Duisburg. Alle Züge zwischen Düsseldorf und Essen werden vom neuen Elektronischen Stellwerk in Duisburg gelotst. Arbeit ist anspruchsvoll – und lohnt sich.

Wenn mit einem Zug irgendwo zwischen Düsseldorf und Essen etwas schiefgeht, dann gehen im neuen Elektronischen Stellwerk Duisburg der Deutschen Bahn die Lampen an. In der Hansastraße ist eine von bundesweit sieben Betriebszentralen, und darin sind gleich zwei Elektronische Stellwerke – eins für den Personennahverkehr zwischen dem Flughafen und Essen-West, eins für den Güterverkehr zwischen Ratingen und Oberhausen.

Wer mit dem Begriff Stellwerk viereckige Betonbauten am Rand von Gleisen irgendwo im Nirgendwo verbindet, der ist auf einem romantischen Holzweg. Das Elektronische Stellwerk Duisburg ist ein klimatisiertes Großraumbüro, in dem Fahrdienstleiter im Halbdunkel vor jeweils acht Bildschirmen sitzen. Die Züge: eine Nummer. Die Gleise: grüne und rote Striche. Die Weichen: Pfeile. „Sicherheitsrelevanter Bereich“ steht auf einem Schild am Eingang.

Weiße Kreuze signalisieren die neuen Lichtzeichen, im Hintergrund sind neu installierte Weichen zu sehen. Sie werden vom Elektronischen Stellwerk in Duisburg aus gesteuert. Das Bild wurde 2021 bei der Inbetriebnahme vom Winkhauser Talweg aus gemacht.
Weiße Kreuze signalisieren die neuen Lichtzeichen, im Hintergrund sind neu installierte Weichen zu sehen. Sie werden vom Elektronischen Stellwerk in Duisburg aus gesteuert. Das Bild wurde 2021 bei der Inbetriebnahme vom Winkhauser Talweg aus gemacht. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

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Bahnverkehr bis Essen wird von Duisburg aus gelenkt

Nicht mal Fenster mit Blick auf Schienen gibt es in der Zentrale – und die fehlen ihm gelegentlich, bekennt Fahrdienstleiter Björn Seelbach. Selbst Kameras zeigen nur vereinzelt den Blick auf Gleise und Bahnsteige.

Er ist einer von 170 Fahrdienstleitern in Duisburg. Für den Personenverkehr sind vier pro Schicht zuständig. Ihr Job: Schauen, dass die Technik alles richtig macht, die Signale gestellt und die Weichen ausgerichtet werden. Fahrdienstleiter halten den Kontakt zu den Lokführern, zu den Mitarbeitern an den Gleisen oder zu Bautrupps zwischen den Schienen.

Und zu den Disponenten, die eine Etage tiefer sitzen und mit denen sie nach Umwegen suchen, wenn etwa ein Baum ins Gleis gefallen ist, im Herbst plötzlich Blätter den Zugverkehr stören, ein defekter Zug oder gar ein Unfall zu Verzögerungen führt – die Fahrdienstleiter müssen schnell reagieren. „Jede Störung hat Konsequenzen“, sagt Florian Ohlhoff, der Bezirksleiter Betrieb bei der Deutschen Bahn in Duisburg.

Florian Ohlhoff ist der Bezirksleiter Betrieb des Elektronischen Stellwerks ESTW in Duisburg.
Florian Ohlhoff ist der Bezirksleiter Betrieb des Elektronischen Stellwerks ESTW in Duisburg. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Zwischen Düsseldorf und Duisburg dienen oft die Gleise des Güterverkehrs als Ausweichstrecke, andernorts müssen größere Umwege genommen werden. „Das ist wie auf der Autobahn, da staut es sich auch durch Unfälle oder Baustellen“, wirbt Ohlhoff um Verständnis.

Ein kompletter Stellwerksausfall komme zum Glück sehr selten vor, sagt Ohlhoff. Zuletzt passierte das Ende Mai, als der Zugverkehr über Stunden um Duisburg herumgeleitet werden musste, bis die Systeme wieder hochfahren konnten. Die häufigste Störung sei eine Weichenstörung. Und die größte Herausforderung ist täglich aufs Neue „die Anzahl der Züge“: Über 800 passieren am Tag den Hauptbahnhof in Duisburg. Allein im Regionalverkehr werden laut VRR 85.000 Fahrgäste transportiert.

Trotz Verspätungen: „Wir haben den Anspruch, dass alles funktioniert“

Und wie kann es sein, dass unter dem Hashtag #bahngeschichten Reisende kontinuierlich von Verspätungen oder plötzlichen Gleiswechseln berichten, von unangekündigt ausfallenden Zügen oder falschen Wagenreihungen? „Kunden sollen sich natürlich verlassen können“, sagt Ohlhoff, aber derzeit gebe es viele Baumaßnahmen. Ursache für eine Grundlast an Verspätungen. Hinzu kommen viele einzelne Entscheidungen mit Folgewirkung: „Bevor ein Zug vor dem Bahnhof steht, lassen wir ihn lieber auf einem anderen Gleis einfahren.“ Und wenn die Hilfe für einen Reisenden mit Rollstuhl beim Einstieg länger braucht, werde auch schon mal ein anderer Zug vorgezogen.

