Duisburg. Alle anderen sind lange abgewickelt, aber die letzte Hauptschule in Duisburg hält sich. Wie Schüler und Lehrer gemeinsam Chancen erarbeiten.
Aus den meisten Duisburger Hauptschulen wurden in den 90er Jahren Gesamtschulen oder zumindest deren Dependancen. Aber die GHS St. Ludgerus in Walsum hält sich hartnäckig als letzte ihrer Art. Und wenn man Geld als Maßstab für Zukunftschancen nimmt, bleibt sie auch noch eine ganze Weile.
Die Hauptschule gehört zu den 900 Schulen landesweit, in die das Bildungsministerium insgesamt rund 2,3 Milliarden Euro pumpen will und zu den 400, die schon im Sommer profitieren sollen: Startchancen heißt das Programm, das faire Bildungschancen auch in herausfordernden Lagen ermöglichen will. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund sowie die Armutsgefährdung waren die entscheidenden Kriterien sowie ein entsprechender Schulsozialindex. Dreimal Ja für die Hauptschule in Walsum, deren Index bei 8 liegt und deren Schülerschaft zu 91 Prozent eine Migrationsgeschichte hat.
Die letzte Hauptschule Duisburgs ist gleichwertiger Anbieter in einem vielseitigen Schulsystem
Schulleiter Daniel Inhester freut sich über die finanziellen und personellen Möglichkeiten ab dem nächsten Schuljahr. Er betont aber auch: „Wir sind keine Resterampe!“ Der Schulleiter der letzten Hauptschule von Duisburg versteht sich als Chancengeber, als gleichwertiger Anbieter in einem vielseitigen Schulsystem.
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„Es muss doch nicht jeder Abi machen“, findet Inhester, es gibt unterschiedliche Lerntypen und manchen von ihnen ebnet sein Team den Weg in Krankenhäuser und Hotels, in Kfz-Werkstätten und Dachdeckerbetriebe. Leider aber gilt ein Hauptschulabschluss als Makel, weiß der Schulleiter. „Dabei leisten unsere Schüler hier was, sie haben nach der neun einen ersten Abschluss, nach der 10 zum Teil sogar einen Realschulabschluss mit Qualifikation.“
280 Kinder besuchen die Hauptschule in Walsum
Damit der Übergang gelingt, macht die kleine Schule ihre eigenen Infoveranstaltungen, die Lehrer klappern potenzielle Ausbildungsbetriebe ab und organisieren Langzeitpraktika: Einmal die Woche gehen die Zehntklässler in einen Betrieb, wo die Arbeitgeber sie „auf Herz und Nieren testen können“, wie Inhester sagt.
Fast 280 Schülerinnen und Schüler besuchen die GHS St. Ludgerus im äußersten Norden der Stadt: 265 ganz tolle Kinder und ein paar Problemkinder. „Schade, dass unsere Schüler so schlecht geredet werden, dass sie schon wegen der Zugehörigkeit zur Hauptschule, dem Namen auf dem Zeugnis herabgestuft werden“, findet Inhester.
„Wir sind ein kleines System, jeder kennt jeden“, sagt Inhester. Die Klassen sind klein mit maximal 25 Schülern, die Betreuung ist eng, in vielen Stunden sind zwei, manchmal sogar drei Lehrkräfte in der Klasse, helfen individuell.
30 Kollegen im Team: „Ich bin kein Alleinunterhalter“
Inhester selbst betont, dass er jeden Tag „mit Freude“ aus dem Kreis Recklinghausen losfährt, „es macht einen Riesenspaß hier!“ Und das liege vor allem am Kollegium, „an Lehrerinnen und Lehrern, die die Schüler in den Mittelpunkt stellen, die für die Schüler arbeiten“. Zwischen den rund 30 Kollegen gebe es ein gutes Miteinander. „Ich bin kein Alleinunterhalter“, betont er, verweist auf seine Konrektorin, den Teamgedanken. „Der Krankenstand ist enorm zurückgegangen, da scheinen wir also was richtig zu machen“.
