Duisburg. Die Stadt Duisburg zählt allein 2023 schon zehn verstorbene Obdachlose. Hinter jedem Namen stecken Schicksale. Ein genauer Blick in die Szene.
Der 10. Oktober wird weltweit als Obdachlosen-Tag begangen. Er soll auf Menschen aufmerksam machen, die zwar mit ihrem Bier oder der Obdachlosenzeitung mitten in der Stadt hocken, aber für viele in der Gesellschaft dennoch nicht sichtbar sind. In der Duisburger City sind sie etwa am Lifesaver-Brunnen, auf der Bahnhofsplatte und im Kant-Park zu finden.
Menschen wie Mücke, Punky und Tascha. „Ich hatte sieben Herzinfarkte, war dreimal klinisch tot. Ich wunder‘ mich selbst, dass ich noch lebe“, sagt Punky. Eine Narbe am Hals erinnert an einen Luftröhrenschnitt, den er bekommen musste. Momentan geht‘s ihm gut. Er halte sich vom Alkohol fern.
Verstorbene Obdachlose in Duisburg: Gedenkveranstaltung
Nächste Woche Montag, am 9. Oktober, wird ihm wieder bewusstwerden, wie viel Glück er hatte: Gemeinsam mit dem Duisburger Verein „Help for homeless“ führt die Freie Evangelische Gemeinde eine Gedenkveranstaltung für die verstorbenen Obdachlosen durch. Nach der montäglichen Essensausgabe vor der langen Bank im Kant-Park um 16 Uhr, sollen Kerzen und Bilder an die erinnern, die seit diesem Jahr eine Lücke hinterlassen – in der Szene und im Leben. Sie gedenken an:
- Rudy aus Meiderich.
- Ikke.
- Micha.
- Lukasch.
- Angie.
- Tommy.
- Alex.
- N.N.
- N.N.
- Elena.
Hinter jedem Namen steckt ein Schicksal aus der Duisburger Szene
Elena starb am 22. Januar 2023 im Sana-Krankenhaus. Dennis kommen die Tränen, wenn er an seine Liebste denkt, die er eigentlich mal heiraten wollte. Vor ein paar Jahren hatten sich die beiden in der Szene kennengelernt. „Wir haben mit dem Alkohol übertrieben. Und dann hat sie Corona bekommen. So schlimm, dass sie ins Krankenhaus musste“, erzählt er.
Drei Mal kam sie in eine Klinik. Das dritte Mal überlebte sie nicht. Was Dennis besonders schmerzt: Er konnte sich nicht richtig von ihr verabschieden. „Ich wollte sie noch mal sehen, aber sie lag lange in der Pathologie. Als ich den Arzt dann fragte, meinte er, es wäre besser, sie so in Erinnerung zu behalten.“ Später hielt er ihre Urne in der Hand. Dennis schlägt die Augen nieder.
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Elena liegt nun auf einem Friedhof in Moers. Dort gibt es ein Familiengrab. Frank Schlackmann, der sich mit seiner Frau Sabine bei „Help for homeless“ im Kant-Park engagiert, begleitete den 40-Jährigen zur Beerdigung. „Wir standen abseits“, erinnert er sich. „Frank hat mir sehr geholfen“, betont Dennis und nimmt dankbar das Taschentuch, das Frank ihm reicht.
Er wohnt derzeit in einer Wohnung in Hochfeld, die ihm das Amt bezahlt. „Schlimme Ecke, immer was los.“ Strom gebe es dort nicht, etwas Warmes zu essen holt er sich montags im Kant-Park und an den anderen Tagen manchmal bei den vielen Initiativen, die sich in Duisburg ebenfalls um die Szene kümmern.
Wenn Menschen ohne Obdach sterben, sucht die Stadt zunächst nach Angehörigen
Mit dem Verein „Herzenswärme“ steht „Help for homeless“ im engen Austausch. Wenn Menschen ohne Obdach sterben, haben sie häufig niemanden, der sich um eine Beerdigung kümmert. In solchen Fällen springt die Stadt als Sozialhilfeträger ein. Im Jahr 2023 sind dem Bürger- und Ordnungsamt der Stadt Duisburg bislang zehn Sterbefälle von Obdachlosen gemeldet worden. In sieben Fällen hat die Stadt die Bestattung in Auftrag gegeben. Bei den anderen drei Toten konnten Angehörige ermittelt werden, die sich kümmerten. „Die acht Namen sind Menschen, die uns bekannt sind und unsere Angebote nutzen. Aber es wird auch eine Kerze für alle Namenlosen geben“, betont Frank von „Help for homeless“.
