Duisburg. Fast 500 Kinder wurden vom Jugendamt Duisburg 2022 in Obhut genommen. Wie die Stadt versucht, den Familien schon im Vorfeld zu helfen.
In Duisburg ist die Zahl der Inobhutnahmen 2022 erneut gestiegen: Der Landesbetrieb IT.NRW hat 494 Inobhutnahmen gezählt, rund 50 mehr als 2021.
Über die Hälfte von ihnen waren unbegleitet geflüchtete Minderjährige (261), 68 wurden aus ihren Familien geholt, weil die Eltern oder ein Elternteil überfordert war. In 15 Fällen waren Beziehungsprobleme zu den Eltern der Anlass, in 42 Fällen war Vernachlässigung ursächlich.
Mehrheit der Inobhutnahmen in Duisburg gilt unbegleiteten Geflüchteten unter 18
Die Zahl der Inobhutnahmen ist geprägt von geflüchteten Minderjährigen, die in Duisburg ankommen. Allein im ersten Halbjahr 2023 waren es 94 „UMAs“, wie die „unbegleiteten minderjährigen Ausländer“ im Amtsdeutsch abgekürzt werden. „Wir sind verpflichtet, uns um sie zu kümmern, familiäre Kontakte, Unterbringung, Sorgerechtsfragen und Schulbildung zu klären“, sagt Duisburgs Jugendamtsleiter Hinrich Köpcke.
Man müsse an jeden Fall differenziert herangehen, oft mit Hilfe von Dolmetschern. „Duisburg tut eine ganze Menge“, betont Köpcke. Die Quote sei mit 130 Prozent übererfüllt: Offiziell müsse man sich um 238 UMAs kümmern, tatsächlich seien es aktuell 309. „Wir haben viele aufgenommen, wir kriegen sie aber auch versorgt.“ Dazu gehöre auch eine psychologische Begleitung, „viele kommen aus Kriegsgebieten, sind hoch belastet“. Das Institut für Jugendhilfe unterstütze sie.
90 Kindeswohlgefährdungen im ersten Halbjahr 2023 Duisburg
Der Jugendamtsleiter betont, dass vor einer Inobhutnahme immer abgewogen werde, ob das Kind mit entsprechenden Hilfen nicht doch in der Familie bleiben kann. Wenn es aus seiner Familie herausgeholt wird, würden immer auch Rückkehrmöglichkeiten geprüft.
Im ersten Halbjahr 2023 gab es 394 Meldungen, davon wurden 90 als Kindeswohlgefährdung bewertet, 48 als latente Gefährdung. 52 Kinder wurden in Obhut genommen. Zehn Minderjährige haben sich selbst beim Jugendamt gemeldet und um Hilfe gebeten. 2022 waren es insgesamt 50.
Vereinzelt würden Träger inzwischen begleitete Inobhutnahmen anbieten, berichtet Köpcke. Hier können Eltern binnen sechs Monaten Perspektiven erarbeiten, wie ein gemeinsames Leben wieder möglich ist. Die Erziehungsberechtigten können mit in die aufnehmende Einrichtung ziehen, um eng begleitet auf eine gemeinsame Zukunft vorbereitet zu werden.
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Das versuche das Jugendamt oft ohne Einbeziehung des Familiengerichts. „Uns ist wichtig, dass die Eltern ein Einsehen haben, dass sie unsere Maßnahmen mittragen und die Zeit nutzen, ihre häusliche Situation zu ordnen“, erklärt Köpcke. Neu hinzugekommen sei vom SOS-Kinderdorf eine Heimunterbringung für Kinder unter sechs Jahren.
Hilfen des Jugendamtes bereiten eine Rückkehr in die Familie vor
Es geht bei Inobhutnahmen nicht nur um Familien, wie sie in einschlägigen Reality-TV-Formaten vorgeführt werden: Mitunter führen Erkrankungen dazu, dass Erziehungsberechtigte die Hilfe des Jugendamtes in Anspruch nehmen, rückt Köpcke das öffentliche Bild gerade. Auch eine Trennung könne Menschen so aus der Bahn werfen, dass sie sich mit ihren Kindern nicht mehr zu helfen wissen. „Wir helfen ihnen, stärken ihre Bindungsfähigkeit. In vielen Fällen ist eine Rückkehr des Kindes in die Familie möglich.“
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Corona-Pandemie belastet Kinder, führt aber nicht erkennbar zu mehr Inobhutnahmen
Welche Einflüsse die Corona-Pandemie auf Eltern und Kinder hatte, könne man an den Inobhutnahme-Zahlen nicht ablesen. Es habe 2021 zwar mehr Gefährdungseinschätzungen gegeben, aber weniger akute Kindeswohlgefährdungen, so Köpcke. Hinweise auf höhere Belastung durch Homeschooling, beengte Wohnverhältnisse und fehlende soziale Kontakte gebe es gleichwohl.
Dem Jugendamtsleiter ist besonders wichtig, dass die präventiven Angebote vor einer Inobhutnahme immer weiter wachsen. „Die Präventionsketten gibt es ab der Geburt“, so Köpcke, Babylotsendienste, Frühe Hilfen etwa. Und mit 16 städtischen sowie 22 von freien Trägern angebotenen Einrichtungen für Jugendliche gebe es auch für sie Anlaufstellen.
Um diese und andere Angebote transparenter und offensiver darzustellen, wird ab 2024 eine bürgernahe Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet, kündigt Köpcke an. Das Landeskinderschutzgesetz ermögliche dies. Aus dem gleichen Topf werden drei Netzwerkkoordinatoren eingestellt sowie eine Fachkraft, die einen Kinderschutzbedarfsplan aufsetzen soll. Schon im kommenden Jahr hoffe er auf erste Ergebnisse aus der Analyse. „Es tut sich eine ganze Menge!“
>>LANDESWEITER ANSTIEG VON SCHUTZMASSNAHMEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE
- Die Jugendämter in NRW haben im vergangenen Jahr 35,7 Prozent mehr Kinder und Jugendliche in Obhut genommen. Es wurden Schutzmaßnahmen für 16.546 Kinder ergriffen.
- Insgesamt sind es aber immer noch 25 Prozent weniger als 2016. Der Spitzenwert im Langzeitvergleich lag bei 22.193.
- Es müssen bestimmte Bedingungen vorliegen: Das Jugendamt ist nur dann ermächtigt, wenn der Schutz des Kindes das Abwarten der familiengerichtlichen Entscheidung nicht erlaubt. Inobhutnahme kommt somit nur in besonders akuten Gefährdungssituationen in Betracht.
- Weitere Zahlen hat der Landesbetrieb auf www.it.nrw veröffentlicht.