damit an.
Hervorragende Kenntnisse
Im Stadthistorischen Museum, wo er seit langem angestellt ist, gehört das von ihm ergrabene Lämpchen, zu den präsentierten Zeugnissen der menschlichen Vergangenheit auf heutigem Duisburger Gebiet. Bis zu fünf Mal pro Woche wandert Werner Pöhling durch die Stadtgeschichte und erklärt Besuchern, was in den Vitrinen zu sehen ist und warum. Die Geschichte wird bei ihm zu Geschichten, mit denen er das Interesse seiner Zuhörer weckt und fesselt. Dabei hat er im Laufe der Jahre eine ganz eigene Sicht auf die Dinge entwickelt, und manches, was anderen als wertlos erscheint, hat für ihn, der die Stadtgeschichte hervorragend kennt, eine große Bedeutung.
Das Öllämpchen liegt dabei auf seiner persönlichen Rangliste „nur“ auf Platz vier. Wichtiger ist ihm da schon der Eisschrank zu Beginn der Ausstellung. In ihm lagern Repliken der Mammutzähne, die auf Duisburger Stadtgebiet gefunden wurden. Und auf dem Glasboden darunter hockt unübersehbar das Säbelzahneichhörnchen Scrat. Pöhling selbst hat es mit seiner für ihn typischen ironischen Art dort platziert. „Scrat ist super. Sobald Kinder und Jugendlich den sehen, wissen sie sofort, dass wir in der Eiszeit sind. Da brauch ich gar nicht viel zu erklären“, grinst Pöhling. Mit Erwachsenen funktioniert das ebenso gut, sobald sie die von außen vereiste Vitrine anfassen. Deshalb toppt der Eisschrank das Öllämpchen und liegt auf Rang 3 für Pöhling.
Knochen in Holzleim konserviert
Noch in die Eiszeit gehört auch das Artefakt, das Pöhling auf Platz fünf gesetzt hat: eine angespitzte Mammutrippe. Die hat sein früherer Chef, der ehemalige Museumsdirektor Dr. Gernot Tromnau, irgendwann mal aus einem Haufen Knochen im Archiv des Hauses herausgeprockelt. „Zwei Tage hat der damals in den alten Knochen gewühlt und kam dann völlig verstaubt aus dem Keller triumphierend die Rippe schwingend“, erinnert sich Pöhling und lacht.
Es ist der älteste Beweis für ein von Menschen bearbeitetes Werkzeug im Besitz des Museums. Weil aber die Restauratoren vor dem Zweiten Weltkrieg alte Knochen in Holzleim gelegt haben, um sie haltbar zu machen, kann das tatsächliche Alter nicht mehr mit Hilfe der Radiocarbonmethode bestimmt werden. Pöhling: „Die Rippe kann 15 bis 20.000 Jahre alt sein, aber auch 30 bis 40.000. Wir wissen noch nicht mal, ob die einer unserer Vorfahren – ein Homo sapiens - geschnitzt hat, oder ein früher Düsseldorfer, also ein Neandertaler.“
40 Kilo Nasslederreste
Keinen Zweifel aber gibt es an dem Alter des ledernen Schuhs, der bei einer Grabung am Duisburger Markt gefunden wurde. „Die Abfallgrube aus dem 12.Jahrhundert, die da ausgehoben wurde, war voller alter Lederlappen. Über 40 Kilo Nasslederreste kamen da zu Tage“, schildert Pöhling. In dem ganzen Klumpatsch steckte noch erkennbar ein Schuh, den Restauratorin Lydia Stark zwei Wochen lang im Ledermuseum Offenbach mühselig aus den zusammen gebackenen Lederresten herausoperierte. Das Ergebnis – ein fein gearbeiteter, zarter Mädchenschuh – ist für Werner Pöhling das schönste und wertvollste Stück aus der stadtgeschichtlichen Sammlung: „Für mich ist dieser Schuh so anrührend.“
Zehn kostbarste Stücke
Emotional begründet ist auch seine Wahl für Platz zwei seiner persönlichen Rangliste: Die Fotos, die Manfred Vogel vom Kampf der Rheinhauser Stahlarbeiter gegen die Schließung ihres Werkes gemacht hat. „Das ist ein Stück Stadtgeschichte, das ich selbst erlebt hab. Jedes mal wenn ich das Bild der Demo auf der Brücke der Solidarität sehe, habe ich einen Kloß im Hals. Auch heute noch. Deshalb dreh ich den Bildern immer den Rücken zu, wenn ich sie Besuchern erkläre.“
Die weiteren Plätze auf Pöhlings Liste
Die Bücher von Hertha Herzstein, der ehemaligen Sekretärin der jüdischen Gemeinde Duisburg, die 1943 im KZ Sobibor ermordet wurde. Ihr nach Kanada geflohener Sohn hat die Bücher dem Museum geschenkt.
Die Wand aus eineinhalb Tonnen Duisburger Kohle, gefördert im Schacht Walsum, der nun auch ein Stück Duisburger Vergangenheit ist.
Das von Johann Gottlob Leidenfrost, Professor an der Duisburger Uni von 1743- 1794, entdeckte Phänomen, dass Wassertropfen von einer heißen Herdplatte hochspringen, was von pragmatischen Ruhrgebietsfrauen früher auf eigene Weise genutzt wurde, indem sie auf die Fläche des Bügeleisens spuckten, um zu prüfen, ob es heiß genug ist.
Kripobeamte alarmierten Archäologen
Franziska, die fränkische Streitaxt, aus dem Grab eines 61-jährigen Mannes, das bei Kanalarbeiten an der Hochemmericher Straße gefunden wurde. Damals riefen die Arbeiter die Polizei als sie die Knochen in der Baggerschaufel sahen, weil sie dachten, sie hätten ein Mordopfer gefunden. Die Kripobeamten befanden aber die Knochen als zu alt für sie und alarmierten die Archäologen.
Das Lied „Der lachende Vagabund“, ein Ein-Hit-Wunder von 1957 des Meiderichers Fred Bertelmann, das im Radio und in Musikboxen rauf und runter gedudelt wurde, weil es die Reisesehnsucht der deutschen Nachkriegsgeneration ausdrückte. Für den damaligen sechsjährigen Pöhling Psychoterror, an den er sich noch gut erinnert. Dennoch habe das Lied auch für ihn den „Schnullereffekt“, sprich: eine unheimliche Vertrautheit.