Duisburg. .
Kindesmisshandlung aufzudecken ist schwer, wenn Eltern immer einen anderen Arzt aufsuchen. Die Risiko-Datei „Riskid“ aus Duisburg soll dies verhindern. Darin erhalten Ärzte Einsicht in die Krankengeschichte von auffällig gewordenen Kindern.
Sie werden gewürgt, getreten, mit Zigaretten verbrannt. „Manche sind fast verhungert, bevor sie erschlagen werden.“ Die unfassbaren Auswüchse von Gewalt, die Kinder Tag für Tag in deutschen Wohnungen erdulden müssen, treiben selbst hartgesottenen Polizeibeamten Tränen in die Augen.
„In einem einzigen Jahr, 2005, fanden wir in Duisburg fünf Leichen von Kindern, die vor ihrem Tod sämtlich Opfer massiver Misshandlungen waren. Zwei der kleinen Körper wurden weggeworfen wie Müll“, erinnert sich Heinz Sprenger, damals als Kriminalhauptkommissar der Kripo Duisburg mit diesen Fällen konfrontiert.
Der Schock saß tief, auch bei Rechtsmedizinern, der Staatsanwaltschaft und in Kinderarztpraxen. „Es muss etwas geschehen“, war man sich schnell einig.
Nach zwei Jahren Planung startete "Riskid"
Noch etwa zwei Jahre sollte es dann dauern, bis im Juni 2007 aus der gemeinsamen Initiative Sprengers, des Duisburger Kinderarztes Dr. Ralf Kownatzki und ihrer Unterstützer das Projekt „Riskid“ hervorging. Eine - nur Ärzten zugängliche - Datei mit Hinweisen auf in Praxen festgestellte Kindesmisshandlungen.
„Am Anfang wurden 43 kleine Risiko-Patienten aufgenommen, bis heute hat sich deren Zahl auf 251 erhöht“, berichtet Dr. Kownatzki. Zugleich stellt er klar: „Uns geht es nicht in erster Linie darum, die Polizei zu holen, sondern wir möchten Hilfe für die oft überforderten Eltern organisieren, und vor allem die misshandelten Kinder schützen, bevor ihnen noch mehr Unheil widerfährt.“
Die Riskid-Datei kann Misshandler-Familien „enttarnen“, die sich durch „Doctor-Hopping“ einer Aufdeckung ihrer Taten entziehen wollen, indem sie mit ihren verletzten oder verwahrlosten Kindern immer wieder andere Ärzte aufsuchen. „Da wird dem einen erklärt, das Kind habe sich selbst an einer Tür gestoßen. Dem nächsten, es sei vom Fahrrad gestürzt“, schildern Mediziner ihre Erfahrungen.
Eltern müssen Ärzte von Schweigepflicht entbinden
Obwohl nur das Kindeswohl Dreh- und Angelpunkt ist bei „Riskid“, hatten die Initiatoren rechtliche Probleme, ihre Idee in die Tat umzusetzen. Nach wie vor müssen nämlich die Eltern zur Sammlung von Infos selbst einer Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht zustimmen.
„Das war bisher aber kein Problem“, so Dr. Kownatzki. Unter Tausenden hatten wir nur fünf Mal Eltern, die uns das verweigerten. Sie waren aber nicht in Misshandlungen verwickelt, sondern hatten eher Verständnisschwierigkeiten.“
Mindestens einer jungen Mutter aus Duisburg wurde durch die Vernetzung per Riskid die Trennung von einem gewalttätigen Freund ermöglicht. Ihr Kind wurde vor weiteren Übergriffen gerettet und konnte bei ihr bleiben.
Riskid soll solche Chancen nun ins ganze Land tragen. Über 10 000 Ärzte wären die Partner.