Duisburg. Mit Fallbeispielen zeichnet ein Duisburger Autor die Geschichte der Wiedergutmachung nach der NS-Zeit nach. Ist es damit „Wieder gut gemacht?“

Wie aktuell die Frage der Wiedergutmachung ist, zeigt die Billionen-Forderung Polens am Tag der deutschen Einheit. In Duisburg geschrieben, erscheint jetzt das sorgfältig recherchierte, detailreiche Buch „Wieder gut gemacht? Die Geschichte der Wiedergutmachung seit 1945“ in einer aktualisierten Auflage – im Gedenkjahr der Wiedergutmachung: 2022 jährt sich zum 70. Mal die Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens mit Israel.

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Autor ist der pensionierte Richter Manfred Schmitz-Berg, dessen geschichtliches Interesse einst am Duisburger Steinbart-Gymnasium geweckt wurde. Welche Rolle sein Vater während des zweiten Weltkriegs inne hatte, war ihm lange nicht klar. Der Vater starb in den frühen 80er Jahren, hielt sich zeitlebens mit Details zurück. „Er war Lederkaufmann und hat im sogenannten Generalgouvernement - also im besetzten Polen - wohl auch jüdische Firmen ‘abgewickelt’.“

Für die Wiedergutmachung brauchten die Opfer der NS-Herrschaft Zeugen und Dokumente

Der Aussagekraft der Entnazifizierungsurkunde schenkte Schmitz-Berg wenig Glauben. Aber nach allem, was er später in Archiven auch in Polen fand, gehörte sein Vater wohl nicht zu den „Herrenmenschen“, war eher ein Mitläufer.

„In den 50er und 60er Jahren kamen Juden, die inzwischen in Amerika lebten, zu uns nach Hause, weil sie meinen Vater als Zeugen brauchten“, erzählt Schmitz-Berg. Als Jugendlicher schenkte er dem wenig Beachtung. Wie wichtig solche Zeugen für spätere Entschädigungszahlungen oder Rentenansprüche sind, wurde im Zuge seiner Recherchen deutlich.

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Jährlich eine Milliarde Euro für NS-Verfolgte

Die Bundesregierung zahlt jährlich mehr als eine Milliarde Euro an NS-Verfolgte aus, insgesamt sind es bislang rund 80 Milliarden laut Bundesfinanzministerium. Allein bei der Bezirksregierung Düsseldorf, die die Bundeszentralkartei verwaltet, gehen monatlich rund 2000 Aktenanfragen ein – von Geschädigten und Versicherern, Hinterbliebenen und Opferorganisationen, weiß Schmitz-Berg zu berichten.

Hier können sie Dokumente über „Judenvermögensabgaben“, Sühneleistungen“, Anerkennungen als politisch Verfolgte und vieles mehr finden. Es sind in kühler Verwaltungssprache in dicken Schreibmaschinenbuchstaben zu Papier gebrachte Schicksale, die zu einzelnen Fällen auch im Buch abgedruckt sind.

Die Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg wirken bis heute nach

Jene Akten, die das Land NRW betreffen, werden derzeit in das Landesarchiv NRW in Duisburg überführt. Für seine Recherchen wühlte sich der 72-Jährige noch in Düsseldorf durch die historischen Unterlagen. 400.000 Akten liegen dort. „Als Laie kann ich nur Zufallsfunde machen“, schränkt der Autor ein. Er konzentrierte sich schließlich auf 13 Lebensläufe, die ihm sowohl interessant erschienen als auch prototypisch für viele standen. Deutlich wird in seinem Buch, wie schwer es vielen gemacht wurde, ihre Ansprüche durchzusetzen, wie viele Klagen nötig waren, wie viele Beweise. Der Jurist beleuchtet sowohl die rechtliche Aufarbeitung wie auch emotionale und (familien-)geschichtliche Aspekte.

Dass nicht nur Juden, sondern auch Sinti und Roma anspruchsberechtigt sind, erfuhren manche von ihnen erst in den letzten Jahren, wie Schmitz-Berg feststellte. Er begegnete etwa Werner Otto Friedrich, der seine Ansprüche erst kürzlich im hohen Alter mit Erfolg geltend machen konnte. Friedrich lebte während des Zweiten Weltkriegs als Kind in der steten Angst, wie die Nachbarsfamilie abgeholt zu werden und spurlos zu verschwinden. Die Degradierung des Vaters vom angesehenen Orchestergeiger zum Bühnenarbeiter, Hausdurchsuchungen, Hunger – all das prägte die Familie.

Das Outing als Sinto erschüttert tief

Schmitz-Berg berichtet, dass Friedrich sich erst kürzlich als Sinto geoutet hatte, abwartend, bis auch seine Enkelkinder die Schule absolviert hatten. Zu tief saßen die Verletzungen, die er als „Zigeunerkind“ während der NS-Zeit erlebte, die Prügel der Lehrer, die Abgrenzung durch andere Kinder. „Ich saß bei seinem öffentlichen Outing neben ihm und habe seine physische Angst miterlebt“, berichtet Schmitz-Berg, „es ist bezeichnend, dass das so lange nachwirkt.“

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Ist denn heute alles wieder gut gemacht, wie der Titel seines Buches fragt? „Es hätte viel mehr gemacht werden müssen, um auch nur annähernd an so was wie eine Wiedergutmachung heranzukommen“, sagt Schmitz-Berg. Froh ist er, dass die „Schlussstrichdebatte“ nicht mehr geführt wird. Das deutsche Bemühen, dieses dunkle Kapitel nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sei durchaus vorbildlich. Klar sei aber auch, dass Geld allein niemandem die Eltern zurückbringt, sich niemand davon eine neue Jugend kaufen kann.

Das Buch „Wieder gut gemacht? Die Geschichte der Wiedergutmachung seit 1945“ ist in der Edition Virgines erschienen, hat 174 Seiten und kostet 15 Euro. Geleitworte haben Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, geschrieben.

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>>THEMENPORTAL „WIEDERGUTMACHUNG NATIONALSOZIALISTISCHEN UNRECHTS“

  • Das Bundesfinanzministerium und die Archive des Bundes und der Länder haben 2021 das Themenportal Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts eröffnet, das einen Zugriff auf die Wiedergutmachungsakten ermöglichen soll.
  • Das Archiv soll zum einen Forschern helfen, zum anderen Nachkommen der Verfolgten, die in den Akten „oftmals wertvolle und teils unbekannte Hinweise zur eigenen Familien- und Identitätsgeschichte finden können“.
  • Bis die Daten vollständig vorliegen, wird es noch Jahre dauern. Allein für den Regierungsbezirk Düsseldorf handelt es sich um zigtausende Kartons mit Entschädigungsakten und Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
  • Weitere Infos gibt es auf der Webseite des Finanzministeriums und im Archivportal.
  • https://www.archivportal-d.de/content/themenportale/wiedergutmachung/vorhaben