Duisburg. .
Nach dem Jahrestag der Loveparade bleiben Trauer, Schmerz und Wut. Und wieder mal Hoffnungen: auf gründliche juristische Aufarbeitung, einen politischen Neuanfang und ein würdiges Gedenken. Was die Aufarbeitung der Katastrophe nun bestimmen wird.
Was bleibt nach den bewegenden Gedenkfeiern am Tag, an dem sich die Loveparade-Tragödie mit 21 Toten und mehr als 500 körperlich Verletzten jährte? Und was kommt dann? Es bleiben Trauer, Schmerz und Wut – und viele Fragen unbeantwortet. Und wieder mal bleibt auch: die Hoffnung. Trotz etlicher Enttäuschungen seit dem 24. Juli 2010. Es ist die Hoffnung auf ein gründliches Ermittlungsverfahren und auf einen politischen Befreiungsschlag. Die Hoffnung auf einen fairen Umgang mit den Opfern der Massenpanik und auf ein würdiges Gedenken in der Stadt der Katastrophe.
So viel Hoffnung aber birgt die Gefahr neuer Enttäuschung. Ein Überblick über die nächsten Schritte und die offenen Fragen bei der Aufarbeitung der Duisburger Loveparade:
Der (bekannte) Stand der juristischen Aufarbeitung
„Nicht mal halbwegs seriös“, sagt Oberstaatsanwalt Rolf Haferkamp, könne er prognostizieren, wann die Ermittlungen der Duisburger Staatsanwaltschaft abgeschlossen sein werden. Das kann sich vorstellen, wer die Datenmengen kennt, durch die sich die vier zuständigen Staatsanwälte kämpfen müssen (siehe Infobox). Die Analyse könne „durchaus noch einige Monate in Anspruch nehmen“, so Haferkamp. Unterm Strich bleiben nur die medial verbreiteten Einblicke in den Einleitungsvermerk vom 18. Januar 2011:
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In diesem Zwischenbericht erklären die Ermittler auf 400 Seiten, warum gegen 16 Beschuldigte ein Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung besteht. Abschließen wird die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchung also möglicherweise sogar erst 2012. Dann erst werden, wie Haferkamp ankündigt, „die Posaunen erklingen“. Zurzeit aber sei „noch vollkommen offen, ob Schaller und Sauerland doch noch zu den Beschuldigten gehören werden, ob das Verfahren gegen Beschuldigte eingestellt wird, ob – und wenn ja: gegen wen – wir Anklage erheben und ob wir Verfahren gegen Bußgelder einstellen.“ Mit Spannung erwartet wird zuvor das Gutachten, das die Staatsanwälte bei einem englischen Experten für Großveranstaltungen in Auftrag gegeben haben. Der Professor soll das Organisationskonzept bewerten.
Jeder der 16 Beschuldigten hat von der Staatsanwaltschaft Anfang des Jahres eine CD mit den Akteninhalten erhalten. Seither veröffentlichten Medien mehrfach Details des Zwischenberichtes, über dessen Geheimhaltung sich derweil in Düsseldorf Landesregierung und Opposition streiten. Die veröffentlichten Erkenntnisse richteten sich bislang vor allem gegen Polizei und Stadt Duisburg:
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Denn nach dem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft haben Mitarbeiter von Bauordnungsamt und Ordnungsamt keineswegs nach Recht und Gesetz gehandelt, wie sich dies die Stadt Duisburg mit dem Gutachten der Anwaltssozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek bereits einen Monat nach der Katastrophe bescheinigt hatte. In ihrem Zwischenbericht aber schreiben die Staatsanwälte: „Es bestehen mithin in jedem Falle zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass die seitens des Bauordnungsamtes erteilte Genehmigung auch materiell rechtswidrig war.“
Mitarbeitern des Bauordnungsamtes werfen die Ermittler obendrein vor, der Loveparade bewusst fern geblieben zu sein. Ein Auszug aus der Akte: „Hätten die Mitarbeiter des Bauordnungsamtes pflichtgemäß die entsprechenden Kontrollen und Überprüfungen vorgenommen, wären Verstöße des Veranstalters..., die unzureichende Beschilderung der Zu- und Abwege oder die nicht dem Brandschutzkonzept entsprechende Lautsprecheranlage, festgestellt worden.“ Auch der Leiter des Ordnungsamtes, Hans-Peter-Bölling, soll es versäumt haben, „die erforderlichen Prüfungen“ vorzunehmen. Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe und Planungsdezernent Jürgen Dressler sollen die Probleme gekannt, aber nicht eingegriffen haben.
