Duisburg. Für Bühnenkünstler in Duisburg ist der November-Lockdown der zweite Super-GAU im Corona-Jahr. Es geht finanziell und seelisch ans Eingemachte.
Jazz-Trompeter Till Brönner hält eine Wutrede, Helge Schneider fragt Finanzminister Olaf Scholz nach Kurzarbeitergeld: Der erneute Lockdown für die Kultur- und Veranstaltungsbranche bringt manche Künstler auf die Palme. Andere resignieren. „Man wird in die Knie gezwungen“, sagt die Duisburger Sängerin Anja Lerch angesichts des zweiten Super-GAU seit März.
Till Brönner rechnet in seinem Video der Politik die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur- und Veranstaltungsbranche in Deutschland mit einem Umsatz von 130 Milliarden Euro im Jahr vor. Der Mülheimer Entertainer Helge Schneider wiederum erklärt Finanzminister Olaf Scholz, sein Angebot, Schneider 75 Prozent der Umsatzausfälle für November zu zahlen, bringe ihm nichts. Er habe im November 2019 keine Einnahmen gehabt. Der Jahresdurchschnitt sei eine bessere Grundlage für Hilfen.
Die Duisburger Sängerin Anja Lerch hatte drei Open-Air-Mitsingabende
Freischaffende Bühnenkünstler passen eben kaum in die Vorschriften der Arbeitsverwaltungsbürokratie. Denn ähnlich ist es der Duisburger Musikerin Anja Lerch ergangen, der eine Überbrückungshilfe auf Basis der Einnahmen von Juli und August 2019 berechnet werden sollte. Also der Ferienmonate, in denen ihre Auftragsbücher leer waren. Ausnahmsweise hatte sie im Corona-Jahr drei Open-Air-Mitsingabende in den Sommerferien.
„Ich habe nicht gedacht, dass es noch mal zum Lockdown kommt“, sagt die Musikerin, deren nächste Auftritte in weiter Ferne liegen. Kaum Einnahmen seit März. Wovon sie lebt? Anfangs gab es 9000 Euro Soforthilfe für Solo-Selbstständige, wobei bis heute nicht geklärt sei, ob davon 7000 Euro zurückgezahlt werden müssen, veranschlagt für Betriebsausgaben, die Künstler in der Regel nicht haben.
Das Geld ist das eine Seite – die Seele die andere
Vorletzte Woche konnte sie eine Sing-Reise nach Sardinien anbieten, die „Gott sei Dank“ noch stattfinden konnte. Workshops veranstalten in nächster Zeit? Großes Fragezeichen. Die Sängerin hat die Beiträge für ihre Alterssicherung zurückgefahren. Anträge auf Grundsicherung stellt sie nicht mehr. Sie unterstütze noch ihre studierende Tochter in Berlin. „Das Jobcenter hat gesagt, meine Tochter könnte ja was anderes machen.“
Das Geld sei das eine, sagt Anja Lerch. „Das andere ist die Seele. Künstler ist unser Beruf, unsere Berufung.“ Sie habe schon von Musikerkollegen gehört, die sich das Leben genommen haben. „Man arbeitet und arbeitet macht Pläne – und letzten Endes ist wieder nix“, sagt die Musikerin. „Ich habe Kinder, ich muss meine Nerven zusammenhalten.“ Ihre Hoffnung: Dass die Appelle und Argumente endlich durchdringen in der Politik.
Furcht um nachhaltige Schäden für die Kulturlandschaft nach Corona
Der erneute Lockdown bedeute für alle Musiker einen Verlust an Perspektiven, egal ob professionell oder als Hobby, sagt Felix Lenniger, freischaffender Musiker und Instrumentalpädagoge an einer privaten Musikschule in Duisburg. „Da sitzt man momentan zwischen den Stühlen, für die Wirtschaftsförderung sind wir zu kulturell, für die kulturelle Förderung arbeiten wir zu wirtschaftlich.“
Lenniger hofft, dass die Kulturlandschaft nach Corona „nicht so nachhaltig geschädigt ist, dass wir nicht mehr arbeiten können.“ Denn: „Ohne die Momente, in denen die Kunst nach außen getragen werden kann, wird die Welt der Musik ein ganzes Stück kleiner und ärmer.“
„Ich lebe mit Existenzängsten“, sagt Schlagzeuger Peter Härtel. Weil er durch einen Dozentenberuf in Holland knapp über dem Grundsicherungsniveau liegt, bekommt er keine Unterstützung – die Gage der ausgefallenen Auftritte fehlt aber trotzdem.
Jupp Götz spielt ein Wohnzimmerkonzert für ein Ehepaar
„Ich habe jetzt keine Jobs mehr, es ist alles abgesagt worden, es ist beängstigend“, sagt Jupp Götz. Die kommenden „Trionalen“ mit Trionova und der Essener Combo „small is beautiful“ fallen allesamt aus. Der Duisburger versucht, sich so gut es geht zu helfen. Für ein älteres Ehepaar, dem Jupp Götz schon jahrelang freundschaftlich verbunden ist, spielt er ein Wohnzimmerkonzert, nur das Paar, er und seine Gitarre. „Denn Musik ist so wichtig, und in schweren Zeiten wie diesen noch wertvoller als sonst.“
Auch Tobias Rotsch, besser bekannt als „Wolfspelz“, sorgt sich um die Zukunft der gesamten Szene. Besonders, dass viele mit Hygienekonzept geplante Veranstaltungen jetzt ausfallen „lähmt uns alle“. Viele Künstler hätten weitergemacht, auch ohne richtige Einnahmen, einige musste Hartz IV beantragen. „Ich habe das Gefühl, dass eine Menge an kulturellem Nährboden kaputtgeht.“ Dabei sei die Kunst gerade jetzt wichtig. „Sie stiftet Identität und hilft den Menschen, Dinge emotional zu verarbeiten, den Wandel positiv anzugehen und zusammenzukommen.“
Gereon Basso: Kultur geht weiter, für die Künstler wird es noch härter
Schlagzeuger Gereon Basso („Popolskis“) rechnet nicht damit, dass es in Zukunft keine Kultur mehr geben wird. Aber dass die Zeiten für Künstler noch härter werden. „Wenn die Pandemie vorbei ist, sind sofort alle wieder da, denn Künstler lieben ihren Beruf“, schreibt er auf Facebook. „Der einzige Unterscheid wird sein, dass sie ab jetzt mit 50.000 Euro Schulden, ohne Ersparnisse, ohne Lebensversicherung, ohne private Altersvorsorge etc. klarkommen müssen.“