Der Moment, in dem bei der Duisburger Loveparade die Zeit stehen blieb
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Duisburg. .
Tausende kamen am 24. Juli nach Duisburg, um zu feiern. 21 Menschen verloren bei einer Massenpanik ihr Leben. Die Verantwortung will bis heute niemand übernehmen. Ein persönlicher Rückblick auf die Duisburger Ereignisse von Thomas Richter.
Als ob die Zeit stehen bleiben würde. . .
Ich erinnere mich noch genau an jenen Moment, als ich von der Katastrophe erfuhr. Als Reporter zwängte ich mich durch die Massen in der überfüllten City. Ich sollte über jene Menschen berichten, die sich vom Hauptbahnhof auf dem Weg zum Partygelände befanden. Dann plötzlich unser Fotograf am Telefon: „Komm schnell zum Tunnel, es ist was Schreckliches passiert. Die reden sogar von Toten.“
19 Menschen verloren an diesem 24. Juli 2010 im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße ihr Leben, zwei weitere erlagen kurz darauf im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Sie waren in Scharen nach Duisburg gekommen, um zu feiern und Spaß zu haben. 21 von ihnen kehrten nicht wieder heim. Tausende wurden körperlich oder seelisch verletzt. Viele sind es noch heute. Die Loveparade – was als Fest der Liebe geplant war, endete in einer Katastrophe.
Eine Katastrophe, die ganz Duisburg für Wochen in Schockstarre zurückließ und seine Menschen nachhaltig verändert hat. Eine Katastrophe, für die bis heute keiner der Beteiligten die Verantwortung übernehmen will. Eine Katastrophe, die ratlos und wütend und traurig und zornig macht. Eine Katastrophe, die den Ruf und das Bild dieser Stadt in aller Welt mit prägen wird.
Vielleicht auf ewig.
Seit diesem Tag habe ich viele Gespräche mit Betroffenen geführt. Und sie alle berührten mich im tiefsten Innern. Etwa wenn Angehörige erzählen, wie ihr Kind traumatisiert heimkam und seitdem nicht wiederzuerkennen ist. „Da sitzt plötzlich ein anderer Mensch vor dir“, so ein verstörter Vater. Oder der Arzt, der als einer der ersten Notfall-Mediziner im Tunnel eintraf und später bestürzt feststellte: „Das war wie im Krieg!“ Oder der Notfallseelsorger, der versuchte, in den schwersten Stunden seelischen Halt zu geben – und später feststellte, dass ihn die Ereignisse psychisch so sehr mitgenommen hatten, dass er selbst eine Therapie brauchte. Oder die Überlebenden, die bis heute nicht zur Rampe zurückkehren können. Aus Angst, innerlich daran zu zerbrechen.
Ein neues Jahr steht uns bevor. Das ist immer auch die Zeit der Wünsche. Ich wünsche mir für 2011, dass die Menschen, die bei der Loveparade ihr Kind oder ihren Partner verloren haben, einen Weg für sich finden, um weiterzuleben. Ich wünsche mir, dass sie Antworten darauf erhalten, wer für den Tod ihrer Liebsten verantwortlich ist.
Ich wünsche mir aber auch, dass sich die Staatsanwaltschaft bald durch die Flut der Fakten und Akten gearbeitet hat und dann jene präsentiert, die sie juristisch ins Visier nimmt. Ich wünsche mir, dass die Stadtspitze ihr Schweigen bricht und die Größe aufbringt, sich bei den Angehörigen persönlich zu entschuldigen. Ich wünsche mir, dass die Rettungskräfte, Ersthelfer und Krankenhaus-Mitarbeiter endlich jene Anerkennung erfahren, die ihnen längst zusteht. Ich wünsche mir einen Oberbürgermeister, der erkennt, dass er den Rückhalt in seiner Verwaltungs-Belegschaft und in Großteilen der Bevölkerung längst verloren hat.
Aber Silvester ist auch die Zeit der Vorsätze. Und wir als WAZ-Redaktion haben uns fest vorgenommen, so lange kritisch zu berichten, bis diese Katastrophe aufgeklärt ist.
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