Und dennoch gab es kaum ein Handvoll Schüler, die sich in der ersten Anmeldewelle für die Schule entschieden haben. Zweizügig wird die Schule erst durch Koordinierungsverfahren der Stadt, durch Kinder, die an Gesamt- und Realschulen nicht aufgenommen wurden. „Vielleicht müssen wir an den Grundschulen mehr Werbung machen“, spekuliert Inhester.
Der Quereinsteiger hat als Diplom-Sportwissenschaftler im Qualitätsmanagement von Sport- und Wellnesshotels gearbeitet. Ein Zusatzstudium der Biologie und viele Fortbildungen später ist er jetzt Schulformsprecher. „Schulentwicklung lässt mir keine Ruhe, es gibt so viele Potenziale, wenn man die Schüler mit ins Boot nimmt.“ Seit einem Jahr hilft ihm Schulhund Lotta dabei, der gutmütige Berner Sennenhund bringt viel Ruhe in die Schule.
Schulsozialarbeiterinnen machen Hausbesuche bei den Familien
Gleich drei Sozialarbeiterinnen tun das ihre zum Gelingen: Sie unterrichten das Fach Soziales Lernen, thematisieren je nach Jahrgangsstufe Themen wie Freundschaften und Gruppendruck, Selbstvertrauen oder Stärken. Sie setzen auf Beziehungsarbeit zu den Kindern, lassen aber auch die Eltern nicht aus ihrer Verantwortung.
Früh machen sie Hausbesuche, wenn ein Schüler auffällig wird. Schulabsentismus sei ein Problem, die damit verbundene „absolute Perspektivlosigkeit“ der Kinder treibt das Team um. Manche Eltern liefern ihre Kinder zum Beginn der 5. Klasse ab und sind dann nicht mehr zu sehen, erzählt auch Konrektorin Mirja Schade. Nicht mal die Abschlussfeier, die dick mit einem roten Herzen in ihrem Kalender notiert ist, locke die Familien.
Über die App Edupage, die man in allen Sprachen nutzen kann, seien inzwischen aber mehr Verbindungen entstanden. Darüber werden die Eltern etwa kontaktiert, wenn ihr Kind morgens nicht aufgetaucht ist. Es folge schnell eine Reaktion, eine Krankmeldung oder Entschuldigung. „Zum Elternsprechtag der 10. Klasse waren alle Eltern da“, freut sich Inhester. Sein nächstes Ziel ist ein Schülerrat, um das Wir-Gefühl weiter zu stärken, mehr Teilhabe zu ermöglichen.
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Der schlechte Ruf ärgert die Schüler
Nikola wird das nicht mehr begleiten, der 17-Jährige ist amtierender Schülersprecher und kurz vor seinem Abschluss. Ihn nervt, dass seine Schule so einen schlechten Ruf hat. „Viele Leute gucken erst mal komisch, aber wenn ich sage, dass ich meinen Realschulabschluss mache, wird es besser.“
Marwa aus der 10a erlebt sogar Gelächter, wenn sie sagt, von welcher Schule sie kommt. „Dabei kann man hier besser lernen, hier wird auch auf Schüler geachtet, die nicht so gut vorankommen“.
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Nikola wollte auf die Hauptschule, weil sein Deutsch noch nicht so gut war. Jetzt hofft er auf eine Ausbildungsstelle in einer Autowerkstatt, im Praktikum hat es ihm da gut gefallen. Hotellerie wäre eine Alternative, Nikola ist da offen „und das wünsche ich mir von den Leuten draußen auch, wenn sie Ausbildungsstellen anbieten.“ Konrektorin Mirja Schade freut es, dass ihre Schüler heute vielfach „mit Kusshand“ genommen werden. Sie fühlt sich nicht nur als Wissensvermittlerin, „ohne Bindung geht es nicht, wir machen auch ein bisschen family“.