Düsseldorf. NRW-Politiker sind auffallend sorglos im Umgang mit türkischen Rechtsextremisten. Experten warnen sie: „Bitte seid nicht naiv!“
Wieder wird einem Kommunalpolitiker aus NRW ein unsensibler Umgang mit türkischen Rechtsextremisten vorgeworfen: Hamms Oberbürgermeister Marc Herter (SPD) musste sich zuletzt zweimal mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Kontakt zu Grauen Wölfen zu haben. Der Rechtsextremismus-Forscher Prof. Kemal Bozay warnt vor Naivität gegenüber diesen türkischen Rectsextremisten.
Im Juni besuchte der Hammer Rathauschef die Geburtstagsfeier eines Mannes mit guten Kontakten zu den Grauen Wölfen. Ende August berichtete der WDR außerdem über die Bewerbung eines türkischen Rechtsextremisten für eine Stelle der Stadt Hamm. Sie sei direkt ins Büro des Oberbürgermeisters geschickt und mit einer wohlwollenden Bewertung ans Personalamt weitergeleitet worden. Herter beteuert, mit dieser Bewerbung nie persönlich befasst gewesen zu sein. Er habe auch nichts von der politischen Gesinnung des Gastgebers auf der Geburtstagsfeier gewusst.
Lage Reihe irritierender Begegnungen
Es gab schon viele irritierende Begegnungen zwischen deutschen Politikern und Grauen Wölfen (Ülkücü-Bewegung, übersetzt: „Idealisten“), am Ende meist verbunden mit der Aussage: „Das habe ich nicht gewusst.“ Die frühere Integrations-Staatssekretärin Serap Güler (CDU) wurde wiederholt mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Die CDU schloss 2017 einen Hammer Christdemokraten wegen dessen Verbindungen zu den Grauen Wölfen aus der Partei aus. 2019 erntete der SPD-Landtagsabgeordnete Sven Wolf Kritik für seinen Besuch in einer Remscheider Moschee, die den Grauen Wölfen zugeordnet wird. Im Landtagswahlkampf 2022 ließ sich der CDU-Landtagsabgeordnete Jörg Geerlings beim Fastenbrechen vor einem Symbol der „Wölfe“ fotografieren.
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„Das hat etwas mit politischer Naivität zu tun“, erklärt der Sozialwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher Prof. Kemal Bozay von der Internationalen Hochschule (IU) in Düsseldorf. „Man wird zu einer Veranstaltung eingeladen und denkt, das sei nur folkloristisch. Der Politiker möchte sich mit solchen Begegnungen schmücken und hinterfragt nicht, wer hinter der Einladung steckt.“ Gerade in Wahlkampfzeiten geschehe dies häufig.
"Genauso gefährlich wie deutsche Rechtsextremisten"
Der Vorsitzende des Landtags-Petitionsausschusses, Serdar Yüksel, hält seien Parteifreund Herter für einen „aufrechten Antifaschisten“. Die Vorgänge in Hamm könne er nicht bewerten, aber Yüksel warnt allgemein vorm „naiven“ Umgang mit Grauen Wölfen. „Sie sind genauso gefährlich wie deutsche Rechtsextremisten. Sie sind völkisch-rassistisch, stehen für ein Menschenbild der Ausgrenzung, und in der Türkei ist ihre Partei MHP Königsmacher für Präsident Erdogan“, sagt Yüksel. Wer versuche, türkische und deutsche Faschisten zu unterscheiden, der könne auch versuchen, „Mist nach Geruch zu sortieren“.
Doch welches Interesse haben die Grauen Wölfe daran, deutsche Politiker zu umgarnen? „Sie möchten über diese Kontakte in die Mitte der Gesellschaft gelangen und gleichzeitig ihren Mitstreitern signalisieren, dass sie in Parteien und Kommunalparlamenten präsent sind. Das dient der Legitimation der eigenen Radikalität“, erklärt Prof. Bozay.
Zentrum für Türkeistudien: Blick der "Wölfe" richte sich eher in Richtung Türkei
Yunus Ulusoy vom Essener Zentrum für Türkeistudien stimmt zu, dass einzelne Akteure der Grauen Wölfe bewusst den Kontakt zur deutschen Kommunalpolitik suchen. Er ergänzt jedoch, dass die „Idealistenvereine“ als ganze Organisation dieses Ziel nicht in erster Linie verfolgen. „Schaut man sich zum Beispiel die Website von „Türk Federasyon“ – der Föderation der Idealistenvereine in Deutschland – an, so sieht man, dass alles auf Türkisch geschrieben ist.“ Ziel sei es vor allem, in der türkischen Diaspora Fuß zu fassen und darüber Einfluss auf die politischen Entwicklungen in der Türkei zu nehmen.
„Die Grundhaltung, die wir in Deutschland gegenüber nationalistischen Organisationen haben ist aufgrund unserer Geschichte eine andere als in der Türkei“, sagt Ulusoy weiter. In der Türkei gehörten Nationalismus und Nationalstolz zur politischen Agenda. „Dort würde niemand die Parteien des nationalen Spektrums einer Ecke zuordnen, wie wir es in Deutschland tun.“
Bundestags-Beschluss ohne Folgen?
Prof. Kemal Bozay warnt dagegen eindringlich vor der Verharmlosung der Grauen Wölfe und beklagt ein Versagen der politischen Bildung. 2020 hätten die demokratischen Fraktionen im Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Vereine der „Ülkücü“-Bewegung Organisationsverbote zu prüfen. Das sei aber folgenlos geblieben. Die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung Bildungsarbeit müssten sich intensiver mit der Bedrohung beschäftigten.
Graue Wölfe in NRW
Laut dem jüngsten Verfassungsschutzbericht werden in NRW etwa 3700 Personen in Verbindung der „Ülkücü-Bewegung“ (Graue Wölfe) zugerechnet. Die Bewegung wird vom Verfassungsschutz beobachtet, weil sich ihr Weltbild „gegen das friedliche Zusammenleben der Völker“ richte. Zentrales Merkmal ist nach Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden die Idealisierung der türkischen Identität bei gleichzeitiger Herabwürdigung anderer Volksgruppen und politischer Gegner.