Duisburg. 84-Jährige starb durch zahlreiche Stiche mit einem Küchenmesser. War es ihre demente Mitbewohnerin (89)? Eine angeklagte Nachbarin sagt: Ja.
Immer wieder stockt die Angeklagte in ihrer Aussage, sie schluchzt, weint, hält inne, greift zum Taschentuch. „Seit dem Tag ist nichts mehr wie es war“, sagt die inzwischen 46-Jährige vor der Fünften Großen Strafkammer des Duisburger Landgerichts, „ich bekomme diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf.“ Am 23. August des vergangenen Jahres starb eine 84-Jährige in ihrer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus an der Stresemannstraße nahe dem Innenhafen eines gewaltsamen Todes. Inga H. war durch mindestens 29 Stiche mit einem langen Küchenmesser getötet worden.
Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist klar, wer dafür verantwortlich ist: Die damals 45-Jährige Nachbarin der Seniorin. Sie soll erst versucht haben, die schlafende 84-Jährige in ihrem Bett zu erwürgen. Als das misslang, soll sie das Messer aus der Küche geholt und zugestochen haben. Die mutmaßliche Täterin, so die Anklage, soll dann versucht haben, die Tat Gabi K. (89) in die Schuhe zu schieben, der stark dementen Mitbewohnerin von Inga H..
30.000 Euro von Konten der Seniorinnen abgehoben
Die Nachbarin soll aus Habgier und Heimtücke getötet haben, so die Staatsanwaltschaft. Außerdem soll die Frau versucht haben, durch den Mord zu vertuschen, dass sie monatelang unberechtigt Geld von den Konten der Seniorinnen abgehoben und im Casino Duisburg verspielt haben soll – insgesamt rund 30.000 Euro. Am Tattag hätte die Getötete einen Termin bei ihrer Bank gehabt. Dort hätte das auffliegen können. Im Casino sei sie regelmäßig gewesen, räumt die Angeklagte später ein, spielsüchtig sei sie aber nicht.
Dass die Angeklagte, die in Handschellen in Saal 201 geführt wird, beim Prozessauftakt am Dienstag aussagt, kommt überraschend. Eigentlich hätte nur die Anklage verlesen werden sollen. Die nicht vorbestrafte Frau wiederholt in der Verhandlung im Kern die Angaben, die sie in ihrer ersten Vernehmung bei der Polizei noch am Tattag gemacht hat. Sie, die mit ihrem Mann und zwei elf und 15 Jahre alten Söhnen im dritten Stock über der Seniorinnen-WG lebte, habe an diesem Montagmorgen gegen 8.15 Uhr Hilfeschreie aus dem Erdgeschoss gehört – nicht zum ersten Mal. Nach einiger Zeit sei sie hinunter gegangen, um nach dem Rechten gesehen.
Sie hatte einen Schlüssel für die Wohnung. Frau K. sei im Badezimmer gewesen, dort „alles voller Blut“, Frau H. habe an ihrem Bett gelegen. Sie habe an der 84-Jährigen gefühlt. Die habe aber kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Dann sei Frau K. aus dem Badezimmer gekommen, sie habe das Messer gesehen und versucht es der 89-Jährigen aus der Hand zu schlagen. Dabei sei sie selbst verletzt worden. Sie habe schließlich erst die Polizei und dann ihren Mann angerufen: „Hier ist etwas Schreckliches passiert.“ 40 Minuten lang versuchen sich die Rettungskräfte an der Wiederbelebung der Schwerstverletzten, dann müssen sie aufgeben.
Angeklagte: „Die beiden haben sich immer wieder gezofft“
Ausführlich äußert sich die 46-Jährige auch zu ihrem Verhältnis zu den Seniorinnen und zu dem, das die beiden älteren Damen untereinander führten. Ständig hätten diese Streit gehabt, vor allem, als die Ältere immer dementer wurde. Essen sei an die Wände geflogen, Regale abgeräumt worden: „Die beiden haben sich immer wieder gezofft.“ Dabei soll es auch zu Gewalttätigkeiten gekommen sein. H. habe K. öfter geschlagen, die Ältere der Jüngeren auch schon mal ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Das Verhältnis muss immer toxischer geworden sein. Immer wieder habe sie dabei schlichten müssen. Eigentlich hätte K. in ein Pflegeheim kommen sollen, das habe H. aber nicht gewollt.
