Duisburg. Die Zahl der „Schulrücksteller“ steigt in Duisburg seit Jahren: Warum immer mehr Kinder zwar schulpflichtig sind – aber noch nicht schulfähig.
Sie können keinen Stift halten, nicht mit einer Schere umgehen: Mehr Kinder denn je werden in Duisburg als noch nicht schulfähig eingeschätzt. Seit einigen Jahren steigt die Zahl der empfohlenen Rückstellungen laut Gesundheitsamt deutlich: 2017 wurden von 4581 untersuchten Kindern 2,5 Prozent eine Rückstellung empfohlen, 2019 waren es 3,4 Prozent von 4645 und im vergangenen Jahr 4,3 Prozent von 4072.
Für den kommenden Einschulungsjahrgang laufen die Untersuchungen noch bis zum Sommer, aber eine Veränderung der Tendenz nach oben ist nicht absehbar: Die Zahl der Kinder, die mit Beginn der Schulpflicht noch nicht schulfähig waren, stieg in den letzten fünf Jahren von 114 auf 175, eine Steigerung um über 53 Prozent.
[Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde erstmals am 22. Januar 2023 veröffentlicht]
Pandemie schränkte Kita-Zeiten für viele Kinder massiv ein
„Vor mir stehen weinende Eltern“, erzählt eine Kindergartenleiterin, die aus Rücksicht auf die Familien anonym bleiben will. Ihre Einrichtung ist in einem sozialen Brennpunkt. Es sei die pure Hilflosigkeit und Überforderung, die ihr entgegenschlägt. Die Erzieherin betreut zur Zeit Kinder, die pandemiebedingt zwei Jahre „vor dem Tablet geparkt wurden und teils besser Englisch als Deutsch sprechen können. Wir haben sie dann nur ein Jahr in Händen, wie sollen wir sie retten?“ fragt sie.
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Der Unterschied zwischen Kindern, die eine Kita besucht haben und jenen, die vor allem daheim waren, ist immens, bestätigt auch Tülay Salman, Rektorin der Gemeinschaftsgrundschule Eschenstraße in Hochfeld. „Ihnen fehlen oft ganz basale Kenntnisse, einen Stift oder eine Schere halten beispielsweise.“ Was bei den Einschulungstests nicht überprüfbar ist, sich aber später zeige, seien außerdem Probleme beim Spiel- und Sozialverhalten.
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Wichtige Vorbereitung für die Schule: Wenn daheim gelesen, gespielt, gesprochen wird
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Kinder ohne Deutsch-Kenntnisse nimmt Salman jedes Jahr auf. Entscheidend für einen guten Start an der Schule sei eher, ob zuhause vorgelesen, gesprochen und gespielt wurde. „Das ist in unserem Einzugsgebiet nicht bei vielen der Fall.“ Die Zahl der Schulrücksteller wechsele, mal seien es zwei, mal acht, dieses Jahr sechs.
Wenn sie nach Absprache mit der Kita die Befürchtung hat, dass das Jahr nichts bringen wird, weil das Kind auch vorher nicht regelmäßig in den Kindergarten ging, setzt sie doch auf die Schulpflicht, auf Schulsozialarbeit und die verschiedenen Fördermöglichkeiten im Haus. „Unsere Kinder bringen die unterschiedlichsten Voraussetzungen mit, manche können schon lesen und schreiben, andere selbst nach Wochen nicht mal ein A nachmalen.“
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Um dem gerecht zu werden, wünscht sich Salman die Schulkindergärten zurück, wo in kleinen Gruppen auf die erste Klasse vorbereitet wurde. Das sei sinnvoller als die aktuelle Schuleingangsphase, in der Kinder bei Bedarf drei Jahre für die ersten zwei Schuljahre nutzen können: „Sie verlassen dafür ihre Lerngruppe“, beschreibt die Schulleiterin den Effekt. „Es ist kein Sitzenbleiben, fühlt sich aber so an.“
Unterschiedliches Aufkommen bei den Kita-Trägern
In den drei DRK-Kindergärten gibt es nur vereinzelt Schulrückstellungen, berichtet Barbara Seidel. „Wenn es mehr Fälle wären, könnten wir das auch nicht auffangen.“ Sie beobachtet, dass die Entwicklungsunterschiede „immer weiter auseinanderdriften“. Deshalb müssten auch Schulen die individuelle Förderung stärker fortführen. Das größte Problem sei aber in Kitas wie in Schulen der Personalmangel bei steigender Kinderzahl.
In den katholischen Kindergärten hat sich das Thema noch nicht flächendeckend verschärft, sagt Ursula Roosen, Gebietsleiterin im Zweckverband katholischer Kindertagesstätten. In zwei der 28 Einrichtungen bleiben mehr Kinder ein weiteres Jahr in der Kita. Einfluss habe dabei der Einzugsbereich, mehr aber noch das Geburtsdatum. Eine spätere Einschulung wird häufig für Kinder gefordert, die kurz vor dem Stichtag sechs Jahre alt werden. „Hätten sie eine Woche später Geburtstag, würden sie automatisch ein Jahr später eingeschult“, verdeutlicht Roosen. Das wünschen sich manche trotz Stichtag für ihr Kind.
Bei der durch die Schulleiter angeregten Rückstellungen habe sich der Anlass verschoben. Waren es früher medizinische Indikationen, seien es heute vor allem Entwicklungsverzögerungen. Ob diesen Kindern ein weiteres Jahr in einer Kita helfe, findet Roosen fraglich. „Unsere Möglichkeiten als Bildungseinrichtung sind irgendwann erschöpft“.
Die Erzieherin aus dem sozialen Brennpunkt befürchtet, dass bei einer Rückstellung ein Jahr verschenkt wird. Denn der Besuch einer Kita ist nicht verpflichtend. Und das Landeszentrum Gesundheit NRW betont, dass der Weg zu „schulrechtlich möglichen pädagogischen Diagnose-, Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten“ bis zum tatsächlichen Schuleintritt verschlossen ist.
Bezirksregierung betont Förderangebote an den Grundschulen
Die Bezirksregierung Düsseldorf erklärt auf Nachfrage, dass keine validen Informationen vorliegen, „inwiefern eine Häufung von Auffälligkeiten bei den aktuell eingeschulten Kindern vorliegt und ob diese mit der Pandemie oder anderen Faktoren in Verbindung stehen“.
An den Schulen gebe es Förderangebote, die individuell auf den Schulstandort zugeschnitten seien und ergänzend als auch parallel zum Unterricht stattfinden. „Duisburg hat in diesem Kontext aufgrund der Rahmenbedingungen eine besonders hohe Zuweisung der Mittel erhalten“, sagt eine Sprecherin. Zusätzlich verfüge „jede Duisburger Grundschule über sozialpädagogische Fachkräfte, die mit entsprechenden Angeboten Lern- und Entwicklungsrückstände bei Kindern ausgleichen“.
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>>Der Schritt von der Kita zur Schule
- Kinder sind ab dem sechsten Geburtstag schulpflichtig. Sie können nur aus erheblichen gesundheitlichen Gründen für ein Jahr zurückgestellt werden.
- Die Entscheidung trifft die Schulleitung, Grundlage ist das schulärztliche Gutachten.
- Möglich sind Rückstellungen aufgrund einer bestimmten Erkrankung des Kindes als auch primär aufgrund einer besonderen individuellen seelischen Belastungslage.