Duisburg. Mahmut Özdemir und Bärbel Bas im Interview über Radikale und Konflikte unter Türkeistämmigen in Duisburg: Diese Gründe und Gegenmittel sehen sie.

Gibt es unter türkeistämmigen Duisburgern ein Problem mit nationalistischen und islamistischen Verfassungsfeinden? Den Redaktionsbesuch der Duisburger Bundestagsabgeordneten der SPD haben wir für ein Interview zu dem Thema genutzt, vor dem sich viele Politiker in Duisburg drücken: Bärbel Bas fordert hierzu mehr Unterstützung für Duisburg, Mahmut Özdemir ein härteres Vorgehen der Polizei und endlich „gerechte Chancen auf Teilhabe“.

Im zweiten Teil des Interviewsgeht es um den Kampf der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas für die Verkleinerung des Parlaments.

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Der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir (SPD) im Gespräch mit der Duisburger Lokalredaktion.
Der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir (SPD) im Gespräch mit der Duisburger Lokalredaktion. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Was haben Sie gedacht, als nach dem Wahlsieg des türkischen Präsidenten Erdogan Ende Mai in Hamborn Tausende Duisburgerinnen und Duisburger mit türkischen Nationalfahnen frenetisch gefeiert haben, angeheizt von radikalen Grauen Wölfen?

Mahmut Özdemir: Wir haben als Bundesinnenministerium und mit dem Verfassungsschutz einen Blick darauf, was in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zulässig ist. Vor der Wahl in der Türkei haben wir mit Respekt vor dem Wahlrecht der türkeistämmigen Menschen, aber auch mit Restriktionen das Notwendige getan. Wenn aber nachts die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört wird, muss man das unterbinden. Das ist durch die Landespolizei teilweise nicht geschehen. Wenn der Landesinnenminister um 23 Uhr vor irgendeiner Shisha-Bar auftauchen kann, um zwei Kilo Tabak zu beschlagnahmen, sollte er auch mit mehr Personal und klarer Kante für polizeiliche Ordnungsarbeit, beispielsweise durch die Beschränkung der Anzahl von Wahllokalen, bei solchen Phänomenen sorgen.

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Autor Burak Yilmaz, der sich im Duisburger Norden seit Jahren gegen Antisemitismus und Rassismus engagiert, vergleicht die Siegesfeien mit rechtsextremen Aufmärschen. Er sagt: Es gibt im Duisburger Norden ein großes Problem mit rechtsextremen Türken.

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Özdemir: Deshalb müssen solche Aufmärsche nach Recht und Gesetz zurückgedrängt werden. Und wenn dort Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen gezeigt werden, muss man sofort einschreiten. Man darf türkischen Nationalisten oder Faschisten nicht mehr gestatten als deutschen Rechtsextremen.

Yilmaz sagt auch: CDU und SPD hätten in der Vergangenheit problematische türkische Organisationen und Vereine besucht, um Wählerstimmen zu gewinnen.

Özdemir: Falsch. Ich rede mit denen, die mich einladen, um rauszukriegen: Was treibt die an? Wenn ich Organisationen, die in einem schlechten Licht stehen, ausgrenze, beraube ich mich auch der Möglichkeit, meine Gedanken dort zu platzieren. Es gibt in unserer Bundestagsfußballmannschaft auch zwei AfDler. Das hält mich nicht davon ab, ihnen zu sagen, dass sie in einer Gruppe von Rechtsextremisten Mitglied ist. Darum trifft diese Kritik für die SPD nicht zu. Wenn Menschen mit uns diskutieren wollen, haben sie und ich einen Anspruch darauf.

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Muss uns das besorgen, dass es eine Gruppe von relevanter Größe in Duisburg gibt, die ein Problem mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat?

Özdemir: Gibt es die wirklich? Mit unseren Sicherheitsbehörden und unserem Verfassungsschutz haben wir einen präzisen Blick auf die Szene. Ich glaube, dass wir verfassungsgemäß handeln: Wir akzeptieren bis zu einem gewissen Zeitpunkt, dass Menschen rechtes Gedankengut äußern – das akzeptieren wir aktuell auch im Bundestag. Der Siede- und Wendepunkt, auch für den Verfassungsschutz, ist der, wo aus Sympathie oder fahrlässigem Mitläufertum eine bewusste Unterstützung dieser Ideologien wird.

