Duisburg-Ruhrort. Dr. Dennis Beckmann interessiert die Lebenssituation der Binnenschifferfamilien zwischen 1830 und 1970 in Ruhrort. So geht er das Thema an.

Wie haben früher eigentlich die Binnenschiffer in Ruhrort gelebt – und wie erging es ihnen an Deck? Ein neues Forschungsprojekt des Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat sich zur Aufgabe gemacht, diesen Fragen nachzugehen. Dr. Dennis Beckmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Binnenschifffahrtsmuseum, wird in den nächsten Monaten Interviews mit Zeitzeugen führen – und zahlreiche Erinnerungsstücke auswerten. Langfristig soll der lebensnahe Einblick in die Geschichte die Dauerausstellung des Ruhrorter Museums ergänzen.

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„Schon als das Museum vom alten Ruhrorter Rathaus in die historische Badeanstalt umgezogen ist, hat man gemerkt, dass zwar viele Infos zur Technikgeschichte vorhanden sind, aber der Bereich der Alltags-, Kultur- und Sozialgeschichte der Binnenschifffahrt etwas zu kurz kam“, erklärt Beckmann. Der Volkskundler und Kulturanthropologe kennt sich mit Alltagsgeschichte aus – seine Doktorarbeit hat der 31-Jährige an der Universität Münster über Pfandleiher geschrieben. Nach dem Abschluss absolvierte Beckmann ein Volontariat im Kultur- und Stadthistorischen Museum in Duisburg und kuratierte unter anderem seine erste eigene Ausstellung. Sie beschäftigte sich mit den nordamerikanischen Indianern im frühen 20. Jahrhundert.

Technischer Fortschritt beeinflusst das Leben der Binnenschiffer an Bord

Dr. Dennis Beckmann ist Kulturanthropologe und forscht zur Geschichte der Binnenschifferfamilien in Ruhrort. Langfristig soll der lebensnahe Einblick in die Geschichte die Dauerausstellung des Ruhrorter Museums ergänzen.
Dr. Dennis Beckmann ist Kulturanthropologe und forscht zur Geschichte der Binnenschifferfamilien in Ruhrort. Langfristig soll der lebensnahe Einblick in die Geschichte die Dauerausstellung des Ruhrorter Museums ergänzen. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Nun hat Beckmann auf einer Tafel in seinem Büro verschiedene Zeitachsen aufgemalt: Die oberste bildet die allgemeine politische Lage zwischen 1830 und 1970 ab. Darunter steht notiert, wie der technische Fortschritt in dieser Zeit aussah. Auch ob es beispielsweise Seuchen gab, die Einfluss auf das Leben der Menschen hatten, spielt bei der Forschung eine Rolle. „Grundsätzlich ist das eine gute Zeiteinteilung, weil diese Jahrzehnte die Ära der Familienbetriebe und der Dampfschleppschiffe auf dem Rhein markieren“, so Beckmann.

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Die erste industrielle Revolution auf dem Wasser begann übrigens, als der Dampfantrieb den Segel- und Treidelantrieb ablöste. Ab dann zog ein Dampfschlepper meist sechs Frachtkähne, auf denen noch die Schiffsführer und Matrosen mit ihren Familien lebten. „Mit der Einheit von Wohn- und Arbeitsort, Familien und Kollegen ähnelte diese Lebenssituation einem kleinbäuerlichen Familienbetrieb.“ Die Frachtschiffe waren rheinauf, rheinab zwischen Basel und Rotterdam unterwegs. In den 1960er Jahre setzten sich als Transportmittel sogenannte Schubverbände durch. Dabei schiebt ein Schubschiff meist zwei bis sechs unbemannte Schubleichter vor sich her. Die Besatzungsmitglieder auf dem Schubschiff sind für 14 Tage unterwegs und haben dann 14 Tage Freizeit bei ihren Familien an Land“, beschreibt Beckmann die unterschiedlichen Lebensmodelle.

Nach einem Aufruf haben sich 22 potenzielle Interviewpartner beim Museum gemeldet, die der Wissenschaftler nun zu ihren Erfahrungen und Erinnerungen befragen will. „Die meisten waren nur als Kind auf dem Schiff. Mich interessiert, was sie spannend fanden, womit haben sie an Bord gespielt?“ Andere Fragen sind zum Beispiel, wie sich dieser Wirtschaftszweig in der Zeit des Nationalsozialismus entwickelte und wie die Schifffahrt den Niederrhein insgesamt beeinflusste.

Objekte und Gebrauchsgegenstände erzählen viel über das Leben an Deck

Neben den Interviews werden auch Objekte, Fotos und Schriftstücke aus dem Archiv ausgewertet.
Neben den Interviews werden auch Objekte, Fotos und Schriftstücke aus dem Archiv ausgewertet. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Auch Objekte seien für die Forschung interessant – dabei müssten die gar nicht besonders imposant sein. „Für Betrachter ist das dann vielleicht nur ein normaler Zinkeimer. Aber für die Menschen auf dem Schiff war er das Waschbecken, der Putzeimer, der Waschzuber oder manchmal auch die Toilette. Die Matrosenwohnungen waren nicht besonders luxuriös ausgestattet.“

Spurensuche im Hafenkiez- Kneipentour durch RuhrortNeben den Zeitzeugeninterviews wird Beckmann auch in Archiven recherchieren, um das bislang wenig beachtete Forschungsthema zu beleuchten. Der Bezug der Schiffer zu Ruhrort soll ebenso eine Rolle spielen. Einige waren in der bis 1905 eingeständigen Stadt gemeldet, für andere war Ruhrort der Heimathafen. Der Duisburger Binnenhafen war der größte der Welt, abends stürzten sich die Schiffer ins Nachtleben. Es gab zahlreiche Bordelle, mehr als hundert Kneipen, von denen die Ruhrorter noch so manche Anekdote erzählen können. „Museumsbesuchern, die die Zeit nicht erlebt haben oder die vielleicht nicht aus Duisburg sind, müssen wir allerdings die Namen der Werften und Firmen erklären“, weiß Beckmann.

Bis 2024 läuft das Forschungsprojekt. Anschließend soll eine Sonderausstellung die Ergebnisse präsentieren, ein Teil könnte aber auch dauerhaft in der alten Schwimmhalle zu sehen bleiben.

>> Die Öffnungszeiten des Museums

Das Museum der Deutschen Binnenschifffahrt hat dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 4,50 Euro für Erwachsene und 2,50 Euro für Kinder. Donnerstags gilt „pay what you want“, die Besucher bestimmen den Eintritt selbst.

Zum Museum gehören auch die Museumsschiffe, die am Leinpfad in Ruhrort liegen. Die Oscar Huber feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag.