Mülheim. Wie der erfahrene Bahn-Bauingenieur Ali Shahnazian das Tanklaster-Desaster in Mülheim erlebte und was den 46-Jährigen an Brücken so fasziniert.

An der mittleren Eisenbahnbrücke über die A40 züngeln sich 30 Meter hohe Flammen empor, die dicke aschschwarze Rauchsäule über Styrum ist noch bis Duisburg zu sehen. Wie fassungslos stehen Autofahrer neben Fahrzeugen auf der unpassierbaren Straße. Die Bilder vom Tanklasterbrand am 17. September gingen durch die Medien. Einer jedoch war ganz nah dran: der Bauingenieur Ali Shahnazian. Er und sein Team mussten das Schlamassel richten: Ein Schaden im zweistelligen Millionenbereich.

Denn als verantwortlicher Leiter für Instandsetzungen bei der Deutschen Bahn kommt Shahnazian immer dann, wenn Reparaturen nötig sind. „Als wir zur Unglücksstelle unterwegs waren, hatte ich noch die Hoffnung, dass die Brücken vielleicht nicht allzu stark beschädigt sind. Aber vor Ort hat sich dann gezeigt: Das Ausmaß des Schadens war weit größer als wir es uns vorstellen konnten“, gesteht der 46-Jährige mit spürbarem Respekt in der Stimme.

Bauingenieur: "Soetwas habe ich noch nicht erlebt"

Zwar ist Ali Shahnazian für die Deutsche Bahn seit gut 19 Jahren als Bauingenieur tätig, doch so etwas hat er noch nicht erlebt, „und erlebe es hoffentlich auch nicht mehr: Die dritte Brücke war komplett zerstört, schnell war klar, sie erfüllte keinerlei Kriterien für eine Wiederherstellung mehr.“ Auch die anderen 3 Eisenbahnbrücken mussten zunächst gesperrt und Statikprüfungen unterzogen werden. Nach eingehender und tagelanger Prüfung und anschließender Freigabe – konnte die erste, am weitesten vom Brand entfernte für den Personenverkehr von Duisburg nach Mülheim und Essen wieder befahren werden. Ein umfangreiches Ersatzkonzept wurde von den beteiligten Eisenbahnverkehrsunternehmen gemeinsam erarbeitet.

Und so war es die vordringlichste Aufgabe, auch für die Gegenrichtung den Verkehr zu ermöglichen und den Abriss des zerstörten Baus und den Einbau von entsprechenden Hilfsbrücken möglichst schnell über die Bühne zu bringen, schildert Shahnazian. Schließlich handelt es sich hier – wenige Kilometer vor dem Knotenpunkt Kaiserberg – um eine der wichtigsten Adern für den Auto- und Bahnverkehr. Anfang Oktober durften nicht nur einige Züge Richtung Essen, sondern auch die Autos auch schon wieder rollen.

Warum den Bauingenieur Brücken faszinieren

Innerhalb kürzester Zeit mussten umfangreiche Prüfungen stattfinden, Sperrpausen abgestimmt, Brücken abgerissen und Hilfsbrücken aufgebaut werden. Nicht nur deshalb hat den Bauingenieur dieser Brückenbrand nicht kalt gelassen, sondern auch aus persönlichen Gründen: „Brücken haben für mich auch einen besonderen sozialen Wert: Sie verbinden Menschen, überwinden Barrieren, sie machen Kommunikation und die Zusammenkunft möglich. Mit der Entdeckung des Feuers und des Rads ist der Brückenbau eine der großen menschlichen Errungenschaften“, schwärmt Shahnazian.

Die Faszination für komplexe Bauten begleitet den 46-jährigen Essener schon seit der Schule, wo Mathe und Physik seine stärksten Fächer waren. „Ich wusste schon in der Siebten, dass ich kein Deutschlehrer und auch kein Künstler werden würde“, meint der Ingenieur mit feinsinnigem Lächeln. Aus der anfänglichen Vorstellung, Häuser bauen zu wollen, entdeckte Shahnazian die Kunst des Brückenbaus – und verfiel ihr offenkundig.

Auflegen der Hilfsbrücken erforderte millimetergenaue Arbeit

Bei der Bahn heuerte er nach seinem Studium in Essen an. Bereut hat er es nicht: „Ich habe als Planungsingenieur bei der Bahn eine in allen Bereichen sehr umfassende Ausbildung erfahren, die ich an meine Mitarbeiter weitergeben will – unabhängig von der Funktion, spielt jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter eine wichtige Rolle.“

Shahnazian ist heute für 130 Menschen verantwortlich. „Wir haben besonders in diesem sehr komplexen Projekt an der A40 als Team gut zusammengearbeitet“, lobt er. Denn um im Dezember die Hilfsbrücke einsatzfähig zu machen, war nicht nur höchste Eile, sondern auch höchste Präzision, wortwörtlich Millimeterarbeit notwendig: Die gut 26-Meter-langen, vorgefertigten Brückenelemente und Schienen mussten nicht nur haargenau auf den Widerlagern der Seiten und des Mittelpfeilers liegen.

Brücken 2 und 4 sollen bis zum Herbst tüchtig gemacht werden

Die Lager durften auch nicht in der Höhe sowie in die Quer- und Längsrichtung abweichen: „Ein Unterschied von nur einem Zentimeter bei den Schienen kann schon dazu führen, dass die Brücke für den Verkehr nicht freigegeben werden kann“, erläutert Shahnazian. Dabei drängte die Zeit: Zig Gewerke und Arbeitsschritte, die ansonsten Monate dauern und einen großen Planungsvorlauf haben, mussten in wenigen Wochen erledigt werden: „Wir haben geplant, gebaut, geprüft – alles in einem kurzen Zeitraum und verschiedene Arbeitsschritte parallel, um möglichst effizient zu sein. Es gab viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch Samstag und Sonntag gearbeitet haben. Und trotzdem am Montag wieder bereitgestanden haben. Ich bin allen Mitwirkenden für diesen Einsatz sehr dankbar, diese Zusammenarbeit war eine tolle Erfahrung.“

Und dennoch schwang bei Ali Shahnazian die Erleichterung mit, als am vergangenen Montag (28.12.) auch der Personenverkehr von Essen nach Duisburg – und damit in beide Richtungen – wieder rollen konnte: „Um vier Uhr haben wir pünktlich die Befahrbarkeit bescheinigen können. Meine Aufgabe ist damit beendet.“ Zumindest fürs Erste. Denn bald müssen die Brücken zwei und vier wieder tüchtig gemacht werden.