Türkischer Nationalismus in Duisburg – Mahmut Özdemir sieht Ursache in „jahrzehntelanger Diskriminierung“

Müsste eine öffentliche Überhöhung einer anderen Nationalität wie in Hamborn nicht eine politische Reaktion hervorrufen?

Özdemir: Man sollte auf die Ursachen schauen: auf jahrzehntelange Diskriminierung. Sie thematisieren türkische Konflikte in Duisburg, aber keiner von Ihnen hat sich mal mit Diskriminierungserlebnissen von türkischstämmigen Kindern in Kitas und Schulen beschäftigt – nicht damit, was das mit Menschen macht. Viele Betroffene zieht es am Ende in solche Subkulturen, zu den Gülenisten oder den Faschisten oder zu den Religiös-Konservativen. Da fühlen sie sich angenommen.

Das nutzt in Duisburg offenbar auch die islamistische und nationalistische Bewegung Milli Görüş aus, die mit ihren Netzwerken gezielt Einfluss auf Jugendliche nehmen will.

Özdemir: Solche Räume dulden wir mit unseren Sicherheitsbehörden nicht. Es gibt Aufklärung in der Schule, und auch die Moscheevereine haben einen Auftrag zur Transparenz in unserem Land. Das erwarte ich von allen Organisationen, die ausländisch gesteuert sind. Wenn es diese Transparenz bei Jugendarbeit und gesellschaftspolitischer Arbeit nicht gibt, ist das für uns ein Ansatzpunkt, genauer hinzugucken und einzuschreiten.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich Parallelstrukturen verfestigen?

Özdemir: Was hilft: Wir müssen den Weg fortsetzen, den die Bundesregierung mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht eingeschlagen hat. Wir müssen Menschen, die seit zehn, 12, 15 Jahren unter Duldung als Ausländer hier leben, mit offenen Armen empfangen: ,Du arbeitest, du hast hier Kinder in die Welt gesetzt, du bist ein Teil dieses Landes. Die beste Möglichkeit zur Teilhabe ist es, in dem Land, in dem ich lebe, nicht mehr zur Ausländerbehörde zu müssen. Es braucht aber auch vernünftige Sicherheitspolitik. Im Duisburger Norden muss ich mit anderer Verhältnismäßigkeit Rechtsstaat vollstrecken als im Duisburger Süden. Ich erwarte von der Landespolizei ein deutlich härteres Vorgehen, weil im Duisburger Norden Menschen den Eindruck haben, dass Rechtsstaat nur für einige Menschen vollstreckt würde, aber nicht für alle.

Aleviten und liberale Türkeistämmige berichten, sie hätten teilweise Angst, ihre Meinung zu äußern. In Duisburg gibt es innerhalb der türkischen Community tiefe Gräben. Der politische Standpunkt im Land der Großväter ist hier selbst unter gut ausgebildeten und integrierten Türkeistämmigen wie den Gülenisten noch immer entscheidend. Warum?

Özdemir: Die sind nicht integriert. Die sind in ihrer Blase geblieben. Was wir hier nicht dulden und zulassen, ist, dass Konflikte aus anderen Ländern hier Einzug halten. Diese Konflikte haben in unserem Land nichts zu suchen.

Aber das passiert doch.

Özdemir: Aber die Gülenisten oder die Grauen Wölfe gehören nicht zu unserer Gesellschaftsordnung. Unsere Gesellschaftsordnung ist die Bundesrepublik Deutschland. Wer dazugehören will, muss nur das Grundgesetz respektieren und Deutsch sprechen können. Wenn er es nicht kann, dem müssen wir es beibringen.

Mahmut Özdemir: „Es wird seit 30 Jahren Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund akzeptiert“

Das ist nicht die Realität in einigen Teilen von Duisburg. Akzeptieren wir das?

Özdemir: Es wird seit 30 Jahren Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund akzeptiert, die Presse akzeptiert es auch. Und jetzt wird die Wahl eines Präsidenten diskutiert, der nicht ansatzweise demokratischen Ansprüchen genügt. Völlig falscher Ansatz. Zeigt mir einen Artikel über die Benachteiligung und die soziokulturelle Abkapselung von Kindern mit Migrationshintergrund – darüber, wie es dazu gekommen ist, dass wir diese Kinder verloren haben, obwohl sie in Kita, Grundschule, weiterführender Schule waren.

