Duisburg. Wie wirkt sich die Baukrise auf Duisburger Großprojekte aus? Deshalb ist Stadtplaner Martin Linne optimistisch für 6-Seen-Wedau und die „Dünen“.

Als Beigeordneter für Stadtentwicklung, Mobilität und Sport verantwortet Martin Linne mit seinem Dezernat die Umsetzung einer Reihe von großen Bauvorhaben, die Verkehrs- und Klimawende. Im Interview äußert der Planungsdezernent sich unter anderem zu A 59-Tunnel, Radschnellweg, Osttangente, Rhein-Ruhr-Halle und den Folgen von Pandemie und Ukraine-Krieg für Projekte wie 6-Seen-Wedau und „Duisburger Dünen“.

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Für die Eurogate-Bebauung am Innenhafen gibt’s den nächsten Anlauf. Wie stehen die Chancen?

Martin Linne: Es soll der Letzte und Erfolgreiche sein. Davon gehe ich aus. Wir werden dem Rat im November einen der Bewerber vorschlagen.

Was wird aus der Rhein-Ruhr-Halle: Abriss oder Sanierung?

Auch hier wird es spätestens im November das Ergebnis der Prüfung geben, die der Rat beantragt hat. Es ist sehr komplex. Ob Duisburg diese Halle braucht, kann in der Veranstaltungsszene derzeit zuverlässig niemand beantworten. Für die Sanierung müsste die Stadt wohl 45 bis 50 Millionen aus eigener Kraft aufbringen. Das macht es nicht einfacher. Hallen für bis zu 3500 Zuschauer gibt es nicht viele – das heißt aber nicht, dass der Markt sie füllt. Ob Aufwand und Ertrag in ein gutes Verhältnis zu bringen sind, muss die Politik entscheiden.

„Die Diskussion über die Zukunft der Rhein-Ruhr-Halle wird spannend“

Die Rhein-Ruhr-Halle wurde vor fast elf Jahren geschlossen. Sie kann nur für mehr als 40 Millionen Euro saniert oder abgerissen werden.
Die Rhein-Ruhr-Halle wurde vor fast elf Jahren geschlossen. Sie kann nur für mehr als 40 Millionen Euro saniert oder abgerissen werden. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wie stehen Sie persönlich dazu?

Natürlich täte die Halle dem Stadtnorden gut. Die Lage ist perfekt mit Autobahn und Straßenbahn vor der Tür. Ärgerlich ist, dass es wegen der Störfall-Situation keine Alternative gibt. Ob Aufwand und Ertrag in ein gutes Verhältnis zu bringen sind, muss die Politik entscheiden. Das wird eine spannende Diskussion.

Nutzt die Stadt ihr Potenzial nicht?

Das Niveau ist heute deutlich besser als vor 25 Jahren. Überall in der Stadt hat sich eine Menge getan. Das sieht man, wenn man sich erinnert und mit offenen Augen durch die Stadt geht. Nehmen wir den Sport: 2023 haben wir die Ruhrgames, sind mit Düsseldorf Gastgeber der Leichtathletik-Finals und haben die Kanu-WM. Das sind drei richtig große Veranstaltungen. Auch den Ironman wird es wohl wieder geben. Diese Bilder, mit denen Duisburg positiv überraschen kann, müssen wir nach draußen übermitteln. Auch im Rheinpark würde ich mir Veranstaltungen wünschen. Ganz allgemein gilt: Auch ins Marketing müssen wir mehr Ressourcen geben – für die Wirtschaftsförderung ist das erkannt worden.

Beim Bildungsprojekt Campus Marxloh geht es nach langen Verzögerungen nun voran. Das Luftbild des Rohbaus entstand im März dieses Jahres.
Beim Bildungsprojekt Campus Marxloh geht es nach langen Verzögerungen nun voran. Das Luftbild des Rohbaus entstand im März dieses Jahres. © www.blossey.eu | Hans Blossey

„Dass Brüssel uns die Förderung für den Campus Marxloh kürzt, ist absurd“

Beim Bildungscampus Marxloh gibt es große Verzögerungen.

Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich das Projekt sicherlich anders aufsetzen. Der Campus wird gebaut. Wir mussten die Förderanträge anpassen, auch wegen Verzögerungen durch die Pandemie. Dass man uns als Dank die Mittel kürzt, ist nicht fair, macht auch volkswirtschaftlich keinen Sinn. Da agiert Brüssel extrem bürokratisch, an der Realität vorbei und zum Teil schlicht absurd.

Die Duisburger Infrastrukturgesellschaft DIG hat sich bewährt? Wie geht es weiter nach dem Ausscheiden von Thomas Schlipköther als Hafenvorstand?

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Mit der Reduzierung von Vergabe-, Entscheidungs- und Verwaltungsmechanismen kann man schneller bauen. Das zeigt die Absurdität des Rechtssystems. Auch das Land und der Bund gründen GmbHs, um aus der öffentlich-rechtlichen Vergabefalle herauszukommen. Die DIG macht einen guten Job, Matthias Palapys ist eine Konstante, da wird sicherlich jemand nachrücken.

Gibt es eine Baukrise?

Sie ist längst da. Einige Baustellen, wie der Karl-Lehr-Brückenzug, laufen noch gut und ohne Kostenüberraschungen. Aber auch in Duisburg werden erste Bauprojekte zurückgestellt. Niemand kann derzeit eine valide Prognose für Materiallieferungen, Zeitpläne und Kosten geben. Deshalb werden zum Beispiel Realisierungszeiträume verlängert.

„Um 6-Seen-Wedau mache ich mir keine Sorgen. Die Nachfrage ist evident“

Welche Auswirkungen hat das auf die Duisburger Großprojekte?

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Bei 6-Seen-Wedau läuft die nächste Vergabe. Ich bin gespannt, ob sich das auch da niederschlägt. Im Wohnungsbau ist aber die Nachfrage evident. Die Realisierungsverpflichtungen werden wir zeitlich strecken müssen. Aber Sorgen mache ich mir um das Projekt nicht, dazu ist der Standort zu gut. Wie steigende Zinsen und Baupreise sich auf die Verkaufspreise auswirken, wird man abwarten müssen. Die Investoren machen sicher keine geplanten Verluste. Ansonsten gilt: Baupreise sind Marktpreise, nicht Selbstkostenpreise.

Und die Duisburger Dünen? Werden Bürogebäude im geplanten Umfang gebraucht?

Ich bin da optimistisch, denn die Lage der Fläche ist genial. Bürogebäude werden zukünftig anders aussehen – mit kleineren, flexiblen Einheiten. Die Dünen sollen aber kein reines Büroquartier werden, sondern Wohnen, Arbeiten und Leben verbinden. Wir arbeiten noch bis Anfang 2024 am Bebauungsplan, bis dahin wissen wir mehr darüber, wie die Bürowelt der Zukunft tickt. Der Trend zum mobilen Arbeiten ist unumkehrbar, aber die Leute müssen sich weiterhin austauschen können. Der Flächenbedarf wird sich verändern: Es braucht weniger Raum für Arbeitsplätze, aber mehr Besprechungsräume. Aber auswirken wird sich das auch auf den Verkehr – das könnte auch unserer Probleme relativieren.

„Der Radschnellweg soll Ende 2026 bis zur Koloniestraße fertig sein“

Dazu könnte auch der Radschnellweg RS1 beitragen. Wird er bis 2027 zur IGA fertig?

Wir haben gerade die Kooperation mit Straßen.NRW aktualisiert. Bis Ende 2026 soll sowohl der Ausbau von Mülheim bis zum Rheinpark als auch der Abzweig über die Duisburger Dünen bis zum Kreisel Mercator-/Koloniestraße fertig sein. Der Ausbau bis zur neuen A 40-Brücke dauert länger – er ist zum Beispiel am Marientor sehr komplex.

Die neue Landesregierung setzt auf Straßensanierung statt Neubau. Reiten Sie mit der Planung der Osttangente ein totes Pferd, weil es für den Weiterbau keine Förderung gibt?

