Duisburg. Not macht erfinderisch: Warum im Duisburger Schulsystem erstmals eine Sekundarschule eine Hauptschulklasse für Schulformwechsler eröffnet.

Mit einem Brandbrief richtet sich die Bezirksregierung Düsseldorf an die Duisburger Schulen und alle Schulämter im Regierungsbezirk Düsseldorf. Zum 1. Februar 2023 rechnet sie mit einem starken Anstieg von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern, die innerhalb der Sekundarstufe 1 die Schulform wechseln müssen.

Es geht vor allem um ukrainische Geflüchtete, die dann bestenfalls knapp ein Jahr in einer Internationalen Vorbereitungsklasse (IVK) Deutsch gelernt haben und am Ende der Erstförderung in einer für sie geeigneten Schulform einen Platz brauchen. Aber auch Zuwanderer anderer Nationalitäten im schulpflichtigen Alter stellen das Schulsystem vor eine Herausforderung.

Um rechtzeitig reagieren zu können, sollen die Schulen bereits Ende September alle in Frage kommenden Schülerinnen und Schüler melden. In Regionalkonferenzen im November und Dezember soll dann über die Schülerverteilung gesprochen werden. Mit einem weiteren Schwung wird zum 1. August 2023 gerechnet.

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Viele Kinder wechseln die Schulform in Duisburg

Coronabedingt gibt es allerdings auch bei den Regelschülern mehr Fälle, bei denen ein Schulformwechsel sinnvoll ist. Wenn Kinder an einer Schulform nicht klar kommen und zweimal eine Klasse wiederholen müssen, werden sie „ausgeschult“ oder „abgeschult“, wie es teilweise im Behördendeutsch heißt. Es soll aber nicht wie ein Scheitern klingen: Es geht darum, eine Schulform zu finden, die besser zu ihnen passt, sie sind Schulformwechsler.

Wenn das so einfach wäre: In Duisburg gibt es neben den 12 Gymnasien für rund 70.000 Schüler insgesamt vor allem 14 Gesamtschulen, die aus allen Nähten platzen. „Wir starten voll und keiner verlässt uns“, betont Schulformsprecher Karl Hußmann. Der Schulformwechsel in Richtung Hauptschule ist kaum möglich, denn es gibt nur eine im äußersten Norden der Stadt. Vier Realschulen sind auch kein üppiges Alternativangebot.

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Sekundarschule eröffnet eine Hauptschulklasse

In Hamborn hat erstmals die Justus-von-Liebig-Sekundarschule eine zusätzliche Hauptschulklasse eröffnet. Darüber habe er „nicht gejubelt“, bekennt Schulleiter Ulrich Ehrentraut, „die Klasse bindet Ressourcen, die wir nicht haben“. Nachdem viele Kinder angekündigt wurden, seien jetzt aber nur acht angekommen. Als Mann der Tat füllte er die frisch gegründete Klasse nun mit ein paar Kindern auf, denen ein kleineres Format „auch gut tun würde“.

Das ist aber nur die Ruhe vor dem Sturm: „Spätestens in einem Jahr wird es richtig voll“, prognostiziert er und zweifelt, ob der Richtwert von 25 Kindern eingehalten werden kann. Gerade an seiner Schulform wäre das bedauerlich, denn die Sekundarschulen in Duisburg sind mit der Idee angetreten, in kleinen Klassen Kinder engmaschig begleiten zu können.

„Die Kinder sind da und wir geben uns Mühe, ihnen das bestmögliche Angebot zu machen“, betont Ehrentraut. Aber schon die vergangenen Jahre seien „fürchterlich“ gewesen, weil bei ihm viele „abgeschulte“ Kinder aus Seiteneinsteigerklassen landeten. Er findet: „Eine Behaltenskultur sollte über allem stehen.“

Ulrich Ehrentraut, Schulleiter der Justus-von-Liebig-Sekundarschule, hat in diesem Jahr zusätzlich eine Hauptschulklasse eröffnet.
Ulrich Ehrentraut, Schulleiter der Justus-von-Liebig-Sekundarschule, hat in diesem Jahr zusätzlich eine Hauptschulklasse eröffnet. © FUNKE Foto Services | Daniel Helbig

Das ist ein frommer Wunsch, denn „wir platzen alle aus allen Nähten“, sagt Isolde Vicktorius-Schänzer. Die Leiterin der Realschule Fahrn hat aufgrund ihrer räumlichen Nähe zur einzigen Duisburger Hauptschule in Walsum „großes Glück, wir stimmen uns gut ab, auch mit dem Kopernikus-Gymnasium“.

Im vergangenen Schuljahr haben drei von 145 Kindern der Klasse 6 die Erprobungsstufe nicht geschafft und mussten sich in Richtung Haupt- oder Sekundarschule umorientieren. Umgekehrt seien die Eingänge durch Schüler von Gymnasien nicht außergewöhnlich hoch.

Und bevor jemand fragt, betont sie: „Wir verschenken keine Abschlüsse, wir haben Lehrpläne zu erfüllen. Aber es ist nicht sinnvoll, jemanden mitzuziehen, der im nächsten Jahr genau so überfordert ist. Wir machen Schule für Schüler.“

Elternwunsch: „Manche Kinder landen an der falschen Schule“

Für Stan Orlovic von der Karl-Lehr-Realschule ist ein Kernproblem, dass wegen der Elternwunsch-Regelung manche Kinder nach der vierten Klasse „an der falschen Schule landen“. Ob ein Schulformwechsel sinnvoll ist, müsse man je nach Alter und Familien-Umständen entscheiden. Die Hauptschule in Walsum sei für seine Kinder aus Wanheimerort und Umgebung jedenfalls keine Option. „Das ist kein Schulweg, den man einem Kind aus dem Süden zumuten kann“, sagt Orlovic.

Zum Schuljahreswechsel gingen bei ihm nach Klasse 6 zwei von 85 Kindern ab. In den Klassen 8 und 9 seien es eine Handvoll, die man schon als Schulverweigerer bezeichnen müsse und die entsprechend den Anschluss verpasst haben.

Schulleiter Stan Orlovic von der Karl-Lehr-Realschule in Duisburg sagt, dass bei manchen Kindern der Elternwille zum Start an einer ungünstigen Schulform führe.
Schulleiter Stan Orlovic von der Karl-Lehr-Realschule in Duisburg sagt, dass bei manchen Kindern der Elternwille zum Start an einer ungünstigen Schulform führe. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Bezirksregierung nennt nur Vorjahreszahlen zum Schulformwechsel

Wie viele Kinder zum neuen Schuljahr die Schulform gewechselt haben, lässt sich noch nicht in der Statistik nachlesen. Im vergangenen Jahr haben von 13.400 Schülern in den Klassen 7 bis 9 laut IT.NRW 240 Kinder die Schule gewechselt. Eine Sprecherin erklärt, dass Kinder, die in einer IVK sind, nicht automatisch Teil der jeweiligen Schulform seien, an der die Klasse angedockt sei und man deshalb bei ihnen auch nicht von einem Schulformwechsel sprechen könne.

Erst nach Ende der Erstförderung werde beraten, „an welcher Schulform die Schülerin oder der Schüler ihre oder seine Schullaufbahn erfolgreich fortsetzen kann. Kriterien dafür sind unter anderem der Sprachstand und die schulischen Fähigkeiten“.

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Corona-Aufholprogramm hat vielen Schülern geholfen

Die Sorge der Realschulen, überrannt zu werden, habe sich diesmal noch nicht bestätigt, sagt Dr. Wibke Harnischmacher, Schulformsprecherin der Gymnasien. In der Direktorenkonferenz hätten die Schulleiterinnen und Schulleiter übereinstimmend mitgeteilt, „dass es weder mehr Schulformwechsel noch mehr Wiederholungen als sonst oder noch mehr Nachprüfungen als üblich gab“.

Das werde auf das intensive Corona-Aufholprogramm zurückgeführt, das die Schulen intern angeboten haben, teils mit externen Partnern und teils über ausgegebene Bildungsgutscheine. Am Mercator-Gymnasium etwa habe sich der Schulformwechsel „im üblichen Bereich“ bewegt: Vier Schülerinnen und Schüler seien zum Ende der Erprobungsstufe gegangen, etwa noch mal so viele aus der Mittelstufe.

Die Internationalen Vorbereitungsklassen und die Integration der Seiteneinsteiger sei eine große Herausforderung, betont Harnischmacher: Da seien jene, die „in Windeseile Deutsch lernen und denen eine erfolgreiche Karriere bevorsteht, auch wenn bis zum Abitur eine Menge Arbeit dahinter steckt“. Und dann seien da jene, die kaum Schulerfahrung haben, erst alphabetisiert werden müssen. Das sei „pädagogisch nicht ohne“. Karl Hußmann von der Leibniz-Gesamtschule bestätigt: „In einem Jahrgang rechnen die einen bis 100 und die anderen in Dezimalbrüchen, das lässt sich kaum verknüpfen“.

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>>CORONA-FOLGEN IN DEN SCHULKLASSEN

  • Die Folgen der Corona-Pandemie seien von Kind zu Kind unterschiedlich, beobachtet Isolde Vicktorius-Schänzer, vor allem im sozialen Bereich: „Corona hat was mit den Menschen gemacht, der Mangel an sozialen Kontakt, das steht aktuell vermutlich noch viel mehr im Fokus an den Schulen.“
  • Das bestätigt auch Stan Orlovic: Durch Corona seien die aktuellen Fünftklässler in ihrer Entwicklung hinter dem Stand der Vorjahre. „Das ist keine Kritik an den Grundschulen“, betont Orlovic, aber die zwei Jahre haben Spuren im Sozialverhalten hinterlassen. „Es fällt ihnen schwer, Konflikte zu lösen“, beobachtet er, es gebe deutlich mehr Streit, der häufiger eskaliert. Die Schule steuere mit Elementen wie dem Klassenrat oder Angeboten wie Lions Quest gegen.

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