Die Nachbarin kümmerte sich um die Seniorinnen, machte Behördengänge und Besuche bei Pflegediensten und Ärzten mit, putzte und ging einkaufen – so erklärten sich die Bargeldabhebungen, so die Angeklagte. Ihr Stundenlohn für die Dienste sei von zunächst zehn auf später 13 Euro gestiegen. Es gab aber wohl auch finanzielle Abhängigkeiten, deutet die Angeklagte an. Die Wohnung in dem Haus, das K. gehörte, hätten sie und ihre Familie sich eigentlich nicht mehr leisten können. Ihr sei daraufhin ein „lebenslanges Mietrecht“ zugesichert worden. „Ich musste nie nach Geld fragen“, sagt sie. Auch „Taschengeld für Urlaube“ habe es gegeben.
„Es ist ein Alptraum, aus dem ich nicht wach werde“
Das Verhältnis zu den Seniorinnen beschreibt sie fast liebevoll: „Die Kinder waren wie Enkel für sie und ich war wie eine Tochter.“ Manchmal passte sie auch mehrere Nächte am Stück auf die Seniorinnen im Erdgeschoss auf. Heute nach der Tat sagt: „Es ist ein Alptraum, aus dem ich nicht wach werde.“
Der Vorsitzende Richter Mario Plein konfrontiert ihre Aussage anschließend mit den Angaben, die sie in ihrer ersten Vernehmung bei der Polizei gemacht hat. In etlichen Details ist sie widersprüchlich oder kann sich nicht mehr erinnern. Auch von einer Attacke mit einem Kissen der Älteren war zuvor nie die Rede. „Das ist alles falsch“, sagt sie oft. Sogar die Namen der beiden Seniorinnen hat sie bei der polizeilichen Vernehmung mehrfach vertauscht. Unterschrieben hat sie jede Seite des Protokolls, zuvor gelesen haben will sie es aber nicht mehr.
Verteidiger: Unsere Mandantin ist unschuldig
Die Verteidigerinnen und Verteidiger der Duisburgerin sind zuversichtlich: Es handele sich um einen „reinen Indizienprozess“, sagt Rechtsanwalt Marc Grünebaum, „wir gehen davon aus, dass diese zu widerlegen sind.“ „Das Ende der Beweisaufnahme wird zeigen, dass unsere Mandantin unschuldig ist“, ergänzt seine Kollegin Janine Röseler.
Die schwer demente 89-Jährige war nach der Tat in die geschlossene Psychiatrie eingeliefert worden. Zwei Monate später war die Nachbarin dann nach umfangreichen Ermittlungen festgenommen und in Untersuchungshaft geschickt worden. Unter anderem war ein Sachverständiger zu dem Schluss gekommen, dass die 89-Jährige weder körperlich noch geistig zu der Tat fähig gewesen wäre. Die Frau lebt jetzt in einem Pflegeheim.
Ein Urteil im Prozess könnte Anfang Juni fallen
Nach dem Prozessauftakt hat das Gericht vorerst noch sechs weitere Verhandlungstage angesetzt. Rund 30 Zeugen, darunter auch ein Sachverständiger, sollen der Kammer helfen, den Fall zu klären. Ein Urteil könnte Anfang Juni fallen. Der Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt.
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Der Ehemann der verwitweten Getöteten hatte sich vor Jahren selbst das Leben genommen, das wird am Rande bekannt, die einzige Tochter war schon im Kindesalter gestorben. Ihre noch in Bonn lebende jüngere Schwester wird als Nebenklägern von Rechtsanwalt Stephan Mager aus Rheinbach vertreten. Für die sei die Situation „nicht einfach“. Auch sie stelle sich die Frage nach dem „Warum“. Als trotz des Alters „rüstig, geistig fit und voller Lebensmut“ habe sie ihre Schwester beschrieben. Sie sei Opfer eines "brutalen Verbrechens" geworden. Die beiden alten Damen sollen seit rund 20 Jahren zunächst an der Mosel bei Traben-Trarbach zusammen gewohnt haben, ehe sie nach Duisburg zogen. Befreundet waren sie seit rund 50 Jahren.