Duisburg. Eine Frau (84) wurde in ihrer Wohnung getötet. Zwei Szenarien gibt es. Was steckt hinter einer Wunde der Angeklagten? Pflegerinnen sagten aus.
Eine Bluttat und zwei Versionen: Wer stach im Spätsommer 2022 in einer Wohnung an der ruhigen Stresemannstraße im Duisburger Innenhafen zigfach und tödlich auf eine 84-Jährige ein? Zuletzt geriet ihre angeklagte Nachbarin immer stärker unter Druck. Diese beschuldigt aber weiterhin die schwer demente Mitbewohnerin der Toten. Am vierten Verhandlungstag in dem Mordprozess ging es weiter um die Frage: Wäre die 89-Jährige überhaupt zu solch einer Tat fähig gewesen?
Das Problem: Der Gesundheitszustand der Frau ermöglicht nach eindeutiger Einschätzung eines Sachverständigen eine Befragung nicht. Ihr Erinnerungsvermögen sei massiv heruntergefahren, jede Situation für sie neu und unbekannt, erklärte der Experte.
Die 46 Jahre alte Angeklagte sieht in der gebrechlichen Seniorin aber die Täterin. Bisherige Aussagen untermauerten aber die Anklage: Demnach soll die 46-Jährige am Vormittag des 23. August insgesamt 29 Mal auf die 84-Jährige eingestochen haben. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll sie aus Habgier und Heimtücke gemordet haben. Nach Erkenntnissen der Ermittler soll die Frau monatelang unberechtigt Geld vom Konto der Seniorin abgehoben und im Casino Duisburg „verzockt“ haben – insgesamt rund 30.000 Euro. Am Tattag hätte das Opfer einen Banktermin gehabt, bei dem alles hätte auffliegen können.
Direkt nach der Tat und auch zum Prozessauftakt sagte die Beschuldigte allerdings aus, dass sie die 84-Jährige schon blutüberströmt auf deren Bett vorgefunden hätte. Die 89 Jahre alte Mitbewohnerin des Todesopfers hätte im Badezimmer gestanden. Mit einem Messer, so ihre Version, soll die Seniorin dann auf sie zugelaufen sein und sie verletzt haben.
Mord an 84-Jähriger in Duisburg: Gerichtsmedizinerin sieht keine typische Abwehrverletzung
Als Beweis führt die 46-Jährige eine Wunde am rechten Unterarm an, bezeichnet diese als Abwehrverletzung. Die Schnittwunde war laut Krankenakte drei Zentimeter lang und etwa einen Zentimeter tief. Mediziner versorgten diese in einer Notaufnahme.
Neun Tage nach dem Angriff untersuchte eine Gerichtsmedizinerin die 46-Jährige, die damals noch nicht unter Mordverdacht gestanden hatte. Dazu führte erst eine spektakuläre Wende in den Ermittlungen. Die Ärztin ordnete vor Gericht nun ein: „Die Wunde befindet sich im Innenbereich des Beugers, ist keine typische Abwehrverletzung.“ Es sei möglich, dass sich die Frau die Verletzung bei einem eigenen Angriff in der Kampfhandlung zufällig zugezogen habe. Oder: Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Linkshänderin sich die Wunde willentlich selbst zugefügt habe – etwa um die Version einer Attacke auf sie zu belegen.
Außerdem interessant: Laut Bericht der Gerichtsmedizinerin begann die 46-Jährige in der Woche nach der Tat damit, Schlafmittel zu nehmen. Die Angeklagte stritt dies am Dienstag allerdings ab.
Altenpflegerinnen schildern das Leben in der Erdgeschosswohnung
Die Angeklagte war vor dem verhängnisvollen Spätsommertag wichtiger Bestandteil einer Dreierkonstellation gewesen:
Die beiden Seniorinnen, die seit 50 Jahren befreundet waren, lebten im Erdgeschoss des Mehrfamilienhauses in einer Wohngemeinschaft zusammen. Nachdem der Gesundheitszustand der Älteren sich rapide verschlechtert hatte, waren ihre beiden Wohnungen durch einen Durchbruch zusammengelegt worden. Die Konstellation scheint klar: Die 84-Jährige war noch deutlich fitter, kümmerte sich um ihre Freundin, die allerdings seit 2019 auch durch einen ambulanten Pflegedienst betreut wurde. Dieser kam einmal morgens – nicht zu früh, da die beiden Frauen gerne länger schliefen – und abends.
Viele Aufgaben im Alltag der beiden Damen übernahm aber auch die jüngere Nachbarin. Sie wohnte mit ihrem Mann und den beiden Kindern ebenfalls in dem Haus. Sie putzte in der Seniorinnen-WG, begleitete die Frauen zu Ärzten und Behörden, ging einkaufen – und managte die Bankgeschäfte.
Am Dienstag zeichneten vier Altenpflegerinnen, die wechselnd die Stresemannstraße anfuhren, ein Bild vom Leben in der Erdgeschosswohnung: Die 84-Jährige habe morgens im Bademantel die Tür geöffnet, während die 89-Jährige noch im Bett gelegen habe. Unter gutem Zureden und mit Hilfe sei diese dann aufgestanden. Beim Waschen und Anziehen und Gehen sei sie auf Unterstützung angewiesen gewesen.
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Das habe etwa bei der Gesichtswäsche konkret so ausgesehen: Die Pflegerinnen hätten ihr einen Waschlappen gereicht und die Bewegungen vorgeführt. Dann habe die schwerkranke Frau sich das Gesicht mit dem Lappen gewaschen. Das habe sie schon beim Oberkörper nicht mehr selbstständig gekonnt. Ebenso sei es mit der Medikamenteneinnahme gewesen. „Wir haben ihr die Tablette in den Mund gelegt und mit Wasser nachgespült“, schilderte eine der Pflegerinnen.
Fragen nach Konflikten in der Wohngemeinschaft
Mehrfach wurden die Frauen auch nach Konflikten und Streits zwischen den Seniorinnen gefragt. Selbst mitbekommen hätten sie solche nicht. Allerdings habe die Nachbarin ihnen berichtet, dass die 84-Jährige ihrer Freundin bei einem Vorfall den Mund zugehalten habe, weil diese so laut geschrien hätte. Die Striemen im Mundbereich habe das Pflegepersonal seinerzeit auch dokumentiert.
Am Tag nach der tödlichen Attacke telefonierte eine Altenpflegerin mit der Nachbarin. Die 46-Jährige habe erzählt, dass die 89-Jährige ihre Mitbewohnerin getötet habe. „Ich war entsetzt“, erinnert sich die Pflegerin an ihre Reaktion. Der Verteidiger der Nachbarin hakte nach und wollte wissen, ob sie es geglaubt habe. Die Antwort: „Schwierig. Aber ich hätte es wohl glauben können.“
>>Pflegerinnen sind sich mit Gutachter einig
- Der erfahrene psychiatrische Gutachter Dr. Frank Sandlos hatte am vorangegangenen Prozesstag die Einschätzung abgegeben, dass die 89-Jährige seiner Expertise nach körperlich und geistig nicht zu der tödlichen Handlung fähig gewesen sei.
- Das unterstrichen die Pflegerinnen mit ihren Aussagen. Eine der Frauen sagte: „Sie hätte nicht die Kraft und die Standsicherheit dafür gehabt.“