Duisburg. .

Nach der Gedenkfeier in der MSV-Arena kamen die Hinterbliebenen der Loveparade-Opfer zum Unglücksort. Sie werden mit Bussen herangefahren, abgeschirmt vom Rest der Welt.

Das riesige Notausgangsschild ist kaum zu übersehen. Ein fliehender Mensch, lebensgroß, weiß auf grünem Hintergrund. Niemand wird den Notausgang heute brauchen. Im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße, dort, wo das Loveparade-Drama vor einem Jahr seinen Lauf nahm, sind am Sonntagmittag vielleicht hundert Menschen. Sie verlieren sich in der Dunkelheit zwischen Kerzen und Blumen.

Tränen sind heiß begehrt. Kamerateams reißen sich um Geschichten, die alle schon längst gehört haben, aber heute noch einmal erzählt werden müssen. Ein Heer von Notfallseelsorgern kümmert sich um jeden, der Hilfe nötig haben könnte. Ein Sicherheitsdienst bewacht den Eingang und die Rampen. Was nicht verhindern kann, dass ein Paar über die Autobahn stürmt, um auf das Gelände zu gelangen.

Helfer suchen Hilfe

Ein stabiler Mann in der Rot-Kreuz-Jacke hält seine Kollegin ganz fest im Arm. Hier sind auch Helfer, die diesen Tag noch nicht verarbeitet haben. Im Hintergrund bricht ein Trauender zusammen. Er schüttelt sich, trommelt mit den Händen in die Pfütze vor seinen Füßen und bleibt dann regungslos liegen. Seelsorger und Sanitäter sind in wenigen Sekunden bei ihm. Die Kameras schwenken reflexartig auf den Mann. Immerhin stürmt diesmal keiner hin – ein merkwürdiges Schauspiel.

Während sich die Trauer Richtung Stadion verlagert hat, räumen die Sicherheitskräfte den Tunnel leer. Alle müssen raus. Fotografen, Kameraleute und Trauernde. Es sind sowieso nicht mehr viele. Nach der Trauerfeier sollen hier nur noch Angemeldete trauern. Sie werden mit Bussen herangefahren, abgeschirmt vom Rest der Welt.

Das riesige Notausgangsschild ist kaum zu übersehen. Ein fliehender Mensch, lebensgroß, weiß auf grünem Hintergrund. Niemand wird den Notausgang heute brauchen. Foto: Lars Fröhlich / WAZ FotoPool
Das riesige Notausgangsschild ist kaum zu übersehen. Ein fliehender Mensch, lebensgroß, weiß auf grünem Hintergrund. Niemand wird den Notausgang heute brauchen. Foto: Lars Fröhlich / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Vanessa (16) und Timo (17) warten am Gitter auf der Westseite. „Es ist nicht das beste Gefühl, hier zu stehen“, sagt Vanessa. Sie sagt, dass es ihr gut geht, wirkt gefasst und erzählt, wie es heute vor einem Jahr war. Die 16-Jährige war mit einer Freundin hier, mitten drin in der Panik. „Wir haben sie noch rausgezogen“, sagt Vanessa. Der Name der Freundin wird im Stadion von der Liste der Todesopfer verlesen.

Dann tauchen auf der anderen Seite des Tunnels Blaulichter auf. Vorweg eine Polizeieskorte. Dahinter die ersten vier Busse. „Sonderfahrt“ steht auf der Anzeigetafel. Die ersten Angehörigen steigen aus, wissen nicht so recht wohin, drehen sich zweimal orientierungslos im Tunnel. Sie sehen die Blumen an der Unglücksrampe. Da warten auch die Notfallseelsorger. Die Fotografen hinter den Gittern halten den Auslöser gedrückt. Klick. Klick. Klick. Eine Fernsehfrau raunzt über das Handy ihr Team an: „Ihr steht auf der falschen Seite. Hier geht die Post ab.“

Am Westende des Tunnels schlägt die Stimmung jetzt um. Gut zwei Dutzend Menschen stehen hier. Sie wollen Blumen ablegen. Der kahlköpfige Sicherheitsmann weist sie rüde ab. „Hier kommt keiner ‘rein.“ Ein anderer fährt dazwischen: „Nur mit Akkreditierung.“ Er sagt das zu Menschen, die dieses Wort gar nicht kennen.

Ärger um den Zugang

Eine Notfallseelsorgerin mischt sich ein. Sie will das klären. Tut sie auch. Aber mit dem gleichen Ergebnis: Für alle, die nicht angemeldet sind, öffnen sich die Gitter erst um 18.30 Uhr. Dann ist die Veranstaltung allerdings auch vorbei. „Ein Trauerspiel“ für eine Duisburger Familie. Die Tochter war schwer verletzt, überlebte. „Wir haben nie groß drüber geredet“, sagt der Vater. Die Tochter schweigt. Bei offiziellen Anlässen hielt man sich zurück, marschierte in der letzten Reihe mit. Bloß keine Namen nennen! Sagt er und zeigt die Kerzen, die sie hier ablegen wollten. „Als ob das nicht genug Überwindung wäre, diesen Weg zu gehen. Jetzt stehen wir hier hinter dem Gitter. Typisch Duisburg.“