Duisburg. .

In einer bewegenden Gedenkfeier mit Musik, Gebeten und Ansprachen haben 7000 Menschen in Duisburg an die Loveparade-Katastrophe vor einem Jahr erinnert. In der MSV-Arena flossen viele Tränen der Trauer, aber auch Worte der Anklage waren zu hören.

Es regnet. Im Stadion des MSV-Duisburg sind rund um den Elfmeterpunkt drei dutzend Sonnenblumen in den sattgrünen Rasen eingegraben. Sie bilden das Logo der Loveparade nach. Wie gedenkt man Opfern einer Katastrophe? Am Rand des Fußballplatzes stehen schwarz gekleidete Ordner in gelben Neon-Westen. In den Reihen der Haupttribüne sitzen die bekanntesten Politiker des Landes und Angehörige, Trauernde, Männer mit Irokesen-Haarschnitten und Frauen im Kostüm. „Das Leben ist zu kostbar, um es zu vergeuden “, sagt der Essener Weihbischof Franz Grave von einer weißen Bühne auf dem Fußballplatz.

Es ist kalt hier, Mitten im Juli. Die Nässe zieht unter die Kleidung, fröstelt. „Die Nächte lassen mir keine Ruhe“, singt der junge Chor Beckhausen. „Ich habe keine Tränen mehr.“

21 Menschen sind vor einem Jahr gestorben. Bei der Loveparade. Bei der Feier, die zum Symbol des Kulturhauptstadtjahres werden sollte. Weil ein Massenevent erlaubt worden ist, das nicht hätte erlaubt werden dürfen. Weil Menschen versagt haben, die nicht hätten versagen dürfen.

Nadia Zanacchi redet jetzt von der Bühne. Ihre Tochter Giulia starb in Duisburg im Alter von 21 Jahren. Sie spricht fest in Italienisch, ihre Worte werden direkt ins Deutsche übersetzt: „Wir erinnern uns an euch“, sagt Nadia Zanacchi. Egal ob sie pummelig waren oder dünn. Ob sie groß waren oder klein. Sie alle, alle Toten, sie waren einzigartig. „Wir erinnern uns an euch.“

Erinnerung an das Leben

Nadia Zanacchi ist die einzige Angehörige, die heute hier redet. Sie spricht von ihrer Tochter. Wie ein Duft, ein Ton, ein Moment, sie erinnert an das Leben. An ihr Lachen, an ihr Gesicht, an ihren Kuss, an ihren letzten Augenblick. Giulia wollte los, hatte Angst zu spät zu kommen zum Flugzeug, sagt Nadia Zanacchi, zur Loveparade. Und dann, kurz vor dem Abschied habe die Tochter sie noch beruhigt. „Mama, ich gehe zu einem Konzert. Das ist doch genehmigt und wird beworben.“ Das sei nicht gefährlich.

Verantwortung? Nadia Zanacchi sagt, die Maßstäbe für Verantwortung seien den Machern entrückt. Auf der angeblichen Feier der Liebe sei alles andere wichtiger gewesen, als das Leben der Liebenden selbst. Jeder aufrichtige Mensch hätte sehen müssen, dass dort keine Feier hätte stattfinden dürfen, an der Rampe am Tunnel der Karl-Lehr-Straße. Es sei gesagt worden, die Liebe werde gefeiert, aber stattdessen seien die Menschen an einen trostlosen, dunklen, verkommenen Ort getrieben worden, wo sie grauenvoll gestorben seien. „Wir wissen nicht, was hinter dem Ereignis steckt“, sagt Nadia Zanacchi. „Es wurde viel gesagt, aber niemand hat gesagt, warum Giulia nicht nach Hause gekommen ist.“

Es regnet weiter in Duisburg. Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist nicht unter den vielleicht 7000 Teilnehmern der Trauerfeier. Er wurde ausgeladen. Auch der Veranstalter der Loveparade, Rainer Schaller, ist nicht da. Er wolle nicht provozieren, hatte Schaller ausrichten lassen.

Es kommt die Zeit der Tränen. Das Mädchen Ella Seifer berichtet, wie sie die Hand ihrer Freundin verlor, kurz vor der Treppe, als sie feiern wollte. An der Rampe. Wie sie zu Boden ging. Wie sie nicht atmen konnte. Wie sie dann die Sanitäter sah, über ihr gebeugt. Wie sie nach ihrer Freundin fragte, kaum dem Tod entkommen. Und die Stimme stockt.

Daniel Otto war auch dort. Der Sanitäter berichtet, wie er Tote ins Leben zurückholte. Pausenlos. Rücken an Rücken mit anderen Rettern. Reanimieren heißt das im Fachdeutsch. Daniel Otto sagt, er habe sein Bestes getan. Und stockt.

Die Namen der Toten werden vorgelesen. 21 Namen. Junge Namen, von jungen Menschen. Nur zwei waren älter als 30. Sanitäter, Ärzte, Retter und Helfer tragen abgeschnittene Sonnenblumen in das Herz auf dem grünen Rasen. Sie legen die Blumen nieder in einem losen Muster, nur zusammengehalten von dem Symbol einer Feier, die nicht hätte sein dürfen.

Angehörige und Freunde halten sich fest

Bernd Heinrich Graf, der Graf der Band Unheilig, singt: „Geboren um zu leben.“ Es ist ruhig im Stadion. Die Angehörigen und ihre Freunde halten sich fest, weinen, im Stehen, erschüttert.

Hannelore Kraft, die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen spricht eine Fürbitte: „Für alle, deren Wunden an Leib und Seele weiter schmerzen. Herr, erbarme dich.“

Herr, erbarme dich. Es regnet weiter in Duisburg. Die Sonne will nicht scheinen.