Duisburg. Kaum Zeit zum Zählen: Der Krankenstand in den Kitas ist hoch wie nie. Was das für den Betrieb und die Kinder bedeutet. Ein Beispiel aus Duisburg.

Der Krankenstand in den Kindertagesstätten ist hoch wie nie. Da ist es schon fast praktisch, dass in Duisburg nicht nur die Erzieherinnen und Erzieher flach liegen, sondern auch viele Kinder zuhause sind mit Husten, Schnupfen, Durchfall oder Corona.

Das Virus ist jedenfalls nicht weg, in Ruhrort musste am Montag eine Einrichtung komplett geschlossen werden, weil acht Kräfte coronapositiv sind, erzählt Dr. Marcel Fischell, Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks. 25 Prozent Krankenstand muss er gerade verwalten oder vielmehr notstopfen und täglich neu gucken: Wer ist überhaupt da?

Kitas reduzieren Betreuungszeiten, richten Notgruppen ein oder schließen ganz

Bei den anderen Trägern ist es nicht besser, einige winken ab, weil sie nicht mal Zeit zum Zählen haben. Bei den städtischen Kitas waren in der letzten Woche 22 von 80 Einrichtungen nur eingeschränkt betriebsfähig: Acht reduzierten die Betreuungszeiten, sechs öffneten nur für berufstätige Eltern, sechs reduzierten die Zahl der Kinder und zwei öffneten lediglich Notgruppen, berichtet Stadtsprecherin Gabi Priem. Im Vorjahr waren zur gleichen Zeit 18 Kitas betroffen.

Erzieher Marc Meurkes (links) und Marcel Fischell, Geschäftsführer des Ev. Bildungswerkes in Duisburg.
Erzieher Marc Meurkes (links) und Marcel Fischell, Geschäftsführer des Ev. Bildungswerkes in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

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Wie funktioniert so eine Kita mit zu wenig Personal? Zum Wochenstart hat die Verwaltung des Evangelischen Familienbildungswerkes wieder einmal die zu kurze Personaldecke in alle Richtungen gezogen und so landen die verbliebenen Kräfte der geschlossenen Kita in Ruhrort unter anderem in der Kita Am Burgacker. Hier ist pünktlich zum Pressetermin die Einrichtungsleitung von den Beinen.

Verstärkung kommt, die Adventsbastelei muss trotzdem ausfallen

Mit der Verstärkung können an diesem Tag 26 statt der sonst üblichen 41 Kinder betreut werden. Es reicht nicht für die eigentlich geplante Adventsbastelei mit den Eltern am Nachmittag, bedauert Erzieher Marc Meurkes. Er wird während des Gesprächs einem Kind, das sich an sein Bein schmiegt, über den Kopf streicheln, ein anderes loben für seine Bastelei.

In der Kita in Ruhrort können an diesem Tag mit personeller Verstärkung 26 statt der sonst üblichen 41 Kinder betreut werden – Ela und Tila zum Beispiel.
In der Kita in Ruhrort können an diesem Tag mit personeller Verstärkung 26 statt der sonst üblichen 41 Kinder betreut werden – Ela und Tila zum Beispiel. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Hier etwas regeln und da etwas erklären. Hinterher weiß er davon kaum was. Das Kümmern ist ihm in zwölf Jahren Am Burgacker in Fleisch und Blut übergegangen. Ein Automatismus, der ihm jetzt zupass kommt. „So schlimm war es noch nie“, sagt er und fokussiert sich auf sein persönliches Ziel: jeden Tag neu in Angriff nehmen und bis zu den Weihnachtsferien ohne Schließung durchkommen.

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Konzentration auf das Kerngeschäft

Bei großen Einrichtungen kann Personalausfall zum Teil selbst aufgefangen werden, sagt sein Chef Marcel Fischell. Kleine Einrichtungen wie die zweigruppige Kita Am Burgacker sind schneller in Not. Um 45 Stunden Betreuung anbieten zu können, ist ein Schichtsystem erforderlich. An diesem Tag müssen es vier Erzieher stemmen, unterstützt von Alltagshelfern, einer Praktikantin sowie einer Hauswirtschafterin. Hier malen mehrere Kinder einen Tannenbaum aus, mit rotem Stern und lila Zuckerstange, da wird mit viel Klebestift und angestrengtem Blick was auch immer zusammengepatscht. Auf dem Bauteppich stürzt krachend ein Holzturm ein, Lego wird durch die Gegend getragen. Wie laut muss es hier sein, wenn alle da sind – also fast doppelt so viele?

