Duisburg. .
Die Mitarbeiter der Stadt Duisburg „haben sich bemüht, die vorhandenen Gefahren nicht zu sehen.“ Schreibt Lothar Evers. Auf seiner Plattform hat der Journalist Indizien dafür gesammelt, dass die Behörden die gefährliche Loveparade-Rampe ignorierten.
„Tod im Niemandsland“ - so hat Lothar Evers seine jüngste Analyse zur Aufarbeitung der Duisburger Loveparade-Katastrophe betitelt, die er auf der Recherche-Plattform „DocuNews“ veröffentlicht hat. Evers will darin mit Aussagen eines städtischen Mitarbeiters aus dem Einleitungsvermerk der Staatsanwaltschaft und Planungsunterlagen belegen, was er Gästen des Kongresses „Runder Tisch Loveparade“ im Februar bereits angedeutet hatte: dass die Loveparade-Veranstalter und die Duisburger Behörden die Rampe, auf der die meisten der 21 Todesopfer ihr Leben ließen, während des Genehmigungsprozesses - und somit auch am Wochenende der Tragödie - absichtlich nicht berücksichtigten. „Vielmehr bemühten sich alle Beteiligten, die vorhandenen Gefahren nicht zu sehen, indem sie die eigene Zuständigkeit erst jenseits dieser Zone definierten“, kritisiert der Kölner Journalist.
Im Detail meint Lothar Evers: Für das Bezirksamt Mitte endete die Genehmigung zur Sondernutzung der Karl-Lehr-Straße, die durch die Tunnel zur Rampe führt, am Bürgersteig der Straße. Und das Amt für Baurecht und Bauberatung habe sich nur ab dem obereren Drittel der Rampe für das Loveparade-Gelände zuständig gefühlt. Evers’ Vorwurf: „Das zwischen diesen beiden Zuständigkeiten sich auftuende ‘Niemandsland’ straften die Duisburger Behörden mit ‘Nichtbefassung’“.
„Unzuständigkeit“ zur Umgehung der Sonderbauverordnung?
Als einen Beleg für diese „Unzuständigkeit“ führt Evers auf DocuNews den Plan „Veranstaltungszonen, Entfluchtungszonen, Notausgänge” an (siehe Download-Box). Auf der Grundlage der Karte mit Lopavent-Signatur erstellte die Firma Traffgo vor dem Techno-Spektakel die Entfluchtungsanalyse für das Güterbahnhof-Gelände. Die Duisburger Stadtverwaltung hatte den Plan auch ihrem umstrittenen „Abschlussbericht“ angehängt, mit dem sie sich fünf Wochen nach der Katastrophe attestiert hatte, nicht gegen Amtspflichten verstoßen zu haben.
.Der Plan teilt das Gelände in „Veranstaltungszonen“ und „Entfluchtungszonen“ ein. Die große Rampe ist darin aber lediglich als 18 Meter breiter Ausgang des Veranstaltungsgeländes eingezeichnet. Dass das „Feld F“ nicht mal bis zu einem Grünstreifen im oberen Bereich der Rampe reicht und entsprechend nur das obere Rampendrittel (aber nicht den späteren Ort der Katastrophe) umfasst, führt Lothar Evers zu dem Schluss: „Mit diesem Ausgang endet das Veranstaltungsgelände für das Duisburger Bauamt als Genehmigungsbehörde scheinbar im oberen Rampendrittel.“
Mit dieser Aufteilung des Geländes hat sich das Bauamt nach seiner Ansicht aus einer Zwickmühle befreit: Weil es für den unteren Teil der Rampe keine Flucht- und Rettungswege gab, hätte es als Teil des Veranstaltungsgeländes entsprechend der Sonderbauverordnung des Landes NRW nicht genehmigt werden dürfen. „Stattdessen erklären die Pläne und die Genehmigung diesen gefährlichsten Teil des Veranstaltungsgeländes zur öffentlichen Verkehrsfläche, die man über die vermeintlichen Ausgänge des Feldes ‘F’ kurzfristig erreichen kann.“
Eingesackter Gully und Bauzäune als gefährliche Hindernisse
Weil das Bauamt also die Karl-Lehr-Straße zwischen den Tunnel-Eingängen im Osten und Westen und den Großteil der Rampe nicht betrachtet, kontrolliert und somit „genehmigungsfrei gestellt“ habe, sei es zu zwei weiteren schweren Versäumnissen gekommen:
Kein Mitarbeiter der Behörde habe diesen Bereich inspiziert, weshalb auch der eingesackte Gullydeckel am Fuße des Rampe, am Tunnelausgang der westlichen Röhre, unentdeckt blieb und mit einem Bauzaun gefährlich unzureichend abgedeckt wurde. In diesem Bereich wurden die meisten Menschen tödlich verletzt.
Das behördliche Niemandsland wurde nach den Erkenntnissen der Duisburger Staatsanwälte auch nicht beim Rundgang zur Abnahme am Tag vor der Loveparade besichtigt. In Evers’ Rekonstruktion führte dies zu einer weiteren Schlamperei: Die Bauzäune, mit denen das Gelände während bis zur Sperrung der Tunnel-Eingänge abgeriegelt wurden, blieben auf der Rampe stehen.
Dabei hatte ein beschuldigter Mitarbeiter des Bauamtes einem Lopavent-Mitarbeiter nach eigenen Angaben noch am 21. Juli mit der Beseitigung dieses Engpasses beauftragt. Von den Ermittlern nach der Bauzustandsbesichtigung am 23. Juli befragt, gab er zu Protokoll: „Nachmittags wurde die Rampe nicht kontrolliert, weil die Sondernutzung (der Karl-Lehr-Straße, d. Red.) erst um 18 Uhr zum Tragen kam. Abends war ich nicht dabei. Ich gehe davon aus, dass die Sperren auf den Zuwegungsstraßen erst in der Nacht komplett erfolgten und damit die Rampe möglicherweise noch nicht frei war. Da jedoch die Fa. Lopavent sämtlichen Aufforderungen zur Mängelbeseitigung in der letzten Woche umgehend gefolgt ist, bestanden auch keine Bedenken, dass der Hauptzugangsbereich frei geräumt wird.”
„Organisierte Ignoranz“
Für Lothar Evers dokumentieren diese Äußerungen „organisierte Ignoranz“: „Oben von der Rampe betrachtet sieht dieser Mitarbeiter diese Zäune also nicht als Teil des von ihm abzunehmenden ‘Veranstaltungsgeländes’, vielmehr als Teil des ‘öffentlichen Straßenlandes’, obwohl die Zäune eindeutig auf Privatgelände stehen. Daher fühlt er sich auch nicht für die Entfernung der Bauzäune zuständig.“
Evers’ Fazit: Die Mängel auf der Rampe „sind daher weder betrachtet, geschweige denn gewürdigt und beseitigt worden. Diese völlig willkürliche Filetierung des Veranstaltungsgeländes lieferte die Besucher schutzlos und ignorant den Gefahren dieses Teils der Loveparade 2010 aus. Mit den bekannten Folgen.“