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Wir berichten seit Jahren häufig über die hochproblematische Situation in den Grundschulen, über den Lehrermangel, aus Marxloh und Bruckhausen. Wir thematisieren fortlaufend, dass sich die Stadt Duisburg wahnsinnig schwer damit tut, neue Schulen zu bauen. Es hat nie ein Erkenntnisproblem gegeben, immer ein Umsetzungsproblem – weil es nur mit mehr Personal funktionieren würde. Dafür hat nie eine Bildungsministerin Geld bekommen. Zur Diskriminierung: Wie meinen Sie das in Schulen, in denen Migrantenkinder unter sich sind?

Özdemir: Es ist vor allem eine strukturelle Diskriminierung. Die wollen wir auch als Bundestag bekämpfen. Wir wollen die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse – auch für Kinder, auch im gesamten Duisburger Stadtgebiet. Diskriminierung ist kausal dafür, dass wir Jugendliche verloren haben. Das sind Verfehlungen in der sogenannten Integrationspolitik. Wir brauchen keine Integrationspolitik. Wir brauchen gerechte Chancen auf Teilhabe und Schutz vor Diskriminierung, aber mit Grundsatzprogrammen, die die gesellschaftliche Teilhabe aller stärken.

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„In manchen Stadtteilen spielt sich etwas ab, das dürfen wir nicht hinnehmen“

Wie sollte man auf die fehlende Identifikation mit deutschen Institutionen reagieren?

Bärbel Bas: Wir müssen häufiger raus in die Brennpunkte, zuhören und handeln. Ich mache mir große Sorgen, dass wir in Duisburg, aber auch bundesweit, zunehmend extremistische Gruppierungen haben, die unsere Verfassungsorgane nicht respektieren. Wir helfen als Staat Städten nicht ausreichend, in denen sich so etwas konzentriert. Ungleiches müssen wir auch ungleich behandeln. Die Duisburgerinnen und Duisburger erwarten, dass wir das auch benennen: Wir haben hier Probleme in der Stadt, aber wir werden sie gemeinsam lösen. In Duisburg spielt sich in manchen Stadtteilen etwas ab, das dürfen wir nicht hinnehmen. Ich meine Formen von Antisemitismus und Homophobie zum Beispiel. Wir brauchen im Polizeidienst und in der Justiz mehr Menschen mit Migrationshintergrund, damit wir Gefahren früher und besser erkennen.

Es gibt komplexe Megakrisen wie Corona und Russlands Krieg, Unsicherheit, Wohlstandsverluste – ideale Bedingungen für Populisten, die Feindbilder und einfache Lösungen vorgaukeln.

Bas: Ich mache mir darum große Sorgen. Auch unsere Demokratie steht auf dem Spiel. Da sind wir alle gefragt, den Mund aufzumachen. Die Politik kann die Multiproblemlagen nicht immer sofort im Griff haben. Den großen Masterplan hat niemand weltweit. Aber wir haben als Politikerinnen und Politik die Aufgabe, zu erklären, zu versachlichen und zu mehr Verständnis in der Bevölkerung beizutragen.

Sie meinen das Gezanke der Ampel.

Bas: Das ist mein Appell auf Bundesebene: Leute, reißt euch zusammen!

Mahmut Özdemir und Bärbel Bas beim Interview in der Duisburger Lokalredaktion.
Mahmut Özdemir und Bärbel Bas beim Interview in der Duisburger Lokalredaktion. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

>> MAHMUT ÖZDEMIR UND BÄRBEL BAS

  • Mahmut Özdemir (36) wurde in Homberg geboren, seine Eltern stammen aus der Türkei. 2013 zog Özdemir im Alter von 26 Jahren erstmals in den Bundestag ein. Seit Dezember 2021 ist er Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin des Innern und für Heimat, seit Oktober 2021 auch der Vorsitzender der SPD Duisburg.
  • Bärbel Bas (55) war von 2013 bis 2019 Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Mit Ja-Stimmen von 576 der 736 Bundestagsabgeordneten wurde die gebürtige Walsumerin im Oktober 2021 zur neuen Bundestagspräsidentin gewählt.