Duisburg. Die Bluttat vor dem Johanniter-Krankenhaus in Duisburg war ein Femizid. Was das ist und welche Ziele eine aktuelle Forschungsarbeit verfolgt.

Wenn ein Mann aus Eifersucht, verschmähter Liebe oder einer Frage der Ehre eine Frau umbringt, ist das kein Familiendrama, sondern ein Femizid – ein Mord, der aus männlichem Besitzdenken, aus patriarchaler Frauenverachtung, aus sexueller Frustration oder auch aus generellem Frauenhass geschieht.

Solche Tötungsdelikte sind das Forschungsfeld von Prof. Dr. Deborah F. Hellmann von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Duisburg. Sie ist an einer Studie beteiligt, die untersucht, wie oft Femizide vorkommen, welche Arten es gibt und ob die geschlechtsbezogenen Motive der Täter vor Gericht und in den Ermittlungen eine Rolle spielen.

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Für Femizide fehlt eine allgemeingültige Definition

Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik Femizide nicht als solche ausweist, unter anderem weil es noch keine allgemeingültige Definition gibt. Für Hellmann gilt als Femizid „eine Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind, aus einer misogynen Motivlage heraus“. Das können Beziehungstaten sein, aber auch willkürliche Angriffe von Unbekannten, nur weil sie Frauen sind.

Insofern wäre die Tötung einer Frau durch ihren Ex-Partner, weil sie ihn verlassen hat, genauso als Femizid zu bezeichnen wie die Taten des Amokläufers von Winnenden (2009), dessen Motiv ein allgemeiner Frauenhass war.

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Eine Grenze würde die Hochschullehrerin beispielsweise da ziehen, wo auch als Femizid gilt, wenn Frauen Opfer im Straßenverkehr werden, weil Männer gefährlicher fahren.

Studie wertet rund 250 Fälle aus, bei denen Frauen getötet wurden

Die Psychologin Prof. Dr. Deborah F. Hellmann von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Duisburg ist an einem Forschungsprojekt zum Thema Femizid beteiligt.
Die Psychologin Prof. Dr. Deborah F. Hellmann von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Duisburg ist an einem Forschungsprojekt zum Thema Femizid beteiligt. © HSPV NRW | Privat

Das Forscherteam analysiert nun Akten und führt Experten-Interviews in vier Bundesländern, NRW ist „leider“ nicht dabei, sagt Hellmann. In Berlin, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gab es 2017 rund 350 Frauen, die getötet wurden. Davon werden etwa 250 Fälle für die Studie ausgewertet. Ende 2024 könne man womöglich deutlicher sagen, wie häufig Femizide vorkommen, welche Situationen solche Taten begünstigen und wie man präventiv wirken kann.

Als problematisch erachtet die Psychologin den Effekt, dass die Ursachen häufig auf Kultur oder Nationalität heruntergebrochen werden. „Das ist zu kurz gegriffen. Dazu gab es bereits Studien, die zeigten, dass Tötungen mit Ehrbezug überall da vorkommen können, wo es patriarchale Prägungen gibt, auch in deutschen Familien.“ Die Ursache sei länderübergreifend meist in der Sozialisation der Täter zu finden.

Achten Polizisten bei den Ermittlungen auf das Geschlecht des Opfers?

Die Forscher wollen auch auf die Polizeiarbeit gucken und überprüfen, ob das Geschlecht des Opfers bei den Ermittlungen eine Rolle spielte. Das sei trotz ihrer Arbeit an der Polizeihochschule kein Problem: „Ich bin Psychologin und für den wissenschaftlichen Teil der Ausbildung zuständig. Falls es so etwas wie einen Korpsgeist bei der Polizei geben sollte, betrifft mich das nicht und die Perspektive von außen ist oft hilfreich.“

Die Erkenntnisse sollen später in ihren Unterricht einfließen. Und sie sollen möglichst zeigen, was sich ändern muss, um Frauen besser schützen zu können. Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht die Problemlage: Eine Frau aus einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin suchte Schutz vor ihrem gewalttätigen Mann, der dann Zutrittsverbot bekam. In ein Frauenhaus konnte sie nicht gehen, weil ihr ältester Sohn schon 13 Jahre alt war, ohne ihn aber wollte sie nicht umziehen. Wohnungen waren für die Mutter von sechs Kindern auch nicht zu finden, erzählt Hellmann. Da der Mann also wusste, wo sie ist, passte er sie ab und tötete sie.

Opfer werden bislang zu oft allein gelassen

Hellmann sieht hier die Gesellschaft in der Pflicht: „Warum wird alles dem Opfer überlassen? Wir müssten uns um die Täter kümmern und so die Frauen schützen.“ Der Mangel an Plätzen in Frauenhäusern ist ihr ebenfalls ein Anliegen.

Mit Blick auf den aktuellen Fall in Duisburg sagt sie, dass Männer, die legalen Zugang zu einer Waffe haben, diese mit größerer Wahrscheinlichkeit benutzen. Dieses Prinzip der Verfügbarkeit könne man in Amerika seit langem beobachten. Aber auch in Deutschland wäre eine entsprechende Entwicklung zu erwarten, wenn Schusswaffen zum Beispiel über das Darknet leichter bestellbar würden.

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>>FEMIZIDE IN DUISBURG UND UMGEBUNG

  • In Duisburg wurde 2019 Mine O. von ihrem Ehemann umgebracht und in einem Waldstück in Meiderich vergraben.
  • Erst im Juni hat ein 34-Jähriger in Mülheimseine Ex-Frau vor den Augen der drei Kinder getötet.
  • 2020 hat ein Mann in Bochumseine von ihm getrennt lebende Frau getötet und dann bei der Polizei den Mord gemeldet.
  • In Deutschland soll statistisch jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Ehemann, Freund oder Ex-Partner getötet werden, sagen Frauenrechtsorganisationen. 2018 wurden demnach 122 Frauenmorde erfasst, 59 Prozent der Täter seien schon vorher übergriffig gewesen.