Duisburg. Der Offene Ganztag an Duisburger Grundschulen ist am Limit. Dabei sollen sich die Schülerzahlen demnächst verdoppeln. Wo es überall hakt.
Es ist eine Mischung aus Verzweiflung und unbedingtem Willen zur Problemlösung, die die acht Träger des Offenen Ganztags an Duisburger Grundschulen umtreibt. Schon jetzt ist ihr Angebot am Limit, räumlich und personell. Was wird erst werden, wenn Eltern von Erstklässlern ab 2026 einen Rechtsanspruch haben? Aktuell sind in Duisburg knapp 50 Prozent in in der Betreuung, 8430 Kinder.
Wenn der Rechtsanspruch kommt, rechnen Bund und Land mit einem Bedarf von 85 Prozent. Bei 19.400 Kindern, die in diesem Jahr in die ersten bis vierten Klassen gehen, wären das über 16.000 Kinder – doppelt so viele wie jetzt. „Wir werden definitiv ein Riesen-Wachstum haben“, sagt die Trägergemeinschaft bei einem Treffen. Denn die Mischung aus verlässlicher Betreuung, warmem Essen, Hausaufgabenhilfe und einer Ballung von Gleichaltrigen im nachmittäglichen Spielmodus werde dann auch andere locken.
Offener Ganztag in Duisburg: Mittagessen nur in Schichten
Dabei gibt es jetzt schon keinen Platz. Nora Kosch vom Förderverein der Grundschule Beethovenstraße in Rheinhausen erzählt, dass sie 170 Kinder betreuen, 70 stehen auf der Warteliste und die Mensa hat lediglich für 25 Kinder einen Platz, 110 wollen aber ein warmes Essen.
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Ähnlich ist es in Röttgersbach, berichtet Jörg Stratenhoff vom Trägerverein: 250 Kinder sind in der Betreuung, 150 sind für das Essen angemeldet. „Das geht nur in vier Schichten, die letzten bekommen um halb drei ihr Essen“, beschreibt er, „und wir sind kein Einzelfall“. Stimmt, bestätigt Dirk Giesen vom Verein Freunde und Förderer der GGS Böhmer Straße in Buchholz. Hier essen 170 Kinder in drei Schichten.
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Im Gänsemarsch zum Essen in die Mensa
In der Bergschule in Meiderich kann man diesen Schichtwechsel recht anschaulich täglich beobachten. Im Entenmarsch geht es vom Offenen Ganztag aus immer dem Geruch nach – über den Schulhof rund ums Gebäude einen Trampelpfad lang und dann in den Keller, bei den Erstklässlern nebst erwachsener Begleitung, damit keiner verschütt geht.
Für Erwachsene sind die Räume ein Souterrain, sie können durch vergitterte Fenster hinausschauen, Sechsjährige sehen auf Augenhöhe nur dicke Mauern.
Es gibt Kartoffeln, dazu Broccoli. Beim Vergleich von Fleisch- mit Sojawürstchen tropfen einem kleinen Kerl plötzlich die Tränen auf den Teller – er hätte lieber die Wurst vom Sitznachbarn. OGS-Leiterin Marlies Mayrlechner springt hin, tröstet ihn, füllt dann Schalen auf, begrüßt parallel die nächsten Kinder und sortiert sie an die Tische. Vier Schichten lang geht das so, bis alle satt sind.
Die Schulkonferenz hat hier beschlossen, dass es für alle Kinder ein warmes Essen geben soll. Dr. Marcel Fischell findet das gut. Der Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks ist hier als Träger am Start und betont, dass der Mittagstisch zur pädagogischen Arbeit gehöre. Manche Kinder würden erstmals Paprika oder Zucchini kennenlernen. Auch als Sprechanlass sei das gemeinsame Essen wichtig. Kinder aus 18 Nationen sind hier, „sie verstehen uns alle, und das selbst sprechen lernen sie schnell“, sagt Mayrlechner.