In einer von Personalausfällen scher betroffenen Kita sind nicht immer auch viele Kinder krank oder zuhause, in der Betreuung der Eltern.
In einer von Personalausfällen scher betroffenen Kita sind nicht immer auch viele Kinder krank oder zuhause, in der Betreuung der Eltern. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Die Belastung sei deutlich höher als in anderen Wintern, „wir geben uns die Klinke in die Hand“, sagt Meurkes. Bildungsdokumentation, die Vorbereitung für Elterngespräche, die individuelle Förderung der Kinder und viel Organisatorisches fallen hinten rüber, „wir stoßen an unsere Belastungsgrenze“. Das Hauptziel sei derzeit, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und alle Aufmerksamkeit den Kindern zu schenken, sind sich Fischell und Meurkes einig.

Viele kommen halb gesund zur Arbeit zurück

Man spüre deutlich, wie eine Last von den Schultern fällt, wenn Kollegen wieder da sind, berichtet der Erzieher. Fischell ist darüber nicht immer glücklich, viele seien ausgelaugt und „manche kommen zur Arbeit, obwohl sie noch gar nicht fit sind“, beobachtet er. Da müsse er manchmal eingreifen, damit sie sich ganz auskurieren. In den letzten Wochen sei es gerade eben gelungen, dass alle 14 Einrichtungen am Netz bleiben.

Der Grenzverlauf zwischen (viel) zu krank, um arbeiten zu gehen, oder gerade noch fit genug für einen Kita-Tag, ist auf beiden Seiten fließend. „Wir appellieren an die Eltern, kranke Kinder zu Hause zu behalten, aber wir sehen auch ihre Not“, sagt Fischell. Die meisten seien vernünftig, ergänzt Meurkes, aber zehn Krankentage, die Eltern für ihre Kinder nehmen können, reichen nicht.

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Der Krankenstand „lässt aufhorchen“

In den Kindertagesstätten des Katholischen Zweckverbandes sind 15 Prozent des Teams krank. „Die Zahl lässt aufhorchen“, sagt Gebietsleiterin Ursula Roosen. Die Lücken seien in allen Kitas zu spüren. Weil zugleich mehr Kinder krank sind, relativiere sich die Zahl etwas, auch um Schließungen sei sie bislang herumgekommen. Aber im Schnitt sind von 28 Kitas immer zwei bis drei im Notgruppen-Modus. Für die Katholischen Einrichtungen bedeutet das eine reduzierte Betreuung und die Bitte an die Eltern, die Kinder möglichst nicht zu bringen.

Corona habe nicht so starke Auswirkungen wie im letzten Jahr, aber es gebe immer noch viele Fälle. Roosen ist froh, dass Politik und Behörden Kita-Schließungen vermeiden wollen. Aber Distanz könne man in den Einrichtungen nicht halten, ähnlich wie in der Pflege stecken sich die Betreuer schnell an, „der Fachkräftemangel verschärft das Problem dann noch“.

Immerhin verliert sie kein Personal durch Abwerbungen. Aber auch an Verstärkung durch Personaldienstleister ist seit Wochen nicht heranzukommen, hat Kollege Fischell festgestellt. Die Solidargemeinschaft unter den Kollegen sei hoch, „da gibt jede Kita mal ab, das bewundere ich“. Und wendet sich der nächsten Baustelle zu: Die Personalprobleme gibt es nämlich auch im Offenen Ganztag, „so schlimm war es noch nie“.

>> SPRINGERPOOL DER STADT

  • Im Springerpool der Stadt Duisburg sind 20 Vollzeit-Erzieherinnen. Neun von ihnen sind derzeit in festen Einrichtungen, etwa weil sie Langzeitkrankenvertretungen übernehmen.
  • Mit der vollen Teamstärke kann auch sonst nicht gerechnet werden, denn auch der Springerpool bleibt nicht von Erkrankungen verschont.