Wir haben den Ratsauftrag, nicht nur die Osttangente, sondern alle anderen Projekte, die sich darum ranken, vorzuprüfen und darzustellen. Also die Gaterwegbrücke am Logport Rheinhausen, den Lkw-Verkehr in Hochfeld, den zweiten Bauabschnitt der Umgehungsstraße Hochfeld und den Umbau des Marientors. Das ist die offene Flanke der Logistik-Diagonale vom Logport I zur A 40. Ob der Weiterbau der Osttangente förderfähig ist, müssen wir nach der Sommerpause herausfinden.

Die Brücke der Solidarität zwischen Hochfeld und Rheinhausen muss absehbar erneuert werden. Ihr Bau begann 1945, eingeweiht wurde sie 1950.
Die Brücke der Solidarität zwischen Hochfeld und Rheinhausen muss absehbar erneuert werden. Ihr Bau begann 1945, eingeweiht wurde sie 1950. © www.blossey.eu | Hans Blossey

„Die Brücke der Solidarität muss in 15 bis 20 Jahren neu gebaut werden“

Wäre es nicht sinnvoll, alle Kraft auf den Umbau des Marientors und die Anbindung auf die ausgebaute A 40 zu verwenden?

Das Thema der Entflechtung des Lkw-Verkehrs Richtung A 40 und Richtung Innenstadt am Marientor werden wir betrachten, um auch die Kosten bewerten zu können. Auch die Brücke der Solidarität muss in 15 bis 20 Jahren neu gebaut werden. Das müssen wir früh genug beim Land deutlich machen. Ohne dessen Unterstützung geht das nicht.

Wie steht’s im Ringen um einen Tunnel für die A 59?

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Beispiel Lüneburg: Dort kommt ein Tunnel für einen Abschnitt mit einer Tagesbelastung von rund 40.000 Fahrzeugen. Wir haben über 90.000. Selbst vierspurig kann man diese Straße heute so nicht mehr neu bauen. Sechsspurig würde eine 48 Meter breite Brückenschneise durch Meiderich führen. Außerhalb des Ruhrgebiets würde man mit so einer Planung wohl aus der Stadt gejagt. Ein Vorteil ist, dass der OB-Karl-Lehr-Brückenzug bis 2026 fertig ist und es den Bypass aus dem Ruhrorter Hafen zum Kreuz Kaiserberg gibt. Die längere Bauzeit eines Tunnels wird über die nächsten 50 bis 80 Jahre mehr als kompensiert. Er wertet alle benachbarten Quartiere auf. Ich hoffe auf eine Verhandlungslösung – niemand kann ein Interesse haben, den Neubau der Berliner Brücke zu verzögern. Aber wenn es eine Planfeststellung für eine Hochstraße durch Meiderich gibt, dann gehen wir den gerichtlichen Weg.

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„Wir verhandeln über eine Fläche am Homberger Rheinufer für ein neues Tierheim“

Wann gibt’s ein neues Tierheim?

Die Fläche am Homberger Rheinufer am „Jedermann“ ist eine Option, aber sie gehört uns nicht. Dort würde es gehen. Wir verhandeln mit der Eigentümerin über eine Gesamtlösung für das Areal. Einige Dinge gehen da, andere nicht, wegen der Nähe zum Störfallbetrieb Venator.

Wie ist die personelle Lage in Ihrem Dezernat?

Im ingenieurtechnischen Bereich der Verkehrsplanung ist die Lage dramatisch. Zehn Mitarbeitende stehen hier aktuell nicht zur Verfügung, das sind zwei Drittel. Wir haben Headhunter mit der Suche beauftragt, werden auch mit Zulagen werben. Die Aufgaben sind vielseitig und fachlich anspruchsvoll. Eigentlich müssten wir als Stadt in wirtschaftlichen Krisen einstellen. Aber das funktioniert leider angesichts der haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen nicht. Wir wollen, gerade beim Thema Radverkehr, viel mehr tun, brauchen aber leider oft viel länger als geplant. Man kann Verbesserungen in der Stadt deutlich erkennen, aber von einem kompletten Netz sind wir noch weit entfernt.