„Multifunktionsräume“ helfen nur begrenzt
Um das Mensaproblem einzudämmen, setzt man in der Baerler Waldschule auf den Verlässlichen Halbtag bis 13.35 Uhr als Alternative, berichtet Gabi Hallwass-Mousalli vom Evangelischen Bildungswerk. Es gibt also nichts zu essen, das Platzproblem bleibt aber auch hier und wird durch die vormals „Klassenzimmer“ genannten Multifunktionsräume, die die Stadt in ihrer finanziellen Not als Allheilmittel anpreist, nicht gelöst: Sie stehen der Ogata häufig gar nicht zur Verfügung, zum Beispiel weil darin der Muttersprachliche Unterricht läuft. Oder weil Lehrer nicht weichen wollen, wenn die Mittagsschicht kommt.
Die Träger sind darüber verzweifelt, zeigen aber Verständnis: „Die Lehrer haben teilweise Lehrerzimmer, die kleiner sind als mein Büro“, beschreibt Marcel Fischell. Es fehle an Rückzugsmöglichkeiten, Arbeitsplätzen, verschließbaren Schränken, ergänzt Anja Rustemeyer vom Oberhausener Träger Die Kurbel.
Ganz zu schweigen davon, dass ein Klassenzimmer voller Möbel für die Betreuung von 28 Kindern pädagogisch nicht sinnvoll ist, betont Joachim Dörken vom Förderverein der OGGS Beethovenstraße. „Nachmittags brauchen sie Platz zum Spielen.“ Stefanie Carolina Schmidt vom Träger Rapunzel ergänzt: „Bei einer Umfrage haben sich die Kinder sogar einen Langeweileraum gewünscht, wo man einfach mal chillen und aus dem Fenster schauen kann.“
Ein Blick in die Räume der Bergschule bestätigt: Die dicke gepolsterte Liegekissen-Schildkröte ist ein Highlight: Marius bekuschelt sie und verteidigt den gemütlichen Platz. Auch sonst weichen die Räume von normalen Klassen ab: Es stehen nur wenige Tische darin, viel Fläche ist mit Spielteppich ausgelegt.
„Die Kommunalpolitik hat vieles verschlafen“
Die Kommunalpolitik in Duisburg habe vieles verschlafen, beklagen die Vertreter der acht Träger. Als Beispiel nennt Dirk Giesen von der Grundschule Böhmerstraße die Sanierung der Toilettenanlagen an der über 100 Jahre alten Schule. Den Ganztag und die ebenso alten sanitären Räume hatte man da wohl vergessen. Nach vielen Kämpfen mit dem IMD könnte das 2026 nachgeholt werden.
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Die Träger haben bereits durchdiskutiert, ob man zusätzliche Räume in den Stadtteilen mieten könnte. Aber abgesehen davon, dass das aktuelle Modell solche Mietzahlungen gar nicht vorsieht, würden neue Probleme durch die Wege, die Abholsituation und eine erschwerte Kooperation mit den Lehrern entstehen. Entsprechende Versuche in Oberhausen hätten mehr Chaos als Gewinn produziert, erzählt Rustemeyer.
Wie wäre es mit Containern? „Auch nicht schön, aber besser als Essen in vier Schichten, finden die Betreuungs-Experten. An der Meidericher Bergschule stehen schon Container für zwei Klassen, passt da noch einer hin für die Ogata? Das ginge nur auf Kosten der Spiel- und Sportfläche, wo an diesem Tag Fußball gespielt und mit Stelzen gelaufen wird, befürchtet die OGS-Leitung Marlies Mayrlechner und hakt die Idee ab. Sie begnügen sich ja auch schon mit einem Klo für 50 Mädchen.
Apropos Toilettenanlagen: An der GGS Ottostraße in Homberg, wo vor einigen Jahren die Turnhalle abbrannte, steht seither ein Container mit Erwachsenen-Toiletten auf dem Hof, nebst Höckerchen, damit die Knirpse überhaupt ans Urinal kommen, erzählt Monika Wiebus vom Förderverein.
Sie bekennt: „Ich habe Panik vor den Prognosen, was machen wir, wenn wir überrannt werden?“ Ziel müsse es doch sein, die Qualität zu halten und nicht nur die Gruppe zu sehen, sondern jedes einzelne Kind. Fischell ergänzt: „Wir eröffnen immer mehr Gruppen, sind aber schon jetzt über unseren Kapazitätsgrenzen“.