Duisburg/Moers. Die Mutter kann er im letzten Moment retten, Vater und Sohn nicht: Wie Marcel Butzer aus Moers den Badeunfall am Rhein in Duisburg erlebt hat.

Der neunjährige Junge heißt Emir, sein Vater Besir – die beiden sind am Dienstag im Rhein bei Duisburg-Baerl abgetrieben worden und werden seither vermisst. Nur ihre Mutter Songül wurde gerettet – von Marcel Butzer, einem Angler aus Moers, der an diesem Abend ein bisschen entspannen wollte. Er und die dreiköpfige Familie befanden sich in der Binsheimer Rheinaue auf gegenüberliegenden Seiten von zwei sandigen Buhnen, zwischen ihnen Wasser.

„Als Angler sehe ich häufiger, dass Menschen in den Rhein gehen, mal nur mit den Füßen, oft auch ganz“, schildert der 36-Jährige. Häufig habe er sie gewarnt und dafür dumme Sprüche kassiert, weil er sich nicht einmischen soll. Diesmal sagt er nichts.

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Anfangs habe die Mutter noch neben dem Kind gestanden, irgendwann setzte sie sich zu ihrem Mann. Als ein Schiff vorbeifährt, zog der Sog den Jungen, der am Ufer spielte, in den Fluss. „Ich sah die Mutter plötzlich rennen und dem Jungen hinterher springen“, beschreibt Butzer. Die Strömung spülte die beiden ins Wasser zwischen den Buhnen.

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„Der Junge ist zwei Meter von mir entfernt untergegangen“

Der Vater sei auch aufgesprungen und habe gerufen, dass die beiden nicht schwimmen können. „Die Mutter hat versucht, ihr Kind über Wasser zu halten, das war ein richtiger Kampf“, beschreibt Butzer. Mit seinem Kescher versuchte er, sie an Land zu ziehen, aber das zwei Meter lange Gerät war zu kurz. Irgendwann stand auch der Moerser bis zum Bauch im Wasser, versank bis zu den Knien im Kies. Als die Mutter ihr Kind nicht mehr halten konnte, gelang es ihm, zumindest sie an Land zu ziehen. „Der Junge ist zwei Meter von mir entfernt untergegangen“, beschreibt Butzer. „Das tat richtig weh.“

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Er ist selbst Vater einer zweijährigen Tochter, hadert mit sich und seiner Angst, seiner Verantwortung für die eigene Familie und der Tragödie, die sich vor seinen Augen abspielt. „Aber die Strömung ist da einfach zu stark“, sagt der 36-Jährige. Und während er am Abend zuvor noch die Mutter daran hinderte, in ihrer Panik wieder ins Wasser zu gehen, lief der Vater an ihm vorbei in den Rhein, um sein Kind zu retten.

Binnen weniger Augenblicke seien beide abgetrieben worden, nicht mehr zu sehen gewesen. Mit einem anderen Helfer, der laut Butzer von der DLRG war und die Rettungskräfte alarmierte, suchte er das Ufer ab: „Wir haben gehofft, dass die Strömung die beiden noch mal hineindrückt.“ Sie hofften vergebens.

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Familie der Opfer begegnet dem Lebensretter

Da, wo er am Dienstag vor dem Unfall saß, um zu entspannen und Brassen, Rotaugen oder Aal zu angeln, steht fast immer alles unter Wasser, sind die Sanddünen eigentlich Inseln. Die Trockenheit hat das Areal massiv verändert, berichtet der Moerser, aus Rheinwasser-Buchten wurden kleine Tümpel, die streng riechen.

Marcel Butzer begegnet nach dem Unglück an der Nato-Rampe am Rhein in Duisburg Angehörigen der türkischen Familie.
Marcel Butzer begegnet nach dem Unglück an der Nato-Rampe am Rhein in Duisburg Angehörigen der türkischen Familie. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Während Butzer den erlebten Horror berichtet, trifft eine türkische Familie an der Unglücksstelle ein. Schnell wird klar, hier begegnen sich Menschen, die durch ein tragisches Unglück zusammengeführt werden: Marcel Butzer hat ihre Cousine, Nichte, Schwägerin retten können; hat gesehen, wie ihr Bruder, Onkel, Cousin, der Neffe abtrieben. Sie schütteln seine Hände, legen ihm die Arme um die Schultern, lassen sich die Ereignisse genau beschreiben, danken ihm immer wieder.

Durch jedes Schiff wird das Wasser aus den Buchten herausgezogen

DLRG Duisburg- Warum der Rhein aktuell noch gefährlicher istDie Männer lassen sich zeigen, wie krass der Kies-Untergrund am Rheinufer nach kaum einem Meter abfällt, wie stark das Wasser durch jedes Schiff aus den Buchten herausgezogen und wenig später mit Macht wieder hereingedrückt wird. Sie sehen die vielen Strudel an der Oberfläche, die Kraft des Stroms. Unter ihnen ist Recep Kandemir, der aus den Niederlanden hereilte, um seiner Schwester Songül beiseitezustehen. Sie sei völlig geschockt und hoffe, dass ihr Mann Besir und ihr Sohn Emir bald gefunden werden. Solange hoffe sie noch „auf ein Wunder“, erzählt er. „Wir alle.“

Und dann wünscht er sich Zäune am Rheinufer, um Menschen künftig besser schützen zu können, aber Butzer schüttelt den Kopf, das sei am Rhein kaum möglich. Er weist auf den Strand gegenüber, neben der Emscheraufbereitung, wo Menschen erkennbar im Wasser stehen. Die Schwimmverbotsschilder dort halten sie auch nicht ab. Nirgends.