Duisburg. .
Zum Jahrestag der Loveparade-Tragödie richtet das Land NRW eine würdige Gedenkfeier in der MSV-Arena aus. 7000 Trauernde folgen bewegenden Reden und berührende Musikbeiträgen.
Vor der Bühne ist ein Herz aus Sonnenblumen geformt. Das Symbol der Loveparade wird bei der Gedenkfeier in der MSV-Arena zum Symbol der Trauer. Mit berührenden Liedern, in bewegenden Ansprachen wird der Verstorbenen gedacht – und die 7000 Trauergäste verharren in völliger Stille, zu hören sind nur die Regentropfen auf dem Stadiondach.
„Wir war’n geboren um zu leben, mit den Wundern jener Zeit, sich niemals zu vergessen bis in alle Ewigkeit“
Es schmerzt, zu hören, wie Nadia Zanacchi, die Mutter der verstorbenen Giulia, ihre 21-jährige Tochter vermisst, wie sie sich „an ihr Lächeln, ihre zärtlichen und zornigen Gesten“ erinnert. Sie spart nicht mit Kritik: Es hätte gereicht, sich den Platz aufmerksam anzuschauen, um zu sehen, dass er nicht geeignet ist, dieser „dunkle, enge, baufällige, gefährliche Ort“. Im Namen aller Angehörigen lobt sie aber auch: Das ihnen entgegengebrachte Mitgefühl helfe Tag für Tag. „Wir haben in diesem Jahr viel Zuneigung bekommen.“ Warten werde sie weiter, auf eine ehrliche Geste, auf ein Zeichen aus den Reihen der Verantwortlichen, „aus Respekt vor unseren Kindern“. Respekt gebührt wohl auch dieser starken Mutter.
„Es fällt mir schwer, ohne dich zu leben, jeden Tag zu jeder Zeit einfach alles zu geben“
Die MSV-Legendenfotos im Stadion sind abgeklebt, die Bandenwerbung auch, auf dem reinen grünen Rasen wird für jedes einzelne der 21 Opfer eine Sonnenblume niedergelegt, die Namen werden verlesen. Ein Hubschrauber knattert über das Stadion. Ausgerechnet. Die Duisburger Philharmoniker spielen erfolgreich dagegen an. Der Graf, Sänger der Band Unheilig, singt klavierbegleitet seinen Hit „Geboren um zu leben“ (siehe Zwischenzeilen), und erfüllt damit den Angehörigen einen Wunsch. Ihm und der Sängerin Richetta Manager sowie dem Jungen Chor Beckhausen gelingt es, das große Stadionrund vergessen zu lassen, so eindringlich und atmosphärisch dicht sind die Lieder inszeniert. Gänsehaut pur.
„Ich stell mir vor, dass du zu mir stehst, und jeden meiner Wege an meiner Seite gehst“
Feuerwehrleute aus Köln, Malteser aus Lage-Lippe, das Deutsche Rote Kreuz aus Duisburg, das Kabinett mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Innenminister Ralf Jäger, viele ganz normale Bürger sitzen in der Kälte, zeigen ihre Anteilnahme. Kraft wünscht in ihrer Fürbitte, dass alle, die die schrecklichen Bilder der Katastrophe noch in Kopf und Herz tragen, sie vergessen mögen. Und dass jene, die Fehler machten, die Kraft haben, sie einzugestehen. OB Sauerland und Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller sind übrigens nicht da.
„Ich denke an so vieles, seit dem Du nicht mehr bist, denn Du hast mir gezeigt, wie wertvoll das Leben ist“
Drei Schwächeanfälle
Das Gedenk-Wochenende ist aus Sicht von Polizei und Feuerwehr problemlos verlaufen. Polizeisprecher Ramon van der Maat bezeichnete die Lage am Samstag und Sonntag als „völlig entspannt“. Die Feuerwehr berichtete von drei kleineren Einsätzen. Zwei Personen in der Arena und eine im Karl-Lehr-Tunnel hatten einen Schwächeanfall erlitten. Alle wurden von Rettungskräften versorgt. Über 5000 Menschen hatten an beiden Gedenktagen die Rampe aufgesucht, um der Opfer zu gedenken. Am Montag, 25. Juli 2011, ist der Tunnel ab 5 Uhr wieder für den Durchgangsverkehr befahrbar.
Zu Herzen gehen die Schilderungen von Ella Seifer, die auf der Loveparade Party machen wollte und im Tunnel erkannte: „Hier läuft etwas ganz schief.“ Gehalten von Notfallseelsorger Uwe Rieske, immer wieder tränengeschüttelt, lässt sie den Tag Revue passieren, beschreibt ihre Gefühle, die Angst, ihre Freundinnen verloren zu haben, die Schuldgefühle, ihre Hände losgelassen zu haben. Sie habe sich früher immer beschützt und sicher gefühlt, an der Rampe erfasste sie dann die Ungläubigkeit, dass keiner kommt – und sie allein ist in der Masse.
Auch Daniel Otto, der für die Rettungssanitäter spricht, muss von Rieske gestützt werden, auch in ihm gibt es „Bilder, die ich nie vergessen werde“, er beschreibt einen hektischen Wettlauf gegen die Zeit, bei dem er aber auch viel Teamarbeit erlebt habe. Rücken an Rücken mit Polizei, Sanitätern, Laien.
Nach all den ergreifenden Worten wirken die ersten Trommelschläge von Peter Bursch und seiner All Star Band regelrecht befreiend, das ganze Stadion singt mit: „With a little help from my friends.“