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Gilt die Todesursache als ungeklärt, wird die Polizei hinzugerufen. „Wenn jemand leblos gefunden wird und der Arzt eine ungeklärte Todesursache ankreuzt, klären wir, ob es sich um einen Suizid, Unfall oder Fremdverschulden handelt“, beschreibt Polizei-Sprecher Jonas Tepe das Prozedere. „Aber nicht jeder, der ohne Wohnsitz ist, ist auch obdachlos.“ In einigen Fällen hätten die Verstorbenen auch Adressen bei Vereinen oder etwa bei der Diakonie an der Beeckstraße angegeben.
2011 gab es die erste Gedenkfeier dieser Art
Bis zur Corona-Pandemie führte der „Arbeitskreis christlicher Kirchen“ (ACK) Duisburg in Kooperation mit der Stadt einen ökumenischen Gottesdienst für die „Unbedachten der Stadt“ durch. Vertreter sämtlicher Gemeinden beteiligten sich. Die Namen der Verstorbenen wurden verlesen, in der Zeitung eine Traueranzeige geschaltet und für jeden ein Licht entzündet.
2011 gab es das erste Gedenken dieser Art. „Leider ist das über Corona eingeschlafen, aber im nächsten Jahr wollen wir so eine Feier wieder auf die Beine stellen“, erklärt Lutz Peller vom ACK. Diese richte sich aber nicht allein an Obdachlose, sondern schließe alle ein, die zuletzt „unbedacht“ waren – das kann für Senioren, die niemanden mehr hatten, ebenso gelten.
„Bei jedem Sterbefall wird durch das Bürger- und Ordnungsamt versucht, bestattungspflichtige Angehörige zu ermitteln und zu informieren“, sagt Stadtsprecher Sebastian Hiedels. Grundsätzlich seien Ehegatten, Lebenspartner, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern und volljährige Enkelkinder verpflichtet, sich um eine Bestattung zu kümmern. Kommen diese der Pflicht nicht nach, übernimmt die jeweilige Stadt. Das Bürger- und Ordnungsamt trägt dann die Kosten.
„In Duisburg werden keine anonymen Bestattungen durchgeführt“, betont Hiedels. In jedem Bezirk gebe es auf einem Friedhof besondere Grabfelder für Beisetzungen dieser Art. Der durch die Behörde gewählte Friedhof richte sich in der Regel nach dem letzten Wohnort der Verstorbenen oder bei verstorbenen Obdachlosen nach dem Fundort der Leiche. Es werde allerdings keine Hinweistafel auf der Grabstelle angebracht.
Jahreslosung der evangelischen Kirchen 2023: „Vor Gott ist jeder Mensch sichtbar“
Als in diesem Jahr Ikke von der Bahnhofsplatte starb, legten Menschen an „seinem“ Stuhl Blumen nieder oder zündeten Kerzen an. Für Micha, einen anderen Verstorbenen, sammelte René Wittkowski von „Muddi hilft“ Spenden, um eine Grabplatte zu finanzieren.
Bereits am Sonntag will „Muddi hilft“ vor dem Bahnhof der Verstorbenen gedenken. Für Montag bereitet Frank Schlackmann von „Help for homeless“ Kerzen mit den Fotos der Toten vor. Pfarrer Arne Buschmann von der Freien Evangelischen Gemeinde wird ein paar Worte sprechen. Ihm ist klar, dass die wenigsten aus der Szene sonst in die Kirche gehen. Punky hat zum Beispiel einen Sticker mit der Aufschrift „Religiöse Kackscheiße“ auf seinem Rollator kleben – Punk eben. „Das ist kein Selbstzweck. Ich freue mich, wenn ich den Menschen helfen kann, in Erinnerung zu bleiben“, sagt Buschmann. Die Jahreslosung der evangelischen Kirche lautet 2023: „Vor Gott ist jeder Mensch sichtbar.“
Nach der Essensausgabe und der Trauerfeier gibt’s noch Kaffee und Kuchen. Tascha, Mücke und Punky kommen. Ehrensache, Kackscheiße hin oder her. Auch Dennis wird da sein. Frank Schlackmann packt genügend Taschentücher ein.