Mitte Mai bereits hatte „Der Spiegel“ berichtet, der Schichtwechsel der Polizei habe ausgerechnet zum kritischsten Zeitpunkt der Veranstaltung stattgefunden. Dass es bei der Loveparade zu Toten und Verletzten gekommen ist, sei laut dem Einleitungsvermerk auch auf das „pflichtwidrige Verhalten“ des Leitenden Polizeidirektors Kuno Simon zurückzuführen, der am 24. Juli ab dem Mittag für das Einsatzgeschehen verantwortlich gewesen sei.
Die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Loveparade-Katastrophe ist im Düsseldorfer Landtag zurzeit nicht in Sicht. Zuletzt stimmten nur FDP und Linke dafür.
Die Kampf um politische Konsequenzen
Ob die Loveparade politische Konsequenzen für den Mann hat, der durch sein Fehlverhalten nach der Katastrophe wie kein anderer unter Beschuss und für die Lähmung der Stadt steht, können die Duisburger sehr wahrscheinlich noch 2011 entscheiden. Dank der Änderung der Gemeindeordnung haben die Bürger der Stadt selbst die Wahl: Soll Adolf Sauerland ihr erster Bürger bleiben?
Nachdem seine Abwahl im September 2010 an der notwendigen Mehrheit im Stadtrat gescheitert war, sammelt die Initiative „Neuanfang für Duisburg“ seit dem 20. Juni Unterschriften für einen Bürgerentscheid zur Abwahl Sauerlands. Nicht mal einen Monat benötigte die Gruppe, um 30.000 Unterschriften zusammen zu bekommen. Bis zum 19. Oktober müssen es 55.000 sein. Dann allerdings benötigen die Sauerland-Gegner beim Abwahl-Urnengang 92.000 Stimmen - ein Viertel der Wahlberechtigten. Eine große Hürde: Es müssten mehr Duisburger gegen Sauerland stimmen, als ihn bei der Kommunalwahl 2009 gewählt haben (74.179 Stimmen). Damals lag die Wahlbeteiligung allerdings nur bei 45,7 Prozent.
Seine Haltung hat der Politiker, der – auch von vielen seiner eigenen Mitarbeitern – aus dem Amt gewünscht wird, nie geändert: Mehrfach bekräftigte Sauerland seine Überzeugung, die Stadtverwaltung habe keinen Fehler gemacht. Keinen, „der ursächlich zu dieser schrecklichen Katastrophe geführt hat", wie Sauerland zuletzt in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wiederholte, obwohl der Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt schon bekannt war. „Politische Konsequenzen“ kündigt er – nach wie vor – nur für den Fall an, dass „in meinem Aufgabenbereich Fehler nachgewiesen werden“.
Bei den meisten Opfern der Loveparade scheint Sauerland ohnehin verspielt zu haben. Daran ändert auch sein Entschuldigungsversuch nicht, auf den Hinterbliebene und Verletzte nahezu ein Jahr lang warten mussten. Auch wenn er sagte, er trage die „moralische Verantwortung“ für das Loveparade-Drama, kam dies für die meisten Betroffenen zu spät, für die meisten Beobachter zu geschäftsmäßig. Viele Opfer „legen schon lange keinen Wert mehr auf eine Entschuldigung der Stadtspitze“, erklärt etwa Jürgen Hagemann vom einzigen Selbsthilfeverein, in dem sich Hinterbliebene, Verletzte und Traumatisierte unterstützen.
Für alle anderen Betroffen sprach bei der Gedenkfeier am Jahrestag Nadia Zanacchi, die Mutter der ums Leben gekommenen Giulia aus Italien: „Wir warten auf eine ehrliche Geste, eine Geste aus Respekt vor unseren Kindern.“
Das Ringen um die finanzielle Entschädigung der Opfer
Frühestens 2012 werden sich möglicherweise die ersten Angeklagten vor einem Strafgericht verantworten müssen. Ohne außergerichtliche Einigung könnte die zivilgerichtliche Schadensregelung viele Jahre dauern.