Auf dem Monitor sind alle Gleise des Duisburger Hauptbahnhofs zu sehen. Die unteren beiden Gleise sind Gleis 12 und 13, die wegen der Sanierungsarbeiten derzeit gesperrt sind.
Auf dem Monitor sind alle Gleise des Duisburger Hauptbahnhofs zu sehen. Die unteren beiden Gleise sind Gleis 12 und 13, die wegen der Sanierungsarbeiten derzeit gesperrt sind. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Es ärgert ihn und alle anderen, wenn sie kritisiert werden, „wir haben schließlich den Anspruch, dass alles funktioniert“. Draußen am Eingang hängt ihre persönliche Messstelle, ein Dashboard, das die Verspätungsminuten aufsummiert als „Lost units“, so heißt die interne Zeiteinheit, „daran messen wir uns jeden Tag!“ Genauer will er hier nicht werden. Und mehr Züge seien nicht möglich: „Die Kapazität der Strecken gibt nicht mehr her, wir fahren, was wir fahren können.“

Baustelle im Duisburger Hauptbahnhof sorgt für Verspätungen

Auf den Bildschirmen der Fahrdienstleiter ist auch die Großbaustelle am Hauptbahnhof zu erkennen – zur Zeit an den als gesperrt markierten Gleisen 12 und 13. Weil der Fernverkehr auf die anderen vier Gleise umverteilt werden muss, komme es hier zu Verspätungen, „das ist einfach enger“, begründet Seelhoff.

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Mit einem Klick auf die Entertaste am Computer kann eine Weiche in zig Kilometern Entfernung umgestellt werden. Klappt das mal nicht, erklingt ein akustisches Signal. Puls kriegt er davon aber nicht, sagt Björn Seelbach. Adrenalin schießt erst durch seinen Körper, wenn ein Lokführer einen Notruf absetzt, etwa weil an Bord ein medizinischer Notfall passiert ist oder Menschen im Gleis sind. „Dann müssen wir die Strecke sperren und geben sie auch erst nach Absprache mit der Bundespolizei wieder frei“, erklärt der Fahrdienstleiter.

Fahrdienstleiter haben hohe Verantwortung

Wie kann man einen ganzen Arbeitstag lang ohne Konzentrationsverlust auf schwarze Bildschirme gucken? „Wir tauschen zur Hälfte der Schicht durch“, sagt Seelbach. Dafür sind intensive Einweisungen nötig, „man muss sich zu 100 Prozent sicher sein, dass man das Stellwerk allein steuern kann. Im Kopf werden aus den vielen Zahlen nämlich konkrete S-Bahnen, Regionalzüge und ICEs und allen ist klar, „dass das kein Computer-Spiel ist, hier kommt keiner verkatert zum Dienst“.

Melina Krins wird von Florian Ohlhoff für ein neues Stellwerk trainiert.
Melina Krins wird von Florian Ohlhoff für ein neues Stellwerk trainiert. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Für die Ausbildung und die regelmäßigen Trainings der festen Kräfte gibt es in Duisburg ein eigenes Lern-Stellwerk. In diesem Jahr sind 15 Azubis angetreten. Melina Krins hat den Weg 2018 beschritten, bestand das Auswahlverfahren mit Eignungstests und Bahnarztbesuch. „Das ist einfach was anderes, den Job kennt nicht jeder“, begründet die 24-Jährige ihr Interesse. Als Eisenbahnerin im Betriebsdienst und Fahrdienstleiterin ist sie seither für den Bereich Grevenbroich zuständig. Zusätzlich lässt sie sich nun zur Praxistrainerin ausbilden. Dann kann sie sich demnächst auch allein um die Quereinsteiger kümmern. „Vom Lufthansa-Mitarbeiter bis zum Achterbahnbauer war schon alles dabei.“

Auch finanziell lohnt der Job bei der Bahn: Zwischen 36.700 und 55.400 Euro kann man inklusive Zulagen und Weihnachtsgeld verdienen.

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  • 2014 wurde mit dem Duisburger Hauptbahnhof der erste Teil des Elektronischen Stellwerks Duisburg (ESTW) in Betrieb genommen. Früher gab es schon in Kaiserberg das nächste Mechanische Stellwerk, „immer so weit die Drähte reichten“, erklärt Ohlhoff. Die Umstellung sorgte wochenlang für Chaos im Bahnverkehr.
  • 2021 übernahm das Stellwerk den vorerst letzten Teil der Strecke Richtung Essen.
  • Perspektivisch soll der Essener Hauptbahnhof auch angeschlossen werden, er wird bislang noch aus einem Turm vor Ort gelenkt.
  • Gegen Angriffe von außen sei man immun, sagt Ohlhoff. Die Sicherheit der Technik sei allein schon dadurch gewährleistet, dass alles zweimal vorhanden ist. Selbst der Brückenbrand auf der A40 in Mülheim sei zwar „krass“ gewesen, habe aber nicht zum völligen Stillstand geführt.
  • Insgesamt arbeiten bei der Deutschen Bahn 13.100 Fahrdienstleiter in bundesweit 2.600 Stellwerken – vom Digitalen über Elektro-mechanische bis zu Relais-Stellwerken.