Duisburg. Bärbel Bas und Mahmut Özdemir sprechen über verfehlte Energiepolitik, deutsche Ukraine-Hilfe und die Überforderung durch Zuwanderung aus der EU.
Bärbel Bas und Mahmut Özdemir beantworten Fragen der Lokalredaktion. Duisburgs direkt gewählte Bundestagsabgeordnete der SPD über die Gasumlage, Entlastungspakete und die Unterstützung der Ukraine. Zur Zuwanderung von EU-Bürgern aus Bulgarien und Rumänien erwartet Bundestagspräsidentin Bas einen Bund-Land-Städte-Gipfel, Staatssekretär Özdemir fordert ein Umdenken.
- Im zweiten Teil des Interviews sprechen Bas und Özdemir über die Chancen für einen A59-Tunnel, die neue Duisburg-Connection in Bundestag und das Wahlrecht für Ausländer.
- Duisburger Leserinnen und Leser stellen Fragen an die direkt gewählten Bundestagsabgeordneten der Stadt: Bärbel Bas und Mahmut Özdemir antworten.
Bärbel Bas zur Abhängigkeit von russischem Gas: „Es ist allen klar, dass das nach hinten losgegangen ist“
Wir Verbraucher werden für die Versorgungssicherheit in Deutschland über die Gasumlage Energieunternehmen unterstützen, denen durch die verringerte Gaslieferung aus Russland eine Pleite droht. Warum sollen auch Firmen unser Geld bekommen, die Gewinne machen?
Bärbel Bas: Das verstehe ich auch nicht. Wir müssen mit Uniper und vielen daran hängenden Stadtwerken solidarisch sein, damit wir kein Versorgerproblem bekommen. Aber als SPD-Abgeordnete sage ich: Wenn die Pläne der Regierung oder des Wirtschaftsministers dazu führen, dass Unternehmen profitieren, die Gewinne machen, halte ich das für unsolidarisch und falsch. In so einem Fall würde ich erwarten, dass die Unternehmen später, wenn es ihnen besser geht, einen Teil davon zurückzahlen.
Das erinnert an die Fehler in der Bankenkrise.
Mahmut Özdemir: Bei den Banken war es so, dass sie vorsätzlich zu wenig Eigenkapital hatten. Den Gasversorgern kann man nicht vorwerfen, sie hätten etwas verkauft, was sie nicht mehr beschaffen können. Die Geschäftsgrundlage hat sich durch den Krieg für sie völlig verändert. Aber Sinn und Zweck der Umlage ist es, Kundinnen und Kunden zu schützen, und nicht die Gewinne der Unternehmen. Da müssen Nachverhandlungen im Bundestag erfolgen.
Man kann den Bundesregierungen seit 1998, an denen die SPD meist beteiligt war, vorwerfen, dass sie Deutschland extrem abhängig von russischem Gas gemacht haben statt die Energiewende voranzutreiben.
Bas: Es ist mittlerweile allen klar, dass das nach hinten losgegangen ist, dass wir uns an dieser Stelle so abhängig gemacht haben. Wir wollten als SPD schon lange stärker in die erneuerbaren Energien im eigenen Land investieren, aber wir hatten in der Großen Koalition mit der CDU/CSU auch einen Blockierer. Die Konsequenzen tragen wir jetzt. Wir müssen jetzt aufpassen, keine Abhängigkeit von China zu schaffen.
Andererseits haben Wirtschaft und Verbraucher das billige Gas gern genommen.
Bas: So ist halt Marktwirtschaft, damals hätte niemand eine unnötige Energiepreiserhöhung mitgemacht, mögliche Folgen dieser Abhängigkeit von Russland wurden völlig unterschätzt. So ähnlich unbefangen und man muss leider sagen kurzsichtig, verläuft jetzt die politische Debatte um den ,Streckbetrieb’ alter Atomkraftwerke als scheinbar einfache Lösung. Das finde ich fatal. Man kann nicht mal eben für ein paar Monate verlängern, denn die Betreiber fordern für neue Brennstäbe direkt teure Garantien für zehn, 15 Jahre.
Özdemir: Eine rot-grüne Bundesregierung hat 1998/2000 einen langen, vernünftigen Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Dass Merkel 2009 den Ausstieg vom Ausstieg und nach Fukushima den Ausstieg davon gemacht hat, war vorsätzliche Interessenpolitik, die wegen der Milliarden Entschädigungszahlungen auf Kosten der Steuerzahler und der Energiewende ging.
Die Ampel hat auf Krieg, Energiekrise und Inflation bislang mit zwei milliardenschweren Entlastungspaketen reagiert. Die Energiepreispauschale von 300 Euro wird ab 1. September ausgezahlt. Welche weiteren Entlastungen dürfen die Bürger noch erwarten?
Özdemir: All das steht nicht im Koalitionsvertrag, die Ampel-Partner müssen sich darüber wie in kleinen Koalitionsverhandlungen einigen. Aber Entlastungen im Bereich der Wohnnebenkosten und beim Mieterschutz, bei Mobilität und Energie sind die Themen, die die Menschen auf der Straße in Homberg und Meiderich ansprechen.
Bas: So wichtig Entlastungen sind, beim ersten Entlastungspaket wurden 30 Milliarden Euro ein Stück weit mit der Gießkanne verteilt, aber mindestens zwei Gruppen nicht berücksichtigt: Rentnerinnen und Rentner und Studierende. Wir diskutieren jetzt in der Fraktion, wie wir diese mit dem nächsten Paket gezielt unterstützen. Der Plan von Finanzminister Lindner ist es, übers Steuersystem alle zu entlasten, aber das brauchen Gut- und Besserverdiener nicht. Das nächste Paket muss gezielt Haushalten helfen, die wenig verdienen und wenig Steuern zahlen, sowie Bedarfsgemeinschaften. Das wird eine Auseinandersetzung mit der FDP geben. Aber unser Kanzler ist nach dem großen Satz ,You’ll never walk alone‘ auch unter Zugzwang.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) will an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse trotz der immensen ungeplanten Staatsausgaben festhalten. Sind Sie dafür, die Schuldenbremse jetzt zu lockern?
Bas: Herr Lindner wird sich entscheiden müssen, wie er finanzieren will, was wir wegen des Krieges an Entlastungen machen müssen. Entweder geht es über Steuererhöhungen für besonders Reiche oder über das Aussetzen der Schuldenbremse. Um diese Frage wird die Koalition nicht herumkommen.
Özdemir: Die Schuldenbremse ist richtig und wichtig, aber wir brauchen bedarfsgerechte Haushaltspolitik und darum jetzt eher eine Investitionsoffensive als eine Sparpolitik um des Sparens willen.
Sie streiten in der Ampel auch über Waffenlieferungen an die Ukraine. Finden Sie, Deutschland hat der Ukraine bislang genug Waffen geliefert, um sich – auch für uns und die Demokratien Europas – zur Wehr setzen zu können?
Bas: Wir liefern, was wir liefern können – in Absprache mit den Nato-Partnern und ohne zu riskieren, Kriegspartei zu werden. Das ist nicht einfach. Wir haben auch einfach nicht so viel Material wie andere Länder. Wir Sozialdemokraten und ich persönlich mussten auch eine Zeitenwende in unserer politischen Einstellung machen: Vor dem Krieg wäre ich immer gegen Waffenlieferungen gewesen. Aber die Solidarität mit der Ukraine angesichts dieses Angriffskriegs ist auch in der SPD sehr groß. Deutschland leistet viele Hilfen an anderer Stelle und finanziert jetzt schon den Wiederaufbau mit, das wird medial gar nicht abgebildet. Die Menschen dort sind dankbar dafür.
Özdemir: Es füllt Seiten, was Bundesamt für Bevölkerungsschutz und THW an ziviler und Katastrophenschutzhilfe leisten. Und anders als 2015/16 versuchen wir die geflüchteten Menschen mit einem Aufenthaltstitel ordentlich auszustatten und schnell nach Fähigkeiten, Willen und Gesundheitszustand zu integrieren.
In der SPD-Fraktion soll es noch immer Abgeordnete geben, die weiter hoffen, das Verhältnis zu Russland könne sich schnell wieder normalisieren.
Bas: Das kann ich mir in der Partei nicht mehr vorstellen. Wir tun alles, um unabhängig zu werden. Selbst wenn der Krieg morgen beendet wäre: Es gibt kein Zurück, selbst wenn Putin nicht mehr da ist. Gleichzeitig muss man die diplomatischen Wege offenhalten. Auch wenn der Kanzler dafür angefeindet wird, telefoniert er weiter mit beiden, mit Selensky und Putin, weil sie irgendwann miteinander sprechen müssen.
Özdemir zu Bulgaren und Rumänen: „Wir brauchen keine Vergeltungsmaßnahmen und Vorwürfe“
Oberbürgermeister Sören Link wirft dem Land, dem Bund und der EU seit Jahren mangelnde Unterstützung bei der Bewältigung der Zuwanderung aus Südosteuropa vor. Ein Großteil der rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen in Duisburg erfülle nicht die Voraussetzungen für die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit, weil sie ihre Familien nicht ernähren können. Wie sehen Sie das?
Bas: Dem Bund kann man nicht vorwerfen, dass er nicht geholfen hat – wir hatten das Kindergeld ja stärker an Bedingungen geknüpft. Aber nun hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Deutschland EU-Zuwanderern ab sofort Kindergeld bedingungslos zahlen muss. Umso härter müssen wir deshalb gesetzlich den Missbrauch bekämpfen, Polizei und Ämter stärken – im Sinne der besonders betroffenen Kommunen und der Menschen, die gezielt geschleust und abkassiert werden. Sie behalten das Kindergeld ja nicht, sondern es stecken mafiöse Strukturen dahinter. Das können wir nicht tolerieren, da muss es mehr Kontrollen geben.
Özdemir: Wir haben von Bundesseite alles dafür getan, unsere Sozialsysteme diskriminierungsfrei vor Missbrauch zu schützen. Wir haben auch massiv die Förderung von Sprach- und Integrationskursen erhöht, um Menschen schnell zu befähigen, selbst für sich zu sorgen. Dafür brauchen wir aber auch Sprachmittler in den besonders belasteten Städten im Ruhrgebiet. Wir brauchen hier keine ,Vergeltungsmaßnahmen‘ und Vorwürfe, sondern müssen diese Menschen aus ihrer Unmündigkeit befreien und zu Teilen der Gesellschaft machen.
Das Bildungssystem und viele Nachbarschaften in Duisburg sind diesem Zuzug aber seit Jahren nicht gewachsen. Wie stoppt man diese Verelendung?
Özdemir: Im speziellen Fall der Rumänen und Bulgaren würde ich gerne deren Sprache sprechen und sagen: Du musst nicht auf den Arbeiterstrich als Fliesenleger für 1000 Euro, sondern du kannst als Fliesenleger zur Arbeitsagentur gehen und für einen ordentlichen Lohn arbeiten. Auf EU-Ebene brauchen wir ein gemeinsames Asyl- und Ausländerrecht und die beteiligten Staaten müssen solidarisch ihre Sozialsysteme vor Missbrauch und Migrationsfolgen schützen – damit wir die Leute auf den regulären Weg von Schule, Bildung und Arbeit leiten können. Wir müssen die Chancen statt Bestrafung sehen.
Bas: Als Duisburger Abgeordnete erwarte ich, dass sich Bund und Land nach dem EuGH-Urteil mit den betroffenen Kommunen jetzt nochmal zusammensetzen. Die brauchen vor allem finanzielle Hilfe, zum Beispiel für die Schulen. Das muss aber für NRW die Landesregierung koordinieren. Auf EU-Ebene müssen wir bei den Sozialstandards in anderen Mitgliedsstaaten weiterkommen, etwa bei einer Art Mindestlohn, damit die Leute ihre Heimat nicht verlassen müssen.