Die Versicherung Axa und die Stadt Duisburg haben deshalb Ende Mai eine Vereinbarung unterschrieben, wonach sie auch ohne Klärung der Schuldfrage mit der Entschädigung der Loveparade-Opfer beginnen wollen. Der Versicherungskonzern, bei dem Veranstalter Lopavent das Techno-Spektakel versicherte, hatte dafür nach eigenen Angaben nach der Katastrophe zehn Millionen Euro zurückgestellt. Für eine außergerichtliche Einigung und eine schnelle Entschädigung hatten sich zuvor auch die Anwälte der Kanzlei Baum, Reiter & Collegen eingesetzt, die etwa 80 Betroffene im Rahmen eines Sammelverfahrens vertreten.
Allerdings warnte Opfer-Anwalt Julius Reiter am 23. Juli 2011 davor, unbesehen Vereinbarungen über Entschädigungszahlungen zu unterzeichnen. Wer Geld aus dem gemeinsamen Fonds von Axa-Versicherung und Stadt Duisburg annehme, unterschreibe eine „umfassende Verzichtserklärung“. Diese, so Reiter, umfasse auch Ansprüche gegen das Land NRW.
Der Verein Massenpanik Selbsthilfe will nun von allen Parteien im Duisburger Stadtrat die Offenlegung des Vertrages zwischen Stadt und Axa fordern. Andernfalls drohen Verein und Kanzlei mit einer Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz.
Engagement für ein würdiges Gedenken in Duisburg
Die größte Sorge der Hinterbliebenen gilt dem Ort der Katastrophe, der Treppe auf der Rampe am alten Güterbahnhof. Mit einer Petition hatten sie sich dafür eingesetzt, den Platz, an dem ihre Kinder zu Tode kamen, als „Ort des Leidens und der Trauer“ zu erhalten. Denn nach vielen Umplanungen, die die Stadtplaner dem Grundstückseigentümer, Möbelhaus-Investor Kurt Krieger (Höffner-Möbelhäuser) abgerungen hatten, um sie an den Masterplan von Norman Foster anzugleichen, sollte der Unglücksort vollends verschwinden - bis der Stadtrat dessen Erhalt am 11. Juli 2011 nach öffentlichem Druck in den Bebauungsplan aufnahm.
Am Wochenende des Loveparade-Jahrestages berichtete Stadtdirektor Peter Greulich der NRZ am Ort der Katastrophe, was der Stadt Duisburg dort vorschwebt. Danach sollen die Treppe und ein schmaler Streifen zwar erhalten bleiben. Der Unglücksort solle zu sehen sein, aber nicht jedermann zu jeder Zeit offen stehen. Bislang sei dies jedoch nur eine Idee, so Greulich: „Vielleicht ist es sinnvoll, dass aus Gründen der Pflege und Sauberkeit zu bestimmten Zeiten nur ein kleiner Personenkreis Zutritt hat." Über diese „in jeder Hinsicht unterirdische Lösung“ (Journalist Lothar Evers) wollen Vertreter der Opfer-Initiativen beim zweiten Treffen mit Vertretern von Stadt und Grundstückseigentümer Krieger im September reden.
Peter Greulich, der als Stellvertreter des Oberbürgermeisters den Auftrag des Stadtrates hat, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, betont jedoch: „Es ist entscheidend, was die Angehörigen wollen. Wir haben nicht vor, etwas aufzuoktroyieren." Tödlich verletzt wurden die meisten der 21 Opfer im westlichen Bereich der Rampe, der zwischen dem Tunnelausgang und der Treppe weiter oben der Rampe liegt. Aber auch im Tunnel, kurz vor dem Ausgang zur Rampe hin, mussten die Rettungskräfte am 24. Juli 2010 Leichen junger Menschen abdecken. Die Rampe aber ist in ihrer gesamten Breite nach dem aktuellen Bebauungsplan nicht erhaltbar. „Dazu hätte man den Bebauungsplan komplett ändern und die Ansiedlung des Möbelhauses in Frage stellen müssen", erklärt Greulich den Interessenkonflikt. Denn an der Stelle, an der zurzeit noch die Rampe hoch zum Gelände des alten Güterbahnhofs führt, soll in Zukunft der Straßenverkehr auf das Möbel-Höffner-Areal rollen.
Am 11. Juli hatte der Duisburger Stadtrat zur „Erinnerung und auch zur Mahnung“ beschlossen, dass die Stadtverwaltung mit den Angehörigen der Opfer über „eine jährlich wiederkehrende Veranstaltung im würdigen Rahmen am 24. Juli